"Habeck, Habeck, du warst mal okay; Habeck, Habeck, doch dann kam RWE", sang die Kölner Band AnnenMayKantereit vor wenigen Tagen bei einem Auftritt im besetzten Dorf Lützerath in Anspielung auf die Kohle-Vereinbarung zwischen dem grünen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck und dem Energiekonzern. Für die Zeile gab es lautstarken Applaus von den Aktivisten. Wenige Stunden wurden die ersten Barrikaden geräumt.
Der Beziehungsstatus der Grünen und „ihrer“ Protestbewegungen, darunter Fridays for Future, lautet derzeit wohl "kompliziert". Der Kampf um Lützerath ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Die Aktivisten sind unzufrieden mit der Partei, seit diese in der Regierung sitzt: Die Grünen würden sich in Zugeständnissen verlieren, so der Vorwurf.
Der Groll richtet sich vor allem gegen Habeck: Sein Gas-Deal mit Katar, die (kurzzeitige) Verlängerung zweier AKWs und die Entscheidung, in der Not wieder mehr Kohle zu verstromen, kamen nicht gut an.
Habecks Erklärungsversuche – Lützerath stehe angesichts der Vorverlegung des Kohleausstiegs von 2038 auf 2030 nicht für ein "Weitermachen wie bisher", sondern sei "der Schlussstrich" – werden zwar seit jeher auch von Anhängern anderer Couleurs gefeiert, bei den Aktivisten stößt Habeck jedoch auf taube Ohren. "Sobald wir mitregieren, sind wir flexibel in unserer Wertvorstellung. Tiefe Enttäuschung seitens der gesamten Basis", klagte die Aktivistin und junge Grünen-Politikerin Cansin Köktürk auf Twitter.
Droht den Grünen der Verlust ihrer Protestbewegung – und damit wertvoller Stimmen? Denn dem ifo-Institut in München zufolge sind die Fridays-Streikaktionen wesentlich für die Bewusstseinsschaffung bei potenziellen Wählern. Und dem verdanken die Grünen ihre Stimmenzuwächse und die Regierungsverantwortung.
Experte rechnet mit mehr Protesten
Einer, der sich in der Frage der Spaltung zwischen Straße und Regierung auskennt, ist Jürgen Trittin, Grünen-Instanz und pensionierter Hausbesetzer, der die Proteste in Lützerath mit jenen gegen den Bau eines Atommülllagers in Gorleben 1979 vergleicht. Gegenüber dem KURIER sprach er im Dezember vom "ewigen Spannungsverhältnis" zwischen den politischen Bewegungen und der Regierungsebene.
Im Interview mit dem deutschen Spiegel führte er aus: "Auf der einen Seite schaffen es politische Bewegungen, einen Druck zu erzeugen, der es ermöglicht, Veränderungen wie die Nachbesserung des Kohleausstiegs von 2038 auf 2030 umzusetzen. Umgekehrt müssen die Bewegungen aber auch damit leben, dass nicht alles, was sie anstoßen, umgesetzt wird."
Ähnlich sieht das Michael Neuber, Soziologe der TU Berlin, der zu Fridays for Future forscht, in der deutschen Zeit: Die Bewegung habe schon immer ein ambivalentes Verhältnis zur Grünenpartei gehabt; der Kampf um Lützerath aber habe die Disharmonie verstärkt. Neuber rechnet nun mit mehr Protesten und Besetzungen.
Und er dürfte Recht behalten: Auch die vorübergehende Festnahme von Fridays-Gründerin Greta Thunberg während der Räumung und die von den Aktivisten beklagte Polizeigewalt scheinen als Abschreckung nicht funktioniert zu haben. Für den 3. März wurde bereits ein globaler Klimastreik ausgerufen.
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