Grenzen gehen auf: Deutsche Gäste und das Meer in Sicht
"Das wird natürlich kein normaler Sommer.“
Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der EU-Kommission, will nichts versprechen, was in Europa mitten in der Corona-Pandemie niemand halten kann – nämlich einen Sommerurlaub, wie ihn Millionen Europäer gewohnt sind. Doch angesichts in der EU sinkender Ansteckungszahlen und getroffener Gesundheits- und Hygienemaßnahmen soll nun dem Tourismus in Europa wieder auf die Beine geholfen werden.
Wandern in den Alpen oder doch ans Meer? Unmöglich wird es nicht sein, wenn man den Empfehlungen der EU-Kommission folgt, die gestern in Brüssel präsentiert wurden. Die Leitlinien sind Empfehlungen an die EU-Staaten und haben vor allem die Ziele: Grenzöffnungen, wiederbelebte Transportwege, Sicherheit am Urlaubsort.
Der KURIER beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.
Wann werden in ganz Europa wieder die Grenzen aufgehen, um an einen Urlaubsort zu reisen?
Die leeren Strände Spaniens mögen locken – doch vor Juli dürfen ausländische Urlauber nicht einreisen. Die Grenzen bleiben in den nächsten Wochen noch zu – auch wenn die EU-Kommission die stufenweise Öffnung der Grenzen innerhalb der EU empfiehlt. Anordnen kann Brüssel dies nicht, nur die Lockerung der Einschränkungen auf europäischer Ebene koordinieren.
So wird geraten, zuerst die Grenzen zwischen jenen Regionen und Staaten mit einer „ähnlichen epidemiologischen Lage“ wieder aufzumachen. Kurz gesagt: Die Lage muss stabil, die Ausbreitung des Virus weitgehend unter Kontrolle sein. Das beträfe etwa Österreich und Deutschland oder auch Österreich und alle seine östlichen Nachbarstaaten.
Den Anfang machen morgen Estland, Lettland und Litauen. Bürger dieser drei EU-Staaten können wieder ungehindert innerhalb der drei Ländern reisen. Kommt es zu keiner Zunahme der Ansteckungen, sollen nach dieser ersten Lockerungsphase in ganz Europa die Grenzen aufgehen.
Die Hoffnung wäre dabei: ab Juli sollte Reisen in der EU wieder ungehindert möglich sein.
Worauf man in Brüssel besonders beharrt: Wo immer Grenzmaßnahmen gelockert werden, müssen die Rechte für alle EU-Bürger gleich sein, unabhängig von der Nationalität. Geht etwa die Grenze zu Deutschland auf, muss ein in Deutschland lebender Italiener genauso problemlos nach Österreich einreisen dürfen.
Wie steht es um die Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze?
Während die Regierung in Wien ankündigt, die Kontrollen am 15. Juni einzustellen, formuliert es Deutschlands Innenminister Horst Seehofer (CSU) explizit anders: Die Kontrollen werden bis Mitte Juni verlängert.
Allerdings werde es Lockerungen geben. Nach Deutschland sollen vorerst weiter nur Berufspendler, Gütertransporter oder Menschen mit „triftigen Gründen“ einreisen. Was aber nur noch stichprobenartig kontrolliert wird. Zudem will man Ausnahmen schaffen, etwa für unverheiratete Paare oder Schülergruppen. Voraussetzung für ein Ende der Kontrollen ist für Seehofer, „dass es beim Infektionsgeschehen so günstig weiterläuft“.
Wird das Reisen in Flugzeugen, Zügen und Schiffen möglich und sicher sein?
Wenn der Flugbetrieb oder der Transport mit Zügen und Schiffen wieder – in sicher geringerem Maß als bisher – losgeht, wird das Reisen ein anderes sein: Tickets sollten möglichst nur online gekauft und die Zahl der Passagiere geringer gehalten werden, empfiehlt die EU-Kommission.
Anders als zunächst angedacht wird es allerdings keinen Zwang dazu geben, den Mittelplatz in dreisitzigen Flugzeugreihen freizulassen. Man geht davon aus, dass in nächster Zeit ohnehin kaum ein mit bis zum letzten Platz gefülltes Flugzeug abheben wird.
In den Transportmitteln soll Schutzmaske getragen, kein Essen oder Getränke mehr ausgegeben werden.
Werden Urlauber nur mit einer Tracing-App oder einem negativen Corona-Test ins Ausland fahren dürfen?
Zwangstests wird es auf europäischer Ebene ebenso wenig geben wie eine erzwungene Corona-App, bestätigte gestern EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyrikides. Den Einsatz einer – freiwillig – genutzten Tracing-App aber empfiehlt die Kommission sehr wohl. Dadurch könnten Reisende sofort gewarnt werden, wenn sie mit einem Covid-19-Infizierten in Kontakt gekommen sind. Die Apps dürften nur auf Bluetooth basieren, und nur Gesundheitsbehörden sollten Zugang zu den Daten bekommen.
Ist das Geld für den gestrichenen Flug oder Urlaub verloren, wird es eine Rückerstattung geben oder Gutscheine?
In der Corona-Krise sind die finanziell klamm gewordenen Airlines und Pauschalreiseveranstalter dazu übergegangen, den Kunden statt den Reisepreis zu erstatten Gutscheine zu geben.
Diese Praxis ist sehr umstritten. Zwangsgutscheine lehnt die EU-Kommission ab: Kunden müssen weiterhin die Wahl haben, ob sie Geld oder einen Gutschein erhalten wollen.
Doch die Gutscheinlösung soll attraktiver werden: Sie sollen vom Staat gegen eine Insolvenz des Veranstalters abgesichert werden und auch auf andere übertragbar sein. Zudem sollen sie mindestens zwölf Monate gültig sein und nach einem Jahr ausgezahlt werden, wenn ein Kunde sie doch nicht einlöst.
Diese Lösung stieß in mehreren EU-Staaten, die nur auf eine Gutscheinvariante beharren, auf Missfallen. Die Kommission hat deswegen bereits gegen 12 Staaten die ersten Schritte eines Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet.
Ist es ratsam, jetzt einen Italien-Urlaub zu buchen?
Hängt von der Risikobereitschaft ab, sagt Andreas Herrmann, Reise-Experte vom VKI. „Momentan ist von vielen Grenzöffnungen die Rede, man kann auch auf offene Grenzen nach Italien hoffen.“ Allerdings gibt es viele Risikofaktoren. „Von später wieder geschlossenen Grenzen über Quarantäne-Bestimmungen bis hin zu Ausgehverboten.“
Wer zum jetzigen Zeitpunkt bucht, bucht also im Wissen dieser Gefahren. Auf ein kostenloses Storno wegen Angst vor Corona wird man später nur pochen können, wenn sich die Lage drastisch verschlechtert hat. Es sei denn, man hat entsprechende Stornomöglichkeiten schon bei der Buchung mit dem Vermieter ausgemacht, ergänzt Gabriele Zgubic von der Arbeiterkammer.
Kann man bereits gebuchte Sommerurlaube jetzt aus Angst vor Corona kostenlos stornieren?
Nein, ein kostenloser Rücktritt ist erst eine Woche vor der Reise möglich, wenn klar ist, wie die Situation vor Ort (u.a. Einreise- und Quarantänebestimmungen) ist. Viele bieten aber Kulanzlösungen an, wie eine Umbuchung, an.
Und wenn ich schon sicher weiß, dass ich daheim bleiben will?
Je näher das Reisedatum rückt, desto höher die Stornokosten. Nur wer gute Nerven hat, kann darauf spekulieren, dass zum Urlaubszeitpunkt eine Anreise unzumutbar ist – und damit das Storno gratis.
Was steht beim Ausfall des Tourismus in Europa auf dem Spiel?
Fällt die Urlaubs-Saison im Sommer wegen der Coronakrise aus, wäre dies für einige Tourismusländer nichts weniger als eine Katastrophe: Kroatien etwa erwirtschaftet ein Viertel seines Bruottoinlandsproduktes aus dem Tourismus, in Zypern sind es 22 Prozent, in Griechenland 21 und auch in Italien sind es immer noch 13 Prozent.
Europaweit gesehen beträgt der Anteil des Tourismus an der EU-Wirtschaftsleistung rund ein Zehntel. Rund 27 Millionen Menschen sind rund um den Tourismus beschäftigt, knapp 150 Milliarden Euro werden jährlich in der EU aus der Urlaubs- und Reisebranche erwirtschaftet. Fast zwei Drittel aller EU-Bürger machen mindestens ein Mal pro Jahr einen Urlaub.
Was wird dieser Sommerurlaub mit Sicherheit nicht werden?
Ein Massenereignis. Discobesuche, Musikfestivals und alle Events, wo viele Menschen zusammenkommen sind heuer vorerst gestrichen.
„Bis Ende August sind vorerst alle größeren Versammlungen unmöglich“, bedauert auch EU-Vizekommissionspräsidentin Vestager. „Aber das muss eben noch lange nicht heißen, dass es nicht man nicht dennoch auf Urlaub fahren kann oder dass es ein völlig verlorener Sommer für die Tourismus-Industrie wird.“
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