Klimakämpfer gegen Kohle: Das Dorf der Unbeugsamen
Keine hundert Meter entfernt vom Dörfchen Lützerath beginnt der Abgrund. Wer hinein blickt, dem stockt der Atem: Eine riesige Kohlegrube, durchzogen von grau-braun-schwarzen Terrassen, mehrere hundert Meter tief, sie reicht bis zum Horizont.
Selbst die monströs großen, hundert Meter hohen Schaufelradbagger, deren Klappern Tag und Nacht zu hören ist, wirken darin wie Spielzeugfahrzeuge. So muss sie aussehen, die Welt nach der Apokalypse: tot, düster, trocken, menschenleer.
Protestcamp
Knapp vor der Kante zur Grube namens Garzweiler II steht trotzig noch immer das winzige Lützerath. Noch – denn es muss, wenn es nach den Plänen des deutschen Energieriesen RWE und der CDU-Grün-Koalitionsregierung Nordrhein-Westfalens geht, der Kohleförderung weichen. Die ursprünglichen Bewohner haben ihre Häuser bereits verlassen.
Doch neue sind in den vergangenen zwei Jahren gekommen – jung, klimabewegt und sehr entschlossen, gegen RWE und die Zerstörung des Dorfes die Stellung zu halten.
Noor, Julia und an die hundert weitere Klimaaktivisten haben die leeren Gebäude bezogen. Sie haben ein Protestcamp gebaut, Dutzende Baumhäuser errichtet – ein ganzes Widerstandsdorf eben, Skaterhalle, Covid-Station und Gemüsegärten inklusive.
„Lützi lebt“, lautet ihre kämpferische Devise, und die restlichen 560 Millionen Tonnen Braunkohle, die in Garzweiler II unter der Erde liegen, „die sollen bleiben, wo sie sind. Jedes Gramm Kohle, das wir in der Klimakrise immer noch verbrennen, ist zu viel“, sagt Noor.
Das eine Autostunde von Köln entfernte Dorf ist zu einem Kristallisationspunkt der Klimakrise geworden: Hier der Essener Energiekonzern RWE, Europas größter Emittent von Kohlendioxid – dort Klimakämpfer, die fordern: Nicht noch ein Dorf soll sterben, schon gar nicht für den klimaschädlichsten aller Brennstoffe – Braunkohle.
Fünf gerettete Dörfer
Seit Jahren kämpfen Bauern, Bewohner der umliegenden Dörfer und verschiedene Umweltgruppen dagegen, dass sich die Kohlegrube im Tagebau weiter und weiter voran frisst und dabei Dorf um Dorf verschlingt.
Sie hatten auch Erfolg: Fünf Nachbardörfer von Lützerath werden leben. „Ohne unseren Widerstand wäre alles zerstört worden, diese Dörfer wären niedergerissen worden“, schildert Christopher Laumanns, Aktivist bei der Initiative „Alle Dörfer bleiben“. Die nächste Überraschung: Vor einem Monat verkündete RWE, dass der Energiekonzern bereits 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen wolle – acht Jahre früher als bisher geplant. Auf diese Weise, frohlockte auch die Landespolitik, würden 280 Millionen Tonnen Kohle eingespart.
„Das ist falsch“, setzt Christopher Laumanns dem entgegen, „die gesamte Menge von 560 Millionen Tonnen wäre sowieso nie gefördert worden. Das geben erstens die Kraftwerkskapazitäten nicht her, die bis 2038 geplant waren. Zweitens gehen so ziemlich alle Studien von einer Strompreisentwicklung aus, die Kohle ab 2030 nicht mehr wirtschaftlich macht.“
Die 1,5-Grad-Grenze
Einen Stopp der Kohlegewinnung aus dem Tagebau in Garzweiler von heute auf gleich – das schätzt auch Laumanns als nicht realistisch ein: „Unser Ziel ist ein Kohleausstieg, der mit der 1,5-Grad-Grenze vereinbar ist. Das Restbudget dafür im Tagebau Garzweiler wäre die Förderung von 47 Millionen Tonnen Kohle.
Bei der Abbaugeschwindigkeit der letzten Jahre würde das nur noch zwei weitere Jahre Kohleabbau bedeuten.“ Und dafür müsste Lützerath nicht vernichtet werden.
Auf die Hilfe grüner Politiker im Land und in Berlin haben sich die jungen Klimaaktivisten in Lützerath von Anfang an nicht verlassen. „Als sie noch in der Opposition waren, wollten die Grünen Lützerath retten“, erinnert sich Noor. Doch nun seien diese in der Regierung – und hätten sich mit RWE auf den Deal geeinigt: früherer Kohleausstieg, aber Lützerath wird dennoch geopfert.
Die angekündigte Räumung
„Lützis“ Bewohner sind vorbereitet. Ihre „Mahnwache“ ist immer besetzt, obgleich dort auf Holzbänken meist gemeinsam Tee getrunken wird. Sie rechnen damit, dass der Räumungsbefehl noch im Winter kommt.
Doch sie hoffen, dass der Aufwand, die jungen Aktivisten aus ihren Baumhäusern zu holen, so mühsam sein wird, dass Polizei und Politik davor zurückschrecken.
Schon einmal hatte die Rebellion von Klimaaktivisten die Wende gebracht: Nach einem Großeinsatz der Polizei, vor vier Jahren im nicht weit entfernten Hambacher Forst, mussten sich die Sicherheitskräfte wieder erfolglos zurückziehen. Die Folge: Die Kohlegrabungen wurden gestoppt, der Forst darf seither weiter bestehen.
Auf einen ähnlichen Ausgang der wohl kommenden Räumungsversuche hoffen in Lützerath nun die meisten der jungen, neuen Dorfbewohner. Zu vielen der selbst gezimmerten Hütten in den Baumkronen gibt es keine Leitern.
Wer hinauf will, muss sich an einem Seil hocharbeiten. Kein Problem für Julia, nur die Kälte macht ihr ein wenig zu schaffen. Fünf Grad hatte es letzte Nacht. „Aber mit zwei Hosen, Decken und einer Wärmeflasche geht es“, meint sie.
Die frühere Medizinstudentin lebt bereits seit zwei Jahren in Lützerath - und hat dabei ein klares Ziel: "RWE macht Rekordgewinne und emittiert dabei weiter Kohlendioxid, obwohl Menschen daran sterben. Die Katastrophe ist jetzt schon da, deswegen muss es auch jetzt aufhören." Doch auch um ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem geht es ihr - ebenso wie ihren Mitbewohnern im Protestdorf.
Sie haben eine kleine Gegenwelt entwickelt - eine, in der es keine Hierarchien gibt, wo man sich selbst organisiert, weitestgehend auf Konsum verzichtet. Das geht nur mit Spenden und mit Lebensmitteln mit abgelaufenen Verfallsdatum, die andernorts weggeworfen würden.
Diese Welt würde verschwinden, wenn Bagger und Polizei anrücken. Doch auch wenn Lützerath aufgegeben werden sollte, wollen einige der Aktivisten in der Gegend bleiben.
Sterbende Dörfer
Nahezu leer gewordene Dörfer gibt es in der Umgebung genug - vor allem jene fünf, die bis vor einem Jahr noch davon ausgehen mussten, dass sie der Kohlegrube zum Opfer fallen würden. Keyenberg ist eines davon.
Von 2016 an verkauften die Haus- und Grundstücksbesitzer gegen Entschädigung ihre Habe an den Energiekonzern RWE. Von den einst 800 Bewohnern sind heute nur noch 100 da, die gesamte Infrastruktur ist verschwunden. Leere rote Backsteinhäuschen, stille Straßen, eine zugenagelte Kirche.
Sie ist nun auch kein Gotteshaus mehr: Vor einem Jahr hatte ein Pfarrer die Kirche "entweiht". Jetzt ist sie nur noch ein Gebäude, dass abgerissen werden kann.
Auch die Bäckerei Laumanns, gegenüber von Keyenbergs Ex-Kirche, packt demnächst ihre Sachen und zieht weg. Warum, wenn das Dorf nun doch nicht zerstört werden soll? "Diese Nachricht kommt für uns um Jahre zu spät", erzählt die Bäckermeisterin, "wir haben schon woanders investiert, und außerdem sind ja sowieso fast alle schon weggezogen."
Nur im benachbarten Kuckum gibt es seit kurzem in den vielen leer gewordenen Häusern wieder Zuzug. Ukrainische Flüchtlinge haben hier Unterkunft gefunden.
Insgesamt wurden in Deutschland seit 1945 rund 300 Dörfer für den Abbau von Braunkohle zerstört.
Und die Grube?
48 Quadratkilometer umfasst das Tagebaugebiet Garzweiler 2 - mehr als ein Zehntel der Fläche Wiens. Der riesige Schlund soll dereinst mit Wasser aus dem Rhein gefüllt werden. Das würde alelrdings an die 70 Jahre dauern, bis er voll ist – es wäre dann Deutschlands drittgrößter See.
Allerdings dürfte es dafür keine Klimakrise geben. Denn die war heuer dafür verantwortlich, dass die Pegelstände des Rheins so tief sanken wie noch nie zuvor.
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