Für Schallenberg wäre Machtwechsel in Moskau keine Lösung

Sommergespräch mit Außenminister Alexander Schallenberg
Ein Nachfolger Putins wäre Schallenbergs Einschätzung nach auch kein "lupenreiner Demokrat". Minister ärgert sich über "nützliche Idioten".

Außenminister Alexander Schallenberg sieht einen Machtwechsel in Moskau nicht als Lösung zur Beendigung des Ukraine-Kriegs an. Wer glaube, dass ein potenzieller Nachfolger des russischen Präsidenten Wladimir Putin ein "lupenreiner Demokrat" sein würde, "der irrt gewaltig und zeigt ein hohes Maß an Naivität", warnte Schallenberg in einem APA-Sommerinterview. "Ziel muss sein, die Ukraine bei der Wiederherstellung der Souveränität und territorialen Integrität zu unterstützen."

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"Wir müssen sehr vorsichtig sein, was wir uns eigentlich wünschen", riet der ÖVP-Außenminister. Es gebe zwar einen internationalen Haftbefehl gegen Putin, doch gehe es nicht darum, "dass Russland verliert, in Teile aufgebrochen wird, oder dass es dort zu einem Regimewechsel kommt". Er sei jedenfalls nicht im "Business of Regime Change", so Schallenberg. Gerade der letztlich abgebrochene Marsch auf Moskau, den die von Jewgeni Prigoschin angeführte Söldner-Truppe Wagner im Juni lanciert hatte, und dessen kürzlich vermeldeter Tod bei einem Flugzeugabsturz bedeute aber auch, dass es in Russland "Risse im System" gebe. "Es zeigt, dass nicht alles so homogen und aus einem Guss ist, wie man manchmal von außen den Eindruck haben könnte."

Die Politik Putins nach dem Motto "Divide et impera", die der russische Präsident sowohl in der Außenpolitik als auch nach innen verfolge, habe demnach durchaus auch Nachteile. "Sie kann gefährliche Momente erzeugen. Für mich ist einfach der Sukkus, dass wir strategisch langen Atem zeigen müssen." Die Nachricht vom Tod Prigoschins stellt Schallenberg per se nicht in Frage. Schließlich sei dieser von Moskau offiziell bestätigt worden. Es wäre wohl "ein unglaublicher Gesichtsverlust für den Kreml, wenn Prigoschin plötzlich irgendwo in Afrika auftauchen" würde. Zudem komme Prigoschins Tod "nicht ganz überraschend", meinte Schallenberg.

"Zynisch gesagt" habe es ja schon "System, dass Personen, die dem Kreml nicht mehr zu Gesicht stehen, plötzlich eine sehr verkürzte Lebenserwartung haben". Das habe sich bei Prigoschin seit dem Abbruch des Söldnermarschs auf Moskau abgezeichnet: "Ich will jetzt nicht spekulieren, aber ich habe mir schon am Tag, als er umgedreht ist, gedacht, dass es jetzt für ihn schwierig wird. Vergeben und vergessen sind nicht die Stärken des Präsidenten der Russischen Föderation."

Letztlich sei man wieder "in einer Phase der Geschichte angelangt, wo 'Kremlogie' wieder zur Wissenschaft wird", so Schallenberg. "Kremlogie" wurde in Sowjetzeiten die Kunst genannt, anhand von vagen Gesten oder Nuancen von Andeutungen den Willen der Herrscher im UdSSR-Kreml herauszulesen und zu deuten.

Eine wesentliche Gefahr, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eskalieren und sich ausweiten könnte, sieht Schallenberg indes nicht. "Die Gefahr gibt es eigentlich immer, wenn man etwa die Situation im Schwarzen Meer beobachtet", meinte er. "Aber man muss den Partnern der NATO und auch den Vereinigten Staaten sehr hoch anrechnen, dass sie eigentlich von Tag eins an sehr darauf geachtet haben, dass keine Situationen erzeugt werden, die eine Eskalation zur Folge haben."

Das gelte aber auch für die russische Seite. "Also auch bei den brutalen Raketen und dem Drohnenbeschuss auf die Ukraine wird von russischer Seite sehr offensichtlich darauf geachtet, dass nichts auf NATO-Territorium, sprich zum Beispiel auf Polen, übergreift." Es seien sich also alle Beteiligten bewusst, "welche Gefahrenpotenziale vorhanden sind". Nachsatz: "Ich glaube, das wird auch weiterhin der Fall sein."

Allerdings sei ein Aspekt sehr wichtig: "Der Umstand, dass ein Staat Nuklearwaffen hat, darf nicht dazu führen, dass er Narrenfreiheit hat oder man sagt, der ist eigentlich unantastbar, der steht über dem Völkerrecht, da darf man nichts machen, weil es könnte ja zu einer Eskalation kommen. Das wäre das Gesetz des Dschungels. Und in so einer Welt wollen wir Österreicher nicht leben. Es kann nicht sein, dass jene Staaten, die Atomwaffen haben, glauben, dass die UNO-Charta und das Völkerrecht nicht für sie gilt."

Dass laut einer in der Zeitung "Der Standard" veröffentlichten Umfrage des Linzer Market-Instituts nicht einmal die Hälfte (nämlich 42 Prozent) der Österreicherinnen und Österreicher den Wunsch der angegriffenen Ukraine unterstützen, ihr von Russland besetztes Staatsgebiet zurückzugewinnen, hingegen 37 Prozent meinen, dass es Frieden um jeden Preis geben müsse, irritiert Schallenberg nicht: "Ich bin sogar überrascht, weil ich hätte mir eigentlich gedacht, dass eine ganz überwiegende Mehrheit sagt: Ja, wir wollen alle Frieden. Und es ist völlig legitim, dass man Frieden will. Ich als Außenminister bin der erste, der dafür arbeitet. Es gibt aber momentan von russischer Seite nicht das geringste Anzeichen, dass sie von der Logik des Schlachtfeldes abgehen."

Putin habe alle möglichen Initiativen, "etwa auch von afrikanischen Staaten", in den Wind geschlagen und versuche eindeutig, auf dem Schlachtfeld Fakten zu schaffen. Die Ukraine wiederum verteidige sich legitimerweise. Die Unterstützung für die Ukraine in allen Bereichen habe das Ziel, zu einer Friedensentwicklung beizutragen, "in der Russland nicht freies Feld gelassen wird, um dem Völkerrecht wieder zum Durchbruch zu verhelfen". Ziel müsse sein, "dass wir wieder Frieden, Stabilität und Sicherheit haben, auch in Osteuropa".

Verärgert zeigte sich Schallenberg über ein vom britischen Magazin "The Economist" im Juli veröffentlichtes Ranking von "Putins nützlichen Idioten", wonach Österreich nach Ungarn unter dem rechtskonservativen Regierungschef Viktor Orbán der zweitwichtigste Handlanger des russischen Präsidenten Putin in Europa sei. "Diese Darstellungen sind völlig falsch und ärgern mich, weil sie auf Ereignisse der Vergangenheit zurückgreifen, zum Beispiel das Verhalten meiner Vorgängerin."

Natürlich habe Österreich - "so wie Deutschland und andere Länder" - auch historisch gesehen eine enge Beziehung zu Russland gehabt, seit dem 24. Februar 2022 - dem Tag des Überfalls Russlands auf die Ukraine - fahre die österreichische Bundesregierung aber einen ganz, ganz klaren Kurs in dieser Frage: "Wir sind zwar militärisch neutral, es gibt keine Waffenlieferungen an die Ukraine, es wird auch in der Zukunft keine geben, aber wir sind nicht gesinnungsneutral, wir sind nicht werteneutral."

Bei der humanitären Hilfe für die Ukraine liege Österreich pro Kopf global gesehen sogar auf den Spitzenplätzen. "Es täten daher auch diese Journalisten gut daran, sich die jetzige Linie Österreichs anzuschauen und nicht nur in der Vergangenheit zu wühlen." Österreich werde der Ukraine jedenfalls weiter zur Seite stehen, auch die Hilfe bei der Entminung werde ein Riesenthema sein und stehe in keinerlei Widerspruch zur Neutralität, so der Außenminister, der aber auch klarstellte: "Es wird keinen Einsatz vor Ort von österreichischen Soldaten oder Polizisten geben, solange dies ein Kriegsgebiet ist."

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