Den hatte Moskau Mitte Juli auslaufen lassen – er hatte der Ukraine trotz des Krieges ermöglicht, Getreide über das Schwarze Meer zu exportieren. Nach Ende des Deals hat Moskau angekündigt, jedes auslaufende Schiff aus der Ukraine ins Visier zu nehmen. Das ist bisher noch nicht geschehen. Zwei ukrainischen Schiffen gelang die unbehelligte Ausfahrt.
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Dennoch liegt auch Erdoğan viel daran, den Getreidedeal zu reaktivieren. Es wäre neuerlich ein diplomatischer Coup. Schon beim ersten Zustandekommen des Deals war die Türkei eine treibende Kraft bei den Verhandlungen.
Kalte Schulter
Dass Putin dieses Mal Erdoğan bisher die kalte Schulter zeigte, liegt an gehörigem Ärger über die Türkei: Da hat etwa Erdoğan angekündigt, seine Blockade gegen Schweden aufzugeben – womit das skandinavische Land nun nach einiger Verzögerung NATO-Mitglied werden kann. Zudem liefert die Türkei die schlagkräftigen Bayraktar-Kampfdrohnen an die Ukraine. Und richtig verärgert war Putin über die Freilassung von Kommandeuren des ukrainischen Asow-Bataillons. Diese hätten nach Plan Moskaus bis Kriegsende in der Türkei bleiben sollen.
Doch auf anderer Ebene haben die historischen Todfeinde Russland und Türkei zu unverzichtbarer Kooperation zusammengefunden: Die Türkei beteiligt sich nicht an den westlichen Sanktionen und importiert nun doppelt so viel russisches Öl wie vor dem Krieg. Insgesamt ist Russland zum größten Handelspartner der Türkei aufgestiegen, wovon wiederum Erdoğans krisengebeutelte Wirtschaft profitiert.
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Auch das erste Atomkraftwerk der Türkei – es wurde im April eingeweiht – wird von Moskau finanziert und von einem russischen Unternehmen errichtet. Und nicht zuletzt sind die Tausenden russischen Touristen eine gewichtige Einnahmequelle für die Türkei.
Und so balanciert Erdoğan zwischen dem Westen und Russland – in der Hoffnung, auch für sich selbst mehr Einfluss herauszuschlagen. Dass sich Putin für einen erneuerten Getreidedeal breitschlagen lässt, gilt dennoch als wenig wahrscheinlich. Er beharrt dafür auf eine Gegenleistung – eine Lockerung der Sanktionen. Die aber kann Erdoğan selbst als einzig noch tragende Brücke zwischen dem Westen und Moskau vorerst nicht herausschlagen.
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