Flüchtlinge: Macron will noch heuer Hotspots in Libyen errichten

Flüchtlinge: Macron will noch heuer Hotspots in Libyen errichten
Staatschef Emmanuel Macron kündigt Registrierungsstellen in nordafrikanischem Krisenstaat an. Mit Hilfe der EU, oder auf eigene Faust. Kern und Kurz begrüßen Pläne Frankreichs.

Und sie bewegt sich doch. Was die Flüchtlingspolitik der EU betrifft, so waren aus Frankreich und Deutschland lange nur abwartende Wortmeldungen gekommen. Wie man insbesondere mit der Flüchtlingskrise im Mittelmeer umgehen soll, darauf gab es aus Berlin und Paris - trotz schärfer werdender Appelle aus Italien - keine Antwort. Nun überrascht Staatschef Emmanuel Macron mit einem neuen Vorschlag.

Frankreich wolle sogenannte Hotspots für Flüchtlinge im nordafrikanischen Krisenstaat Libyen einrichten. "Ich will das ab diesem Sommer machen", sagte Macron bei einem Besuch in einer Flüchtlingsunterkunft in der Stadt Orleans.

Alleine oder mit EU, egal

Frankreich wolle dabei mit der EU oder alleine handeln. Damit sollten Menschen ohne Chancen auf Asyl davon abgehalten werden, mit einer Überfahrt über das Mittelmeer große Risiken einzugehen. In den letzten Monaten hatten mehrere EU-Politiker die Errichtung von Aufnahmezentren für Migranten außerhalb der Europäischen Union gefordert. Auch Außenminister Sebastian Kurz und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil brachten Aufnahmelager in Libyen ins Spiel.

Kern und Kurz begrüßen Hotspot-Pläne Frankreichs

Entsprechend positiv reagierte man in der ÖVP am Donnerstag auf die Ankündigung Macrons. "Wir begrüßen das als wichtigen Beitrag zur Schließung der Mittelmeerroute und zum Stopp illegaler Migration", sagte ein Sprecher von Kurz am Donnerstag zum KURIER. "Schön langsam kommt Bewegung in die Schließung der Mittelmeerroute. Ich werde weiterhin mit voller Kraft daran arbeiten, bis wir dieses Problem gelöst haben", schrieb Kurz dazu auf seiner Facebook-Seite. Was einen Beitrag Österreichs für die Bemühungen Frankreichs betrifft, so hieß es aus dem Außenministerium, dass "Details noch zu klären" seien. "Ein finanzieller Beitrag ist vorstellbar."

Auch im Bundeskanzleramt bewertete man die Ankündigung Macrons positiv. "Sowohl die Erklärung Macrons, Hotspots in Libyen zu errichten als auch die Nachrichten aus Italien, wo Paolo Gentiloni erklärt hat, dass es zu einer massiv verstärkten Zusammenarbeit zwischen Italien und der libyschen Küstenwache kommen wird (mehr dazu siehe unten), zeigen, dass Europa in der Lage ist, klare Taten zu setzen", hieß aus es dem Büro des Bundeskanzlers. Kern versicherte "allen unseren europäischen Partnern, dass wir jede vernünftige Initiative unterstützen werden."

Italien um Stabilisierung Libyens bemüht

Am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass Italien seinen Einsatz vor der libyschen Küste verstärkt. Der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni kündigte an, Schiffe zur Stärkung der Küstenwache Libyens zu schicken. Italien sei sehr bemüht, für die Stabilisierung Libyens zu arbeiten, sagte Gentiloni bei einer Pressekonferenz mit dem deutschen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz am Donnerstag in Rom.

Die italienische Regierung werde dem Parlament am kommenden Dienstag die Details zur Libyen-Mission vorstellen, erklärte Gentiloni. Laut Medienberichten plant Italien die Entsendung von sechs Schiffen und etwa 1.000 Soldaten, um die libysche Küstenwache zu unterstützen. Geplant sei auch die Entsendung von Flugzeugen, Hubschraubern und Drohnen.

Nach Angaben aus italienischen Regierungskreisen müssen die Einsatzregeln, das konkrete Einsatzgebiet sowie die Zusammenarbeit mit den libyschen Sicherheitskräften noch festgelegt werden. Klar sei aber schon, dass alle von den italienischen Schiffen abgefangenen Flüchtlinge nach Libyen zurückgebracht würden (mehr dazu hier).

Gentiloni erklärte, Italien werde nach wie vor seinen Pflichten bei der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer nachkommen. "Wir resignieren jedoch nicht vor dem Gedanken, dass der Umgang mit der Flüchtlingskrise und den Wirtschaftsmigranten einzelnen EU-Ländern je nach geografischer Lage überlassen wird", so Gentiloni.

Offene Fragen

Aktuell gibt es zentrale Registrierungsstellen für Flüchtlinge bereits in EU-Grenzländern wie Griechenland und Italien. Dort können Flüchtlinge im jeweiligen Erstaufnahmeland, in diesem Fall Italien oder Griechenland, ihren Asylantrag stellen - so sieht es jedenfalls das Dublin-Abkommen vor, das am Mittwoch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bekräftigt wurde.

Ob und für welches Land das auch in den neuen "Hotspots" in Libyen unter französischer Führung möglich sein soll, ist aber offen. Macron verwies am Donnerstag lediglich darauf, dass Migranten mit einer schlechten Anerkennungsquote in europäischen Staaten schon vorab von einer Überfahrt abgehalten werden sollen.

Situation in Libyen chaotisch

Hilfsorganisationen bewerten das Vorhaben, Auffanglager in Libyen zu installieren, aufgrund der politischen Situation im Land kritisch. Libyen wird von islamistischen Milizen und zwei schwachen, konkurrierenden Regierungen beherrscht. Das Land selbst ist derzeit nicht Willens und in der Lage, Auffanglager selbst aufzubauen. Zudem gilt es – genauso wie viele andere nordafrikanische Länder – nicht als sicherer "Drittstaat". Aus internationalen Gewässern Gerettete dürfen also nicht dorthin zurückgebracht werden. Über die Einstufung Marokkos, Algeriens und Tunesiens wird derzeit noch diskutiert.

Flüchtlinge: Macron will noch heuer Hotspots in Libyen errichten
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Beim Gipfel in Malta im Februar einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU zuletzt darauf mit einem ganzen Maßnahmenpaket die Zahl der Migranten nach Europa zu bremsen. Pläne, Auffanglager in Nordafrika, etwa in Libyen, Tunesien oder Ägypten einzurichten, waren dabei aber nicht vorgesehen. Bisher hat die EU zusammen mit der Internationalen Organisation für Migration eine freiwilliges Rückkehrprogramm in Libyen gestartet. Von dort aus werden Migranten in deren Heimatländer zurückgebracht. In diesem Jahr waren es bereits 4600 Menschen, bis Jahresende sollen es an die Zehntausend werden, meist kehren die Migranten nach Äthiopien und Nigeria zurück.

KURIER-Recherchen vor Ort ergaben, dass die Zustände in Libyen selbst zunehmend als Push-Faktor für die Überfahrt Richtung Europa verantwortlich sind. "Ich habe Morde gesehen. Es gibt ständig Kidnappings. Ich wurde eingesperrt, geprügelt und musste mich mehrmals freikaufen", sagte ein geretteter Flüchtling unserem KURIER-Reporter an Bord des privaten Rettungsschiffes "VOS Prudence" (mehr dazu hier).

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sprach sich zuletzt dafür aus, das UNO-Flüchtlingswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration in die Lage zu versetzen, die Zustände in den Lagern zu verbessern. "Dazu braucht es Geld und Personal. (…) Es muss daran gearbeitet werden, einen Großteil dieser Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückzubringen."

Der deutsche SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz, aktuell zu Besuch in Rom, warb am Donnerstag für mehr europäische Solidarität mit Italien und anderen EU-Ländern mit Außengrenzen in der Flüchtlingskrise. Das kommende Budget der Europäischen Union müsse ein Solidarpakt sein, sagte Schulz nach einem Treffen mit dem italienischen Regierungschef Paolo Gentiloni. Auf den Vorstoß Macrons ging Schulz nicht ein.

EU startet Hilfsprogramm für Flüchtlinge in Griechenland

Schauplatzwechsel: Von offizieller EU-Seite startete heute ein neues Hilfsprogramm für Flüchtlinge in Griechenland, mit dem vielen von ihnen ein Leben außerhalb der Auffanglager ermöglicht werden soll. Im Rahmen des mit 209 Millionen Euro ausgestatteten Programms sollen Wohnungen und Häuser angemietet werden, in denen bis zum Jahresende bis zu 30.000 Flüchtlinge untergebracht werden können.

Derzeit leben rund 62.000 Flüchtlinge vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die seit der Schließung der sogenannten Balkan-Route nach Nordeuropa in Griechenland festsitzen, in zumeist überfüllten Auffanglagern.

Nach Angaben der Kommission sollen zusammen mit dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) 22.000 Unterkünfte auf dem Festland und etwa 2.000 weitere auf den Inseln angemietet werden. Zudem erhalten die Flüchtlinge eine Geldkarte, mit der sie Waren des täglichen Bedarfs und Arzneimittel sowie Fahrkarten kaufen können. Dies sei eine völlig neue Art der Hilfe, um die Lebensbedingungen der Flüchtlinge zu verbessern, sagte der zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides. Ziel sei es, die Flüchtlinge aus den Lagern herauszuholen und ihnen zu helfen, ein sichereres und normales Leben zu führen.

Vor seinem Treffen mit Premier Paolo Gentiloni am Mittwoch in Rom hatte der Premier der international anerkannten, de facto aber machtlosen libyschen Übergangsregierung, Fajis al-Sarraj, einen Brief geschickt. Darin bat al-Sarraj die Italiener, die Küstenwache seines Landes beim Kampf gegen Schlepperei und Menschenhandel zu unterstützen – und Italien zeigte sich gesprächsbereit.

Konkret sollen sechs italienische Marineschiffe sowie Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen gemeinsam mit der libyschen Küstenwache im Mittelmeer patrouillieren. Ziel ist es, die Flüchtlingsabfahrten von Libyen zu stoppen. Ein ähnliche Mission hatte Italien 1997 gestartet, um Flüchtlingsströme aus Albanien zu blockieren, das damals eine schwere politische und wirtschaftliche Krise durchlebte.

Details noch offen

Derartige Operationen sind heikel: Die italienischen Kriegsschiffe sollen der Abschreckung dienen und Flüchtlingsboote abfangen, ohne Menschenleben zu gefährden, wie es offiziell heißt. Im Notfall müssen die Menschen – wie es das internationale Seerecht vorschreibt – aus Seenot gerettet werden.

Der aktuelle Plan wird derzeit im italienischen Verteidigungs-, Innen- und Außenministerium geprüft. Ob das Parlament noch vor der Sommerpause der Entsendung der Schiffe nach Libyen zustimmt, ist offen. Über das Ziel – Flüchtlingsboote zu stoppen – herrscht Einigkeit. Allerdings müssen noch zahlreiche Details geklärt werden.

Wie die Operation, an der sich zwischen 500 und 1000 italienischen Soldaten beteiligen sollen, genau aussieht, darüber wird derzeit noch spekuliert. Laut der Zeitung Corriere della Sera ist etwa offen, wie groß das Einsatzgebiet der Marineschiffe in libyscher Küstennähe sein wird. Außerdem sind noch Regelungen vor allem zum Schutz der italienischen Soldaten erforderlich, die auf fremdem Terrain agieren.

Die Schiffe sollen die Menschen aus Seenot retten und danach – nicht wie bisher nach Italien – nach Libyen zurückbringen. Dabei muss jedoch die Einhaltung der Menschenrechte vor Ort garantiert sein, was derzeit in Libyen laut internationalen Beobachtern keineswegs der Fall ist. Es kommt zu schweren Verstößen, Misshandlung und Folter von Flüchtlingen in Auffanglagern stehen an der Tagesordnung.

Unklar ist, wie Premier al-Sarraj beweisen will, dass menschenwürdige Bedingungen herrschen, was auch auf internationaler Ebene überprüft werden muss. Dazu ist auch die Präsenz von UN-Organisationen und die Eröffnung von Büros der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR in Tripolis und anderen libyschen Städten notwendig.

Kampf gegen NGOs

Durch die Stärkung der libyschen Küstenwache will Italien auch die Präsenz von NGO-Schiffen vor der libyschen Küsten verringern, denen immer wieder vorgeworfen wird, mit Schleppern zu kooperieren.

Die Rettungsschiffe privater Hilfsorganisationen beteiligen sich derzeit an rund 40 Prozent aller Rettungseinsätze. Heute, Freitag, findet erneut ein Treffen zwischen Innenminister Minniti und NGO-Vertretern statt. Dabei wird über einen geplanten Verhaltenskodex für NGO-Schiffe diskutiert.

Regierungschef Gentiloni zeigt sich jedenfalls angesichts der geplanten Kooperation mit Libyen leicht optimistisch: "Italien ist das europäische Land, das sich als Erster über jeden Fortschritt in Libyen freut." Die Zusammenarbeit betreffe mehrere Ebenen, sagte Gentiloni nach dem Treffen: "Hoffentlich wird es auch immer eine wirtschaftliche und infrastrukturelle Kooperation geben, ebenso einen gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus und vor allem eine Zusammenarbeit bei der illegalen Einwanderung."

Der libysche Übergangspremier betonte allerdings, dass die italienische Grenzsicherung alleine nicht ausreiche, um das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen. "Wir müssen auch Bemühungen unternehmen, Libyens südliche Grenzen zu kontrollieren."

Der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni betrachtet Libyens Forderungen nach Entsendung von Schiffen zur Stärkung seiner Küstenwache als "positiven Wendepunkt". Italien sei sehr bemüht, für die Stabilisierung Libyens zu arbeiten, sagte Gentiloni bei einer Pressekonferenz mit dem deutschen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz am Donnerstag in Rom.

Die italienische Regierung werde dem Parlament am kommenden Dienstag die Details zur Libyen-Mission vorstellen, erklärte Gentiloni. Laut Medienberichten plant Italien die Entsendung von sechs Schiffen und etwa 1.000 Soldaten, um die libysche Küstenwache zu unterstützen. Geplant sei auch die Entsendung von Flugzeugen, Hubschraubern und Drohnen.

Nach Angaben aus italienischen Regierungskreisen müssen die Einsatzregeln, das konkrete Einsatzgebiet sowie die Zusammenarbeit mit den libyschen Sicherheitskräften noch festgelegt werden. Klar sei aber schon, dass alle von den italienischen Schiffen abgefangenen Flüchtlinge nach Libyen zurückgebracht würden. Am Mittwoch hatte Gentiloni nach einem Treffen mit dem libyschen Premier Fayez al-Serraj erklärt, Libyen habe um die Entsendung italienischer Kriegsschiffe in seine Hoheitsgewässer gebeten.

Gentiloni erklärte, Italien werde nach wie vor seinen Pflichten bei der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer nachkommen. "Wir resignieren jedoch nicht vor dem Gedanken, dass der Umgang mit der Flüchtlingskrise und den Wirtschaftsmigranten einzelnen EU-Ländern je nach geografischer Lage überlassen wird", so Gentiloni.

Schulz betonte, Solidarität müsse das "fundamentale Prinzip" sein, auf dem die EU basiere. Dies gelte für alle Bereiche, unter anderem auch bei der Einwanderung. Schulz meinte, das EU-Budget für die nächsten Jahre müsse ein "Solidaritätspakt" sein.

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