Grenzkontrollen: Platter droht vor Seehofer-Besuch mit "Stau bis Nürnberg"
Nach der Einigung der deutschen Unionsparteien auf ein „neues Grenzregime“ zu Österreich kommen nun scharfe Töne aus Tirol. Am Mittwoch warnte Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) den Nachbarn eindringlich vor nationalen Alleingängen und drohte mit Grenzkontrollen am Brenner, aber auch in Kufstein bei der Einreise nach Tirol.
„ Tirol darf nicht das Wartezimmer Europas werden. Wenn Deutschland nationale Maßnahmen setzt, bedeutet das auch, dass wir ebenfalls nationale Maßnahmen setzen müssen“, sagte Platter bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz. Mit deutlichen Bildern skizzierte er, was Deutschland vor allem in der Reisezeit erwarten würde. „Wenn wir in der aktuellen Situation den Brenner sperren würden, würden dort nicht hunderte Flüchtlinge warten, sondern es würden 100.000 deutsche Touristen auf ihre Heimreise warten“, so Platter. Für ihn wären aber auch Kontrollen in Kufstein bei der Einreise von Bayern nach Tirol Richtung Italien „eine logische Konsequenz der deutschen Maßnahmen. Das würde einen Stau bis Nürnberg zur Folge haben.“
Wie die deutschen Pläne genau aussehen und welche Auswirkungen das für Österreich konkret hätte, ist nach wie vor unklar. Damit Gegenmaßnahmen ausbleiben, muss Deutschland laut Platter aber „die Situation so lassen, wie sie ist.“ Der Tiroler wies einmal mehr auf die Sensibilität der Brenner-Grenze hin und die ohnehin rückläufige Migration auf dieser Route. Kontrollen könnten nur ein allerletztes Mittel sein. „Wenn die Grenzbalken am Brenner wieder installiert sind, ist ein Europa ohne Grenzen gescheitert.“
Der deutliche Warnruf Platters scheint kein Alleingang zu sein. Er betonte vielmehr, dass er sich „in engster Abstimmung mit Bundeskanzler Sebastian Kurz“ befinde und man fest entschlossen sei, jegliche negative Auswirkung auf Tirol zu verhindern. War der Vorstoß Platters akkordiert, wurde der wortgewaltige Tiroler Landeschef vorgeschickt? Im Regierungsbüro will man sich auf KURIER-Nachfrage nicht auf ein Vorgehen festlegen, verweist auf den Stand von Dienstagabend: „Die deutsche Position und die konkreten Maßnahmen sind noch nicht ausreichend bekannt. Wir sind aber für alle Eventualitäten vorbereitet.“ Einen Vorgeschmack auf das von Platter an die Wand gemalte Szenario gibt es ab kommenden Montag. Von 9. bis 13. Juli werden wegen des EU-Ratstreffens der europäischen Innenminister in Innsbruck die Grenzkontrollen am Brenner und in Kufstein temporär hochgefahren.
Seehofer und Kurz
Dort wird sich auch Innenminister Horst Seehofer erklären, genauso wie Donnerstag in Wien, wo er Amtskollegen Kickl und Kanzler Kurz trifft. Vor wenigen Wochen war die Atmosphäre in Berlin noch entspannt. Da standen Seehofer und Kurz gut gelaunt Seite an Seite: Der Alte schwärmte von der Partnerschaft, der Junge lobte die Unterstützung, vor allem bei der Debatte um die Schließung der Balkanroute. Und bei der Gelegenheit verkündeten sie auch ihre nächste Mission: Eine Wende in der Asyl- und Flüchtlingspolitik, die man in einer Allianz mit Italien vorantreiben wolle.
Die Kanzlerin wurde davon allerdings nicht informiert. Auch den bereits schwelenden Unionsstreit klammerten sie aus. Kurz wollte sich nicht einmischen, sagte er vor der Presse, auch nicht nach Nachfragen etwaiger Folgen für Österreich. Was viele Beobachter hier staunen ließ. Innenminister Kickl begrüßte Tage später in Brüssel die deutsche Debatte, dadurch sei eine neue Dynamik entstanden, meldete die APA. Mögliche Rückweisungen von Flüchtlingen nahm er gelassen: Man sei mit dem deutschen Innenministerium „bestens akkordiert“.
Vor fast einer Woche veränderte sich dann der Ton: Kanzlerin Merkel war in den Tagen zuvor am EU-Gipfel und auf Mission, um Vereinbarungen mit den EU-Regierungschefs zu sammeln. Sie wollte die Rückführungen von Asylsuchenden an der deutschen Grenze im Einklang mit den Mitgliedsstaaten. Und während sich Seehofer seine Entscheidung überlegte, warnte Sebastian Kurz Kurz seinen Verbündeten Seehofer via Bild-Zeitung vor einem nationalen Alleingang. Was dann passierte, ist bekannt. Montagabend verkündeten Merkel und Seehofer ihren Kompromiss. Der Kanzler reagierte: Am Dienstag kündigte er im Beisein von Vizekanzler und Innenminister an, keine Verträge zulasten Österreichs abzuschließen. Aber man wolle erst einmal abwarten, ob der deutsche Kompromiss auch Realität werde.
Bedenken hat vor allem die SPD. Sie stört sich besonders an den Transitzentren. Natascha Kohnen, SPD-Vize und Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Bayern, kritisiert via Süddeutschen Zeitung: „Geschlossene Lager werden von uns nicht akzeptiert, weder in Bayern noch sonst wo in Deutschland.“ Ob die SPD dem zustimmt, wird sich zeigen. Donnerstagabend Abend wolle man mit der Union beraten.
Bis dato war über die Transitzentren wenig bekannt. Wie viele Menschen davon betroffen wären? Im laufenden Jahr wurden bis Mitte Juni 18.349 Asylsuchende in Deutschland aufgenommen, die bereits in der europäischen Fingerabdruckdatei erfasst waren. Laut Experten eine geringe Zahl, die auch die Dringlichkeit des Unionskompromisses in Frage stellt.
Merkel zu Transitzentren
Kanzlerin Merkel erklärte sich dazu in der ARD. Sie ließ wissen, dass es in den Zentren eigene Bereiche für Frauen und Kinder geben soll. Der Aufenthalt in den Zentren sei „sehr beschränkt“. Nach dem Grundgesetz dürfe die Freiheit eines Menschen „nur maximal 48 Stunden“ eingeschränkt werden. Innerhalb dieser Zeit „muss dann die Überstellung in das andere Land erfolgt sein“. „Ansonsten ist diese Prozedur, dieses Verfahren über das Transitzentrum nicht möglich.“ Laut Berichten des Redaktionsnetzwerks Deutschland soll Seehofer Liegenschaften der Bundespolizei etwa in Passau, Rosenheim oder am Münchener Flughafen im Visier haben. Die Zentren könnten „ohne jeden Zeitverzug“ in Betrieb genommen werden, sobald entsprechende Vereinbarungen zur Rückführung von Flüchtlingen mit europäischen Nachbarländern abgeschlossen seien, heißt es. Eine fixe Vereinbarung zur Rückübernahme mit Österreich wird es am Donnerstag noch nicht geben, erklärte Seehofers Sprecherin. Diese sei aber Bedingung für ein Rückführungsabkommen zwischen Budapest und Berlin, kündigte Ungarns Premier Viktor Orbán an, der am selben Tag zur deutschen Kanzlerin nach Berlin kommt.
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