Mittelmeer-Logbuch: An Bord eines NGO-Schiffes
Es hat fast ein halbes Jahr gedauert, bis Kurier-Redakteur Moritz Gottsauner-Wolf und KURIER-Fotograf Jürg Christandl die Genehmigung erhielten, einen Rettungseinsatz von Ärzte ohne Grenzen am Mittelmeer zu begleiten. Seit Anfang der Woche sind sie nun an Bord der VOS Prudence, die sich von Augusta in Sizilien Richtung Libyen aufgemacht hat. Die beiden werden die nächsten Tage, sofern es die Internetverbindung an Bord erlaubt, direkt vom Einsatz für kurier.at bloggen. Ab Sonntag lesen Sie im KURIER und auf kurier.at ihre Reportagen. Hier geht es direkt zu den aktuellen Blog-Einträgen.
Europa blickt auf das Mittelmeer. 85.000 Flüchtlinge und Migranten haben laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex heuer bereits Europa über die zentrale Mittelmeerroute erreicht, um 21 Prozent mehr als im Vorjahr. Für mindestens 2500 Menschen endete die Reise in maroden Booten mit dem Tod.
Die Todesfälle und die gestiegene Zahl der Ankünfte haben das Thema wieder auf die Agenda der europäischen Politik gebracht. Italien, wo fast alle Migranten auf der zentralen Mittelmeer-Route ankommen, sieht sich mit der Situation zunehmend überfordert. Es herrscht weitestgehend Konsens, dass das Sterben und die unkontrollierte Einwanderung so nicht weitergehen können. Doch wie die Route auf humane Weise geschlossen und Migranten auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt werden sollen, darüber ist sich Europa uneinig.
Bis eine Lösung in Aussicht ist, stellt das Meer vor der libyschen Küste die wesentliche Schnittstelle dar. Ob es jemand nach Europa schafft oder nicht, entscheidet sich am Ende hier, wo Schiffe der EU-Mission "Sophia", der italienischen Küstenwache und verschiedener NGOs die Flüchtlinge und Migranten aufnehmen und nach Italien bringen.
Wo ist die "Prudence" gerade?
An Bord der "Prudence"
Wer sind die Menschen, die ihre Leben riskieren, um über das Mittelmeer zu gelangen? Wovor fliehen sie und was erwarten sie sich von einem Leben in Europa? Wie operieren die NGOs vor der libyschen Küste und wer sind die freiwilligen Helfer, die hinter den umstrittenen Rettungsaktionen stehen?
Diesen und weiteren Fragen gehen die KURIER-Reporter Moritz Gottsauner-Wolf und Jürg Christandl in den kommenden Tagen an Bord der "VOS Prudence" nach, einem Rettungsschiff der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. In diesem Blog berichten sie regelmäßig von den neuesten Entwicklungen an Bord und den Eindrücken, die sie während der Fahrt sammeln.
Offenlegung: Diese Reise wird von Ärzte ohne Grenzen ermöglicht, die unsere zwei Reporter durch die Mitfahrt am Schiff bei ihrer Recherche unterstützen. Der KURIER übernimmt die Reisekosten für die beiden Kollegen.
Mittelmeer-Logbuch: An Bord eines NGO-Schiffes
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Tag 20, Montag: Ende der Reise
Aber selten zuvor war die Zukunft der MSF-Rettungmission so ungewiss. Der Verhaltenskodex wurde nicht unterzeichnet. Die italienische Regierung hat angekündigt, Schiffe zur Unterstützung der libyschen Küstenwache in die libyschen Territorialgewässer zu entsenden. Was das für die „Prudence“ bedeuten könnte, ist unklar, die nächste Ausfahrt könnte die Richtung weisen.KURIER-Logbuch zu Ende
Auch für uns ist die Reise beendet. Wir hatten ursprünglich mit einer Reisedauer von einer Woche gerechnet, jetzt schließen wir den Blog am 20. Tag. Wir hoffen, Ihnen einen tieferen, spannenden Einblick in die Situation im Mittelmeer geboten zu haben und bedanken uns wir die zahlreichen Emails und Reaktionen in den Sozialen Medien. Schauen Sie auch weiterhin bei uns auf kurier.at vorbei, wo es ab nächster Woche umfangreiches Video-Material von den Rettungsaktionen und dem Leben am Schiff zu sehen geben wird. Auch Ihre zugesandten Fragen werden wir in den kommenden Tagen beantworten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, bleiben Sie uns gewogen.
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Tag 20, Montag: Ende der Reise
Schichtwechsel
Für einen großen Teil der MSF-Crew ist der Dienst auf der „Prudence“ nun beendet. Teamleiter Stephan Van Diest wird von Bord gehen, ebenso die Spitalsleiterin, die Chefärztin, zwei der vier Übersetzer und einer der Beiboot-Piloten. Im Schnitt verbringen die Ärzte, Krankenpfleger, Übersetzer und Logistiker etwa zwei Monate auf dem Schiff, machen dann eine Pause oder werden Missionen in anderen Teilen der Welt zugeteilt. Die Übrigen werden die neuen Teammitgliedern in den kommenden Tagen und Wochen mit der Arbeit auf dem Schiff vertraut machen, während die „Prudence“ gereinigt und mit Vorräten beladen wird. Am Donnerstag ist die Abfahrt Richtung Libyen geplant. Schlechtes Wetter könnte den Start aber verzögern.
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Tag 20, Montag: Ende der Reise
Die „Prudence“ hat nach fast drei Wochen wieder auf Sizilien angelegt, diesmal in Catania, am Fuße des vor sich hin kokelnden Ätna. Die Ankunft im Hafen verlief problemlos, keine Verzögerungen, keine Blockade. Einen kleinen, nicht behördlichen Zwischenfall gab es allerdings kurz nach Malta. Ein Crewmitglied war plötzlich erkrankt und musste per Hubschrauber mit der Seilwinde vom Deck der Prudence geborgen werden. Er wurde in ein maltesisches Krankhaus gebraucht und ist auf dem Weg der Besserung.Am Kai in Catania warteten bereits Journalisten für italienische Medien und ein Team von Ärzte ohne Grenzen, das in Catania stationiert ist. Nachdem die Gangway festgezurrt ist, fallen sich die MSF-Kollegen in die Arme, alle sind froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
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Flüchtlingsrettung: "Haben nichts von Verbot gehört
Die Motorboote der italienischen Küstenwache erreichen die „Prudence“ kurz vor 22 Uhr am Samstagabend, rund 30 Seemeilen vor Lampedusa. Sie sollen 127 Migranten an Bord des Rettungsschiffs von Ärzte ohne Grenzen (MSF) übernehmen und auf die Insel bringen. Die Boote legen nacheinander längsseitig an. Die Männer, Frauen und Kinder steigen über eine Leiter an der Bordwand hinab. Nach einer Stunde ist der Transfer ohne Zwischenfälle abgeschlossen. „Mille grazie“, ruft die italienische Spitalsleiterin der Besatzung des zweiten Boots zu, bevor es in der Dunkelheit verschwindet.Die „Prudence“ macht sich Minuten später auf den Weg nach Catania auf Sizilien, wo MSF einen Stützpunkt unterhält. Italienische Medien berichten derweil, dass die Übergabe auf hoher See stattfand, weil dem Schiff das Anlegen in Lampedusa untersagt worden sei. Laut einer in deutschsprachigen Medien verbreiteten Meldung sei das Schiff nach Lampedusa umgeleitet worden, weil die Behörden die Einfahrt in sizilianische Häfen mit Migranten an Bord nicht erlauben wollten.
Auf der „Prudence“ ist man über die Meldungen überrascht. Man habe stets die Anweisungen des Seenotrettungszentrums der italienischen Küstenwache MRCC befolgt, sagt der MSF-Teamleiter Stephan Van Diest. „Ich habe noch nichts von diesen Verboten gehört.“
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Tag 19, Sonntag: Keine Migranten mehr an Bord
Die Zeremonie ist gerade zu Ende, als die Nachricht über Funk durchgegeben wird, dass zwei Motorboote der Küstenwache in einer halben Stunde die Menschen an Deck abholen werden. Die Prudence befindet sich rund 30 Seemeilen von Lampedusa entfernt in internationalen Gewässern. Die Geretteten werden in zwei Gruppen geteilt. Das erste Boot der Küstenwache legt längsseits an, auf einer Leiter klettern zuerst Frauen und Kinder und dann die Männer hinab. Nach etwa einer Stunde sind alle von Bord. „Mille grazie“, ruft die Spitalsleiterin der Besatzung der Küstenwache zu. Dann verschwinden die Boote in der Dunkelheit, so schnell, wie gekommen sind.
Die „Prudence“ ist nun auf dem Weg nach Sizilien. Die Hafenbehörde von Catania hat grünes Licht gegeben. Die Fahrt wird etwa 36 Stunden dauern
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Tag 19, Sonntag: Keine Migranten mehr an Bord
„Ist das libysch?“, fragen sie.
„Ja, eine libysche Plattform, aber sie ist ungefährlich.“
„Wir fahren nach Italien?“
„Eine kleine italienische Insel, ja. Aber sie ist ein Stück vom Festland entfernt.“
„Aber wann fahren wir weiter nach Italien?“
Was nun mit ihnen passiere, ist die häufigste Frage, die uns an Deck gestellt wird. Für MSF-Mitarbeiter gilt die Regel, nichts zu versprechen, was sie nicht halten können. Wie lange die Menschen auf Lampedusa bleiben, kann niemand sagen. Die Helfer verbringen den Tag damit, kleinere Leiden zu behandeln, auf die Kinder aufzupassen, Essen zu verteilen. Über das Lautsprechersystem geben sie die neuesten Entwicklungen durch. Als die Nachricht von der Abfahrt kam, war an Deck Applaus zu hören. Aber vor allem führen die MSF-Mitarbeiter Gespräche mit den Geretteten über ihre Erfahrungen in Libyen, über Gewalt, Folter, Entführungen und Zwangsarbeit.
Wir haben ebenfalls eine Reihe von Interviews geführt, die Ergebnisse der Recherche werden in den kommenden Tagen und Wochen im KURIER zu lesen sein.
Auf dem Weg nach Sizilien
Am Abend bitten die Migranten die MSF-Besatzung aufs Hauptdeck, wo sie einen Sitzkreis gebildet haben. Eine junge Frau aus Kamerun hält eine kurze Dankesrede, nach der Reihe ergreifen andere das Mikrofon, ein junger Mann singt ein Lied.
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Tag 19, Sonntag: Keine Migranten mehr an Bord
Samstagmittag hat das Warten vor Libyen ein Ende. Das MRCC in Rom weist die „Prudence“ an, nach Lampedusa zu fahren, einer kleinen italienischen Insel, näher an Tunesien als Italien, die seit Jahren Anlaufstelle und Zwischenstopp auf der Migrationsroute nach Norden ist. Dort würde die italienische Küstenwache die 127 Geretteten übernehmen.
Die systematische Seenotrettung im Mittelmeer hat in den Gewässern vor Lampedusa begonnen. Im Oktober 2013 ertranken nahe der Insel mindestens 366 Migranten, weil ihr Holzboot gekentert war. Unter anderem dieser Unfall bewegte Italien dazu, im selben Monat die Operation „Mare Nostrum“ zur Rettung von Migranten zu starten. Auf sie folgte ein Jahr später die Frontex-Mission „Triton“, 2015 schließlich die EU-Operation Sophia und die ersten NGO-Schiffe. Auch das erste der EU-Registrierungszentren, die sogenannten „Hotspots“, eröffnete auf Lampedusa.
"Ist das libysch?"
Es sind zwölf Stunden Fahrt von der Rettungszone vor Libyen. Die Brücke erhöht die Drehzahl, hinter dem Schiff verwandeln sich die gemächlichen Wasserwirbel der vergangenen Tage in ein Schwall. Junge Burschen, viele sind zum ersten Mal auf einem Schiff, bewundern das blaue Wasser des Mittelmeers. In Libyen sei es schmutzig sagen sie. In der Ferne ist eine Öl-Plattform zu erkennen.
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Tag 19, Sonntag: Keine Migranten mehr an Bord
Update: Italienische Medien berichten, dass der „Prudence“ das Anlegen im Hafen von Lampedusa verwehrt worden sei. MSF-Teamleiter Stephan Van Diest kann diese Darstellung nicht nachvollziehen, der Hafen sei für ein Schiff dieser Größe und das Transferieren einer größeren Zahl von Menschen gar nicht geeignet, weil der Kai zu niedrig sei. Die Übergabe fand in der Nacht in internationalen Gewässern statt, es sind nun keine Migranten mehr an Bord.
Eine weitere Meldung in deutschsprachigen Medien behauptet, die „Prudence“ sei die Landung auf Sizilien verboten worden. Auf dem Schiff ist davon nichts bekannt, das MRCC hat die Übergabe in Lampedusa angeordnet. Welche Absichten das MRCC mit der Umleitung nach Lampedusa verfolgte, ist von hier aus nicht festzustellen.
Das Warten hat ein Ende
Das Schiff ist nun auf dem Weg nach Sizilien. Die Hafenbehörde von Catania sei informiert und habe keine Einwände gegen das Anlegen der „Prudence“ geäußert, sagt Stephan Van Diest.
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Tag 17, Freitag: Rom lässt „Prudence“ warten
Kameruner, Senegalesen und Sierra Leoner stellen den überwiegenden Großteil der Gruppe. Die verschiedenen Nationalitäten sitzen am Deck in Grüppchen beieinander. Französisch ist die meistgesprochene Sprache. Jeder trägt ein weißes Band am Arm, das anzeigt, dass sie am Donnerstag gerettet wurden, um sie im Fall weiterer Rettungen auseinanderhalten zu können.
Auch zwei Schwangere sind an Bord. „Für schwangere Frauen, die zu uns kommen, ist es in der Regel die erste ärztliche Untersuchung“, sagt die medizinische Koordinatorin Claudia Hattinger, eine in Zell am See geborene Italienerin. Einen Fall von Fieber gebe es, das aber langsam abklingt. Ansonsten keine Notfälle oder schwere Erkrankungen. „Wir haben Glück“, sagt Hattinger.
Am Abend bauen die MSF-Helfer ein improvisiertes Kino am Deck auf. Gezeigt wird, wie schon vor einigen Tagen, als das MSF-Team noch unter sich war, „Der König der Löwen“.
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Tag 17, Freitag: Rom lässt „Prudence“ warten
Die Geretteten leben auf der Prudence zwar sicher, aber unbequem. Sie schlafen auf den Holzplatten des Hauptdecks oder auf Containerböden. Als Matraze müssen die Fleecedecken reichen, die sie bei ihrer Ankunft erhalten haben. WLAN-Zugang erhalten sie nicht, die Internetverbindung würde sonst binnen kürzester Zeit überlastet sein. Selbiges gilt für die Steckdosen, deren Zahl begrenzt ist. Um Streit über Akkuladezeiten vorzubeugen, sind sie abgeschaltet. Rauchen ist ebenfalls verboten.
Nichts außer Kleidung am Körper
Nicht, dass irgendjemand Zigaretten mithätte. Diese Gruppe ist mit ganz besonders wenigen Habseligkeiten an Bord gekommen. Niemand hatte Schuhe an. Kaum jemand hat ein Handy. „Es scheint, als ob ihnen wirklich alles abgenommen wurde“, sagt die Psychologin Frieda Andernach. „Einer ist überhaupt nur in der Unterhose gekommen.“
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Tag 17, Freitag: Rom lässt „Prudence“ warten
Kein Luxus
Dass es eigentlich schnell gehen müsste, hat den Grund, dass die Menschen an Deck nur notdürftig versorgt werden können. Einmal am Tag gibt es das immer gleiche Essenspaket: drei süße Sesamtafeln, Rosinen und Fruchtsaft. Kein Luxus-Menü, sondern haltbare 2.000 Kilokalorien. Rund 3.000 Stück davon hat das Schiff geladen, genug, um 1.000 Menschen drei Tage lang mit dem Notwendigsten zu versorgen. Am Freitagabend ist bei der Verteilung schon niemand mehr besonders begeistert darüber – aber etwas anderes gibt es nicht.
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Tag 17, Freitag: Rom lässt „Prudence“ warten
Ein Tag beginnt mit dem Bericht der Frühwache auf der Brücke: Um 7.00 Uhr sei ein Schnellboot der libyschen Küstenwache auf die „Prudence“ zugefahren. Diesmal soll ein Gewehr auf einem der Sitze gelegen sein. Es hat zwei Runden um das Schiff gedreht, nur wenige Meter von der Bordwand entfernt. Per Funk erläuterten die Libyer, dass sie auf der Suche nach zwei Holzbooten seien, die in der Gegend gesichtet worden seien. Dann zog das Boot wieder ab.
Es ist nun das zweite Mal in zwei Tagen, dass das Schiff außergewöhnlichen Besuch der libyschen Küstenwache erhält. Ob Zufall oder eine neue Strategie dahintersteckt, ist an Bord Thema von Spekulationen. Jedenfalls befindet sich die „Prudence“ seit bald 48 Stunden in einer Warteposition, ebenfalls eine neue Situation.
Warten auf Rom
Das Seenotrettungszentrum MRCC in Rom hat noch keine Anweisungen erteilt, was nun mit den Geretteten an Bord geschehen soll. Sie verbringen am Freitag bereits ihren zweiten Tag im Freien an Deck der „Prudence“, während das Schiff im Schritttempo auf und ab fährt.
Üblicherweise bleiben MSF-Schiffe mit Migranten an Bord nicht länger als einen weiteren Tag vor der Küste Libyens und machen sich dann auf den Weg nach Italien. Die Fahrt dauert zusätzlich 36 Stunden. Im Laufe des Tages wird mangels Instruktionen klar, dass das Schiff mindestens bis Samstag ausharren wird müssen. Eine ungewohnte Situation, die mit dem Nichtunterzeichnen des italienischen Verhaltenskodex durch Ärzte ohne Grenzen zusammenhängen könnte.
Update: Die "Prudence" hat die Anweisung erhalten, nach Lampedusa zu fahren. Dort sollen die Geretteten an Land gehen. Das Schiff wird die Insel in der Nacht erreichen.
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Tag 15 und 16, Mittwoch und Donnerstag
Der Mittwoch bringt nichts Neues. Die Langeweile erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt. Nachmittags breitet sich die Yoga-Gruppe am Hauptdeck aus. Seit fünf Tagen kreuzt die „Prudence“ nun durch die Gewässer etwas außerhalb der Rettungszone vor Libyen. Seit fünf Tagen hat niemand an Bord ein Migrantenboot auch nur entfernt zu Gesicht bekommen. Im Kino läuft am Abend "Vier Hochzeiten und ein Todesfall".
Am Donnerstagmorgen dann ein (überraschender) Anruf des MRCC in Rom: Ein Schlauchboot sei in etwa einer Stunde Entfernung ausgemacht worden. Die Reportage der Rettung lesen Sie hier.
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Tag 14, Dienstag: „Prudence“ im Abseits
Es könnte sich dabei um die erste Konsequenz aus der Ablehnung des Verhaltenskodex durch Ärzte ohne Grenzen (MSF) handeln. Die italienische Regierung hat bereits Anfang der Woche verkündet, dass MSF nicht mehr Teil der Rettungsoperationen vor der Küste sei. Es ist zumindest eine der denkbaren Erklärungen für die Funkstille seitens der Rettungsleitstelle.
Ebenso ist es möglich, dass sich schlicht keine Notfälle in der unmittelbaren Nähe der „Prudence“ ereignet haben. Die vergangenen zwei Wochen waren auf der Mittelmeer-Route so ruhig, dass das Jahr 2017 mit Ende Juli vorerst nicht mehr auf einen neuen Migrationsrekord zusteuert. Laut der International Organization for Migration (IOM) kamen im Juli insgesamt 10.781 Personen über die zentrale Mittelmeer-Route in Italien an. Im Vorjahr waren es noch 23.552. Ob dieser Trend anhält, ist noch nicht abzuschätzen.
Während die „Prudence“ wartete, haben andere Schiffe Rettungen durchgeführt, wenn auch in einiger Entfernung. In der zweiten Rettungszone östlich von Tripoli hat ein NGO-Schiff fast 500 Migranten und Flüchtlinge aus vier Schlauchbooten aufgenommen und macht sich nun auf den Weg nach Italien. Acht Menschen konnten nur mehr tot geborgen werden.
Simba und Yoga
Auf der „Prudence“ bereut noch kaum jemand die Entscheidung, dass der Verhaltenskodex abgelehnt wurde. Auch wenn die Helfer jetzt warten und zusehen müssen, wie andere ihre Arbeit erledigen. Sie vertreiben sich die Zeit mit Erste-Hilfe-Übungen, Lesen und Kartenspielen. Am späten Nachmittag fand am Hauptdeck eine Yoga-Stunde statt. Den zweiten Abend in Folge wurde im improvisierten Kino in einem der Container ein Film gezeigt. Gestern war es „Per Anhalter durch die Galaxis“, heute „Der König der Löwen“.
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Tag 14, Dienstag: „Prudence“ im Abseits
Die frühen Morgenstunden brachten auch heute keinen Notruf. Die „Prudence“ hat den Tag 24 Seemeilen vor der libyschen Küste verbracht, nahe genug, um auf Anweisung der römischen Rettungsleitstelle MRCC rasch am Ort des Geschehens zu sein, aber wohl zu weit enfernt, um von alleine Migrantenboote zu entdecken. „Stand-by-Modus“, nennt das ein Crewmitglied. Vom MRCC kamen keine Anweisungen.
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Tag 13, Montag: "Keine Polizisten, egal ob mit oder ohne Waffen
Am Montag gab MSF bekannt, den Verhaltenskodex der italienischen Regierung nicht zu unterschreiben. Die Organisation gab drei Gründe dafür an: Man könne keine italienischen Polizisten an Bord akzeptieren; das Verbot von Transfers zwischen NGO-Schiffen würde dazu führen, dass weniger Kapazitäten in der Rettungszone vorhanden sind und neue Regelungen zur Zuständigkeit des Seenotrettungszentrum MRCC würden für Verwirrung sorgen.
Aber der Hauptgrund bleibt die Präsenz von möglicherweise bewaffneten Polizisten an Bord. Das würde dem Grundprinzip der Neutralität der Organisation widersprechen.
Was die MSF-Crew der „Prudence“ darüber denkt – und was die Folgen der Entscheidung sein könnten – lesen Sie hier.
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Tag 12, Sonntag: Rätselraten um ruhige Mittelmeer-Route
Vor allem aber will Italien Kriegsschiffe zum Abfangen von Migrantenbooten in die libyschen Territorialgewässer schicken. Das italienische Parlament wird ab Dienstag über die Entsendung beraten, die die weitere Entwicklung der Mittelmeer-Route grundlegend beeinflussen könnte.Vergangene Woche vermittelte außerdem der französische Staatspräsident Emmanuel Macron eine fragile Waffenruhe zwischen der eher ohnmächtigen Einheitsregierung in Tripoli unter Fayez al-Sarraj und den Kräften der Gegenregierung in Tobruk, die vom General Khalifa Haftar vertreten wird. Die Schlepperstrände befinden sich größtenteils im schwachen Einflussbereich der Regierung Sarraj.
Libysches Chaos
Bleiben noch die zahlreichen bewaffneten Milizen, die zum Teil auch von der Schlepperei nach Europa profitieren. Die geringe Anzahl von Migrantenbooten in den vergangen Tagen könnte auch mit Berichten von Kämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen in der Gegend um Sabrata zusammenhängen, von wo aus der Großteil der Boote in Richtung Rettungszone startet. Hinzu kommen Berichte, dass sich Kämpfer der Terrormiliz IS nach schweren Verlusten im Osten des Landes rund um die Schlepperhochburg neu gruppieren. Auch die libysche Küstenwache dürfte in den vergangenen Tagen recht aktiv gewesen sein.
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Tag 12, Sonntag: Rätselraten um ruhige Mittelmeer-Route
Europa in Bewegung
Die italienische Regierung will NGOs mit ihrem Verhaltenskodex an die kurze Leine nehmen – und einige vermutlich auch zum Aufhören bewegen. Am Montag soll feststehen, welche Organisationen den Kodex unterschreiben werden. Bei Weigerung könnte die italienische Regierung den betreffenden NGOs die Nutzung italienischer Häfen verbieten. Die Position von Ärzte ohne Grenzen ist noch unklar.
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Tag 12, Sonntag: Rätselraten um ruhige Mittelmeer-Route
Ob Druck aus Europa oder innerlibysche Entwicklungen – über die genauen Gründe für die ungewöhnlich geringe Anzahl an Booten herrscht Bord der „Prudence“ Rätselraten. Es könnten aber entscheidende Tage für die MSF-Mission im Mittelmeer und die Mittelmeer-Route an sich bevorstehen. Mehrere Faktoren kommen hier ins Spiel. -
Tag 12, Sonntag: Rätselraten um ruhige Mittelmeer-Route
Am Sonntag war für die Besatzung der „Prudence“ einmal mehr wenig zu tun. Ein irisches Marineschiff hat ein Schlauchboot mit rund 109 Migranten gesichert und an ein Schiff der italienischen Küstenwache übergeben. Ein weiteres Schlauchboot wurde offenbar von der libyschen Küstenwache abgefangen und die Insassen zurück auf das Festland gebracht. Das war es auch schon. Das MSF-Team nutzte die Zeit und das weiterhin gute Wetter für eine Rettungsübung mit den Beibooten.
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Tag 11: Woher Migranten das Geld haben
Zurück auf die "Prudence": Der Rest des Tages verläuft ereignislos. Dabei wäre das Wetter für Migrantenboote eigentlich günstig. Niemand an Bord weiß genau, was im Chaos-Staat Libyen gerade vor sich geht und was die Schlepper davon abhält, Boote aufs Meer zu schicken. Auf früheren Fahrten sei es jedenfalls schon vorgekommen, dass bei gutem Wetter zehn Tage lang kein einziges Migrantenboot vor der 12-Meilen-Zone ankam, sagen MSF-Crewmitglieder. Wenn Boote kommen, dann manchmal plötzlich in großen Zahlen. Das gute Wetter soll bis Montag anhalten. -
Tag 11: Woher Migranten das Geld haben
Kaum angekommen, drehen wir schon wieder um. Das Boot sei von der italienischen Küstenwache gefunden worden. An Bord sollen nicht fünf, sondern überhaupt nur zwei Personen gewesen sein. Die Syrer sollen das Boot gekauft haben und auf eigene Faust in der Nacht losgezogen sein, um die brutalen Schlepper zu umgehen. Sie hatten Glück, von den Italienern entdeckt zu werden. Syrer und Nordafrikaner, heißt es, hätten meist mehr Geld zur Verfügung, als etwa Migranten aus Subsahara-Afrika.Überweisung oder Prügel
Doch selbst die Ärmsten haben umgerechnet mindestens mehrere Hundert Euro für die Überfahrt zu bezahlen. Eine häufige Frage: Woher kommt das Geld?
Migranten sind in Libyen häufige Opfer von Erpressungen, müssen sich aus illegalen Kerkern freikaufen oder bei Kidnappings unter Folter- und Gewaltanwendung Lösegeld zahlen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es läuft meist nach demselben Muster ab: Die Erpresser zwingen ihre Opfer dazu, bei ihren Familien und Freunden in der Heimat anzurufen und um Geld zu bitten. Die Überweisungen erfolgen über Geldtransferdienste. Auf diese Weise gelangen tagtäglich große Geldsummen nach Libyen. Wie viel es ist, weiß niemand.
Gerettete auf der "Prudence" haben uns diese Vorgangsweise beschrieben. MSF-Mitarbeiter und Berichte der Vereinten Nationen untermauern die Erzählungen. Und nicht nur bei Lösegeldern, eben auch bei der Bezahlung von Schleppern dürften die Überweisungen zurückgebliebener Familien eine Rolle spielen. Es gibt auch Berichte, dass Migranten die Kosten der Bootsfahrt vorher abarbeiten müssen.
Wetter bleibt gut
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Tag 11: Woher Migranten das Geld haben
Der Samstag beginnt 24 Seemeilen vor der libyschen Küste und mit einem Notruf des Seenotrettungszentrums MRCC in Rom. Ein kleines Boot wurde auf der Höhe von Tripoli gesichtet, fünf Menschen an Bord. Die "Prudence" und ein weiteres NGO-Schiff werden angewiesen, nach Osten zu fahren.
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Tag 10, Samstag: "Da draußen warten die großen Schiffe
Nachtfahrt nach LiybenDie „Prudence“ hat nach einem zweitägigen Zwischenstopp den Hafen von Valetta verlassen und sich wieder auf den Weg in die SAR-Zone in Libyen gemacht. Voraussichtliche Ankunftszeit ist Samstagfrüh zwischen 7 und 8 Uhr. Der Wetterbericht sagt gute Bedingungen für das Starten von Booten am Samstag und am Sonntag voraus. Mit 11 bis 12 Knoten fährt das Schiff knapp an seiner Höchstgeschwindigkeit von etwa 13 Knoten.
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Tag 10, Samstag: "Da draußen warten die großen Schiffe
Schlepper mit Überblick
Ein Leser des Logbuchs hat uns gefragt, ob die Migranten schon vorher wüssten, dass es vor der Küste Schiffe gibt, die Menschen aus Seenot retten und nach Italien bringen. Zumindest jene in dem Holzboot, mit denen wir gesprochen haben, waren über die Präsenz von Schiffen informiert. Aber versprochen wurde offenbar nichts. Dass Absprachen im Spiel sind, wird von MSF und anderen NGOs auch immer wieder scharf dementiert.
Denn im Allgemeinen ist Kontaktaufnahme gar nicht notwendig. Die Schlepper wissen sehr genau, was vor der libyschen Küste passiert. So wie jeder andere mit einem Internet-Anschluss können auch sie die Positionen und Routen der NGO-Schiffe auf frei zugänglichen Webseiten nachverfolgen (z.B.: vesselfinder.com, marinetraffic.com). Außerdem erkunden sie die Lage vorab mit ihren Motorbooten, wohl auch, um die vollgepferchten Schlauchboote nicht aus den Augen zu verlieren. Auf den Booten befinden sich noch die wertvollen Außenbordmotoren, die sie bei Gelegenheit nach der Rettung abmontieren und wiederverwenden.
Laut dem Bericht des „Sophia“-Kommandeurs passen sie sich bei der Erkundung sehr geschickt den Gegenmaßnahmen der Kriegsschiffe an, indem sie sich etwa als Fischer tarnen und so tun, als würden sie Netze auswerfen. Die Sichtung eines oder mehrerer dieser „Fischerboote“ gilt deshalb als Omen dafür, dass bald Migrantenboote am Horizont auftauchen könnten.
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Tag 10, Samstag: "Da draußen warten die großen Schiffe
Eigentlich hätte der Schlepper, dem Radhi Hamoud 4000 libysche Dinar (ca. 2500 Euro) gezahlt hatte, Essen und Rettungswesten mitbringen sollen. Jetzt war davon keine Rede mehr. Rein in das kleine Holzboot zu den 24 anderen, lautete der Befehl. „Jeder weiß, dass sie die Leute prügeln, wenn sie sich beschweren“, sagt Hamoud. „Oder sie erschießen sie und werfen sie über Bord.“
Während die Sonne unterging, stach die Nussschale in See, begleitet von einem Motorboot, in dem die Schlepper saßen. In einem von Wikileaks veröffentlichten Bericht über das zweite Halbjahr 2015 erzählt der Kommandeur der EU-Operation „Sophia“, dass die Schlepper dazu übergegangen seien, ihre Boote bis zum Rand der libyschen Gewässer zu eskortieren. Sie würden damit verhindern, dass rivalisierende Gruppen den Insassen am Weg noch einmal Lösegeld abpressen.
„Habt keine Angst“, sagte laut Hamoud einer der Schlepper. „Da draußen sind die großen Schiffe, die werden euch holen.“ Am Ende ließen sie das Migrantenboot knapp außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer alleine in der Dunkelheit. Zwei Stunden später tauchte es als leuchtender Fleck am Radar der „Prudence“ auf.
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Tag 8 und Tag 9
Das NGO-Schiff befindet sich im Hafen von Malta, der Blog macht Pause. Am Freitag geht es wieder los in Richtung libysche Küste.
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Tag 7, Dienstag: Warum Italien?
Tunesische Option?
Tunesien liegt nur einen Katzensprung vom Rettungsgebiet entfernt. Es ist die einzige Demokratie im arabischen Raum. Im Vergleich zu Libyen eine rechtsstaatliche Oase. Wäre Tunesien ein sicheres Land für die geretteten Migranten?
Für die NGOs stellte sich diese Frage bisher nicht, weil sie von der italienischen Regierung ohnehin immer die Erlaubnis erhielten, die italienischen Häfen anzulaufen. Sie konnten unkompliziert davon ausgehen, dass das Land für alle an Bord Befindlichen als sicher einzustufen ist.
Fraglich ist jedenfalls, ob die tunesischen Behörden eine massenhafte Ankunft von Migranten überhaupt erlauben würden. Das Land beherbergt bereits etwa eine Million libysche Flüchtlinge.
Link: Agenda der Europäischen Kommission hinsichtlich Migration
Bundeskanzler Christian Kern holte sich diesbezüglich bereits eine Absage. Außenminister Sebastian Kurz favorisierte jüngst die italienische Insel Lampedusa, die ebenfalls schnell zu erreichen wäre. Dort regte sich sogleich heftiger Widerstand. Auch Malta hat bereits eine größere Zahl von Migranten aufgenommen.
So wie Kapitäne verpflichtet sind, Menschen in Seenot zu helfen, sind zwar meist auch die sicheren Zielländer dazu angehalten, Schiffbrüchige aufzunehmen. Aber die Ankündigung der italienischen Regierung, ihre Häfen notfalls für NGO-Schiffe zu schließen, zeigt, dass auch diese Regelung relativ ist. Tunesien könnte sich ebenso verhalten.
Das bisherige Prozedere scheint hauptsächlich deshalb zu funktionieren, weil sich Italien bereit erklärt hat, alle Migranten aufzunehmen.
Zurück auf Malta
Die "Prudence" hat sich übrigens noch am Dienstag-Vormittag auf den Weg nach Malta gemacht. Das schlechte Wetter in der Rettungszone würde das Starten von Migrantenbooten in den kommenden Tagen verhindern, daher könnten auf Malta die Vorräte aufgestockt werden, so das Kalkül. Noch am selben Tag wurden von dem NGO-Schiff "Open Arms" vor Libyen 13 Tote geborgen.
Um 10:00 Uhr heute Früh (Mittwoch) hat die "Prudence" schließlich in Valetta angelegt, nach einem wilden, 24-stündigen Ritt durch raue See. Kaugummis und Tabletten gegen Seekrankheit haben reißenden Absatz gefunden. Der Aufenthalt soll ein bis zwei Nächte dauern. Danach geht es wieder in Richtung Libyen.
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Tag 7, Dienstag: Warum Italien?
Hier kommt die nicht unkomplexe Rettungs-Logistik in der SAR-Zone zum Tragen. Wer nimmt die Geretteten auf? Wer hat noch Platz für mehr? Wer fährt zurück nach Italien, wer bleibt noch unten?
Und warum überhaupt Italien?
Nicht alle NGO-Schiffe haben die Kapazität, Hunderte Menschen über Tage hinweg zu versorgen. Kleinere Schiffe holen zwar Migranten aus dem Meer, bringen sie aber nicht selbst zurück nach Italien, sondern transferieren sie auf größere Schiffe, wie "VOS Hestia" oder die "Prudence". Diese Transfers, die regelmäßig auch mit der italienischen Küstenwache stattfinden, sollen laut dem neuesten Entwurf des "Code of Conduct" für NGOs der italienischen Regierung in Zukunft nicht mehr stattfinden dürfen. Die Transfers werden derzeit von der zuständigen Seenotrettungsleitstelle MRCC in Rom koordiniert.
Eine der häufigsten Leserfragen betrifft die Wahl des Ziellands, in dem die Migranten auf der Mittelmeer-Route an Land gehen. Bisher war es fast immer Italien. Zwischen 30 und 40 Prozent der Geretteten entfallen auf die NGOs, der Rest geht auf Schiffe der italienischen Küstenwache, der EU-Operation "Sophia" und der Frontex-Mission "Triton", die die Geretteten ebenfalls hauptsächlich nach Sizilien und Süditalien bringen. Auch Handelsschiffe führen Rettungen durch.
Die zahlreichen Kriegsschiffe in der Umgebung sind übrigens auf den Tracking-Karten im Internet nicht zu sehen. Sie schalten ihre Transponder nur dann ein, wenn sie eine Rettungsaktion koordinieren.
Ministerium entscheidet
Wesentlich ist: Welchen italienischen Hafen sie anlaufen dürfen, entscheiden nicht die NGOs, sondern das italienische Innenministerium. Das geschieht meist ein bis zwei Tage im Voraus, damit die Behörden die notwendige Infrastruktur für Gesundheits- und Sicherheitschecks und die Registrierung gewährleisten können.
Die Koordination erfolgt über das von der italienischen Regierung unterhaltene MRCC in Rom. Es ist im weltweiten Netz der MRCC-Filialen derzeit für den Meeresbereich vor Libyen zuständig, unter anderem, weil es in Libyen noch keine vergleichbare Einrichtung gibt. Auch deshalb ist zunächst eben Italien dazu angehalten, die Geretteten an Land zu lassen.
Sichere Häfen
Wie Seenotrettungen ablaufen, ist in zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen, Protokollen und Richtlinien geregelt.
Die kurze Version: Die Geretteten müssen an einem für sie sicheren Ort gebracht werden. Am besten zum nächstgelegenen, das rettende Schiff soll ehestmöglich entlastet werden.
Wo der sichere Ort sein könnte, hängt von mehreren Faktoren ab. Würden die Leute dort verfolgt? Ist Verpflegung und medizinische Versorgung gewährleistet? Es ist zuerst der Kapitän des Schiffes, der einschätzen muss, wie es um die Menschen steht und welcher Ort sicher sein könnte.
Libyen ist derzeit nach Ansicht der NGOs, aber offenbar auch für das MRCC und die Kapitäne der Kriegsschiffe, keine Option als nächster sicherer Hafen. Migranten haben dort Mord, Folter, Zwangsarbeit, Vergewaltigung und Entführungen durch Schlepper und kriminelle Organisationen im großen Stil zu befürchten, wenn es nach Medienberichten und den Geschichten geht, die Migranten nach ihrer Rettung erzählen. Wir sind gerade dabei, diese Geschichten zu sammeln, so weit wie möglich zu verifizieren und aufzubereiten.
Für die Strecke zwischen der Rettungszone vor Libyen bis nach Sizilien braucht ein Schiff wie die "Prudence" etwa 36 Stunden. Im konkreten Fall der Rettungsaktionen vor Libyen kommt zusätzlich zum Tragen, dass der Hafen innerhalb von zwei bis drei Tagen erreichbar sein sollte. Viel länger sind Hunderte Menschen auf offenem Deck schwer zu versorgen. Da fallen ägyptische Häfen wohl bereits aus, Korsika wäre gewagt, die Adria ebenfalls. Bleibt Tunesien.
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Tag 7, Dienstag: Warum Italien?
Es blieb am Montag dann doch nur bei dem kleinen 25-Personen Boot. Und selbst diese Geretteten wurden nach wenigen Stunden auf ein anderes NGO-Schiff, die "Phoenix", transferiert. Es hieß, die "Phoenix" habe ohnehin schon "Gäste" an Bord und würde bald nach Italien zurückkehren. Die "Prudence" hingegen hat mit über 1000 Personen die größte Kapazität aller NGO-Schiffe vor der Küste. Sie mit nur 25 zurückzuschicken, sei nicht sinnvoll, sagte der MSF-Teamleiter an Bord.
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Tag 6, Montag: Nachtrettung vor Libyen
Die Geretteten auf der "Prudence" berichten inzwischen, dass weitere Gruppen zeitgleich mit ihnen vom libyschen Strand gestartet seien. Zwei Boote sollen schon vor ihnen im Wasser gewesen sein. Die Schlepper bereiten offenbar eine größere Zahl von Schlauchbooten vor. "Könnte ein langer Tag werden", sagt der Tunesier Oussama Omrane, der schon auf allen vier Schiffen gearbeitet hat, die seit 2015 für MSF im Einsatz waren. Die Gruppe aus dem Holzboot wird jedenfalls nicht mit der "Prudence" nach Italien fahren. Am Nachmittag wird sie das Beiboot zu einem anderen NGO-Schiff transferieren, dass schon früher auf das Festland zurückkehrt. -
Tag 6, Montag: Nachtrettung vor Libyen
Es ist gängige Praxis der Ärzte ohne Grenzen (MSF), die Boote intakt zu lassen. "Zu unserer eigenen Sicherheit", sagt Stephan Van Diest, der Teamleiter der MSF an Bord. Man wolle sich nicht zum Ziel jener Unbekannten machen, mutmaßliche Schlepper, die mit ihren Motorbooten häufig Rettungsaktionen aus sicherer Entfernung abwarten und hinterher die Motoren abmontieren, um sie in Libyen zu verkaufen – oder für das nächste Flüchtlingsboot zu verwenden. Vergangenen Sonntag erst hatte die Besatzung durch Feldstecher beobachtet, wie ein kleines Motorboot nach einer Rettung verdächtig nahe an einem der leeren Schlauchboote Halt machte.
Vor allem aber würde die Qualität der Boote – und damit die Sicherheit der Insassen – abnehmen, je mehr von ihnen nach den Rettungen versenkt werden, sagt Van Diest. Er bezieht sich unter anderem auf eine parteiübergreifende Untersuchung im House of Lords, dem Oberhaus des britischen Parlaments. Sie kam Mitte Juli zu dem Ergebnis, dass das Versenken der leeren Boote, etwa durch Schiffe der EU-Mission "Sophia", eine Steigerung der Totenzahlen auf der Mittelmeer-Route bewirkt habe. Weil viele ihrer Holzboote zerstört wurden, seien die Schlepper auf die gefährlicheren Schlauchboote umgestiegen, so die Conclusio. Zu demselben Schluss kommt eine Untersuchung, die Forscher der Universität London durchgeführt haben, die sich wiederum auf einen Halbjahresbericht der Operation "Sophia" stützen.
Der Umgang mit den leeren Booten ist ein heiß diskutiertes Thema. Nicht nur die Kriegsschiffe, auch manche NGOs sind dazu übergegangen, sie nach der Rettung in Brand zu setzen. In ihrem neuen Regelwerk für NGOs will die italienische Regierung die Organisationen dazu verpflichten, die Boote samt Motoren wenn möglich einzubehalten, um den Schleppern die Arbeit zu erschweren. Der UNHCR-Sondergesandte für das Mittelmeer, Vincent Cochetel, wiederholte am Rande Treffens zwischen afrikanischen und EU-Ministerin in Tunis seine Forderung, Schlepperboote systematisch zu zerstören oder zu beschlagnahmen.
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Tag 6, Montag: Nachtrettung vor Libyen
Mit der Zeit sei die Lage in Libyen aber immer chaotischer und gewalttätiger geworden. "Ich habe Morde gesehen. Es gibt ständig Kidnappings. Ich wurde eingesperrt, geprügelt und musste mich mehrmals freikaufen." Zurück in den Jemen, wo mittlerweile ein blutiger Bürgerkrieg tobt, könne er nicht, sagt Hamoud. Also hätten er und drei seiner Freunde 4000 Dinar (2500 Euro) pro Person bezahlt, um in dem wackeligen Holzboot mitfahren zu können, das die "Prudence" in der Früh aufgelesen hat. "Ich habe im Fernsehen die Berichte von den Unglücken im Mittelmeer gesehen. Die Chance, dass ich in Europa bleiben kann, liegt bei vielleicht fünf Prozent", sagt Hamoud. "Aber das ist mir viel lieber, als noch länger in Libyen zu bleiben."
Während die Geretteten Schlange stehen, um von einem Crewmitglied nach gefährlichen Gegenständen abgetastet zu werden, driftet das bunte Holzboot in der Morgensonne davon. Zuvor hat es die Beiboot-Mannschaft noch mit einer Spraydose markiert, in roten Lettern leuchtet am hellblau gestrichenen Deck das heutige Datum und das Kürzel "SAR" für "Search and Rescue".
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Tag 6, Montag: Nachtrettung vor Libyen
"Angst hatte ich keine", sagt Hamoud, in Libyen hätte er Schlimmeres erlebt. Warum ausgerechnet Libyen? "Ich hatte Freunde dort, die gemeint haben, dass es Arbeit gibt", sagt er. "Außerdem war es das günstigste Visum in den umliegenden Ländern." Ein Visum für Saudi Arabien hätte damals umgerechnet 2600 Dollar gekostet. Eines für Libyen nur 500 Dollar. Hamoud hielt sich in Tripoli mit einfachen Jobs und als Bauarbeiter über Wasser, für einen Bruchteil des Lohns, den ein Einheimischer erhält.
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Tag 6, Montag: Nachtrettung vor Libyen
Die Herkunftsländer der Bootsinsassen sind Syrien, Palästina und Jemen. Am Vorabend um 21:10 Uhr seien sie von der libyschen Stadt Sabrata aus in See gestochen, sagt Radhi Hamoud, 27, ein ehemaliger Architekturstudent aus dem Jemen. Acht Stunden haben sie mit ihrem schwachen Motor gebraucht, um die zwölf Seemeilen der libyschen Hoheitsgewässer zu überwinden. Die Schlepper hätten sie noch bis dahin noch auf einem zweiten Boot begleitet. Für zwei Stunden, bis die „Prudence“ aufkreuzte, waren sie komplett alleine in der Dunkelheit.
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Tag 6, Montag: Nachtrettung vor Libyen
Das bunt angestrichene, vollbesetzte Holzboot ist mit einer Länge von nicht mehr als acht Metern ungewöhnlich klein. Auch die Anzahl der Insassen sei untypisch gering, sagen die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen (MSF), die seit bald einer Woche auf dem Rettungsschiff „Prudence“ im Mittelmeer unterwegs sind, um Migranten und Flüchtlinge aus dem Meer zu holen und nach Italien zu bringen. Eine der Frauen im Holzboot umklammert ein weinendes Mädchen, das nicht älter als fünf Jahre ist. Ihr Kopf ragt gerade noch aus der orangen Rettungsweste hervor. Frauen und Kinder zuerst, nach etwa 15 Minuten ist die Rettung abgeschlossen.
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Tag 6, Montag: Nachtrettung vor Libyen
Noch vor Sonnenaufgang, kurz vor fünf Uhr Früh, reißt ein Funkspruch die Besatzung der „VOS Prudence“ aus dem Schlaf: In einer Seemeile Entfernung treibt ein Boot im Meer. "Alle an Deck", befiehlt die Stimme in ruhigem Ton. Das Meer vor der Küste Libyens liegt glatt und tintenschwarz in der Dunkelheit. Im Lichtkegel des Suchscheinwerfers ist ein heller, schaukelnder Fleck zu erahnen. Worum es sich genau handelt, ist unklar, es könnte auch ein Fischer sein. Die Besatzung lässt eines der Beiboote zu Wasser. Kurz darauf die Bestätigung per Funk: Insgesamt 25 Personen sind an Bord eines Holzboots zusammengepfercht, unter ihnen drei Frauen, fünf Kinder und mindestens ein Baby. Die drei Männer im Beiboot verteilen die Rettungswesten.
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Tag 5, Sonntag: "Sie fahren zu schnell, um Flüchtlingsboote zu sein
Wie groß die Dichte an NGO-Schiffen in der SAR-Zone ist, zeigt die Tatsache, dass am Ende der Rettungsaktion noch zwei weitere auftauchen, darunter die "VOS Hestia" der NGO Save the Children, ein Quasi-Schwesternschiff der "Prudence". Die "Hestia" ist etwas kleiner.Der Rest des Tages verläuft ereignislos, es kommen keine Zuweisungen des MRCC mehr. Das Hauptdeck ist weiterhin verwaist. Am Abend wird dort mit einem aufblasbaren Strandball Fußball gespielt. In der Ferne sind Delfine zu sehen. Die Windstille macht die nordafrikanische Schwüle bleischwer. Dafür ist das Meer glatt. Bis morgen Nachmittag soll es so bleiben. Dann schließt sich das Fenster für die Migrantenboote wieder. Für Anfang nächste Woche ist Sturm angesagt.
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Tag 5, Sonntag: "Sie fahren zu schnell, um Flüchtlingsboote zu sein
Während der gesamten Aktion ist in sicherer Entfernung ein graues Motorboot zu sehen, das ein wenig so wirkt, als ob es in Lauerstellung läge. Schließlich nähert es sich einem der leeren Schlauchboote, bleibt einige Minuten in seiner unmittelbaren Nähe und macht sich anschließend mit Vollgas davon. "Bloody Bastards", sagt die Hebamme Angelina Perri, die die Rettung vom Hauptdeck aus verfolgt hat. Sie kennt das Szenario so gut wie alle anderen, die schon länger an Bord sind: Die Personen in dem grauen Boot, womöglich die Schlepper selbst, warten bis die Migranten gerettet sind. Dann montieren sie die Motoren ab. In Libyen verkaufen sie die Maschinen weiter – oder benutzen ihn für das nächste wackelige Schlauchboot. So die These. Was genau die Personen beim Schlauchboot angestellt haben, war aus der Ferne auch mit Feldstechern nicht genau zu sehen.
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Tag 5, Sonntag: "Sie fahren zu schnell, um Flüchtlingsboote zu sein
Es dauert eine Weile, bis mit dem MRCC in Rom abgestimmt ist, was mit dem dritten Boot passieren soll. Schließlich entscheidet die Leitstelle, dass nicht die "Prudence" die Menschen aufnehmen soll, sondern ein anderes Schiff, das bereits Gerettete an Bord hat und bald nach Italien zurückkehrt.Mysteriöses Motorboot
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Tag 5, Sonntag: "Sie fahren zu schnell, um Flüchtlingsboote zu sein
Die Schlauchboote selbst sind grau. Wie sich herausstellt, tragen die Insassen zum überwiegenden Großteil bereits orange Rettungswesten, was oft nicht der Fall ist. Die "Prudence" lässt ihr Beiboot zu Wasser, um das abgedriftete Boot zu sichern. Alain der Franzose, der Übersetzer Laith Mohammad und ein Pilot der Reederei brauchen keine drei Minuten, um das Boot zu erreichen, das überwiegend mit Menschen aus Guinea-Bissau, Mali und Kamerun besetzt ist. Zwanzig Frauen sind darunter und drei Kinder. -
Tag 5, Sonntag: "Sie fahren zu schnell, um Flüchtlingsboote zu sein
Nach etwa einer Stunde tauchen die Schlauchboote als auf und ab wogende orange Würste am Horizont auf. Ein anderes NGO-Schiff, "Open Arms", ist bereits dabei, die Insassen der zwei Boote aufzunehmen. Das Dritte driftet unbehelligt in ein paar Hundert Metern Entfernung. Die "Prudence" hält nun direkt an der Grenze zu den libyschen Hoheitsgewässern Position. -
Tag 5, Sonntag: "Sie fahren zu schnell, um Flüchtlingsboote zu sein
Im Laufe des Vormittags sind in Abständen drei Schnellboote in der Zone aufgetaucht. „Wir wissen nicht, wer sie sind, auf jeden Fall fahren sie zu schnell, um Flüchtlingsboote zu sein“, sagt Alain, ein Franzose und einer der Beiboot-Piloten von MSF, der zwischen sechs und sieben Uhr Ausschau gehalten hat. „Könnten Fischer sein. Oder auch nicht.“Einige am Schiff deuten die mysteriösen Boote als sicheres Zeichen dafür, dass bald die Schlauchboote kommen. Das sei schon des Öfteren beobachtet worden. Möglicherweise will da jemand die Bedingungen erkunden. Niemand weiß genaues.
Dass das Vorzeichen korrekt war, wird uns nach dem Mittagessen bestätigt, als die Schiffsmotoren aufheulen und kurz darauf die Funkgeräte anspringen: „MRCC hat uns benachrichtigt, dass drei Schlauchboote 50 Minuten entfernt sind“, gibt MSF-Teamleiter Stephan Van Diest von der Brücke aus durch. "Legt euch nicht schlafen."
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Tag 5, Sonntag: "Sie fahren zu schnell, um Flüchtlingsboote zu sein
Tag drei in der SAR-Zone vor Libyen. Kurz nach Sonnenaufgang befindet sich die "Prudence" 18 Seemeilen vor dem Festland, noch ein Stückchen von den libyschen Hoheitsgewässern entfernt, die bei 12 Seemeilen beginnt. Die Sicht ist schlecht, ein Dunstschleier verdeckt die Küste, die wir seit unserer Ankunft noch nicht gesehen haben. Seit fünf Uhr morgens wechseln sich die MSF-Crewmitglieder stündlich beim Ausschauhalten auf der Brücke ab.
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Tag 4, Samstag: Auf der Brücke
Die frische Wäsche ist notwendig, weil Gerettete oft mit beschädigter, stark verschmutzter Kleidung ankommen. Ab und zu vermischt sich in den Flüchtlingsbooten auch ausgelaufener Treibstoff mit Meereswasser. Die Kombination wirkt stark ätzend. Verbrennungen auf der Haut gehören zu den häufigeren Verletzungen, die das medizinische Personal an Bord behandelt. Ist die Kleidung mit der Mischung getränkt, schmelzen bei Berührung selbst die Latex-Handschuhe der Krankenpfleger.
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Tag 4, Samstag: Auf der Brücke
Am Hauptdeck ist bereits alles vorbereitet: Rettungswesten hängen in orangen Trauben von den Containerwänden. An der Reling sind improvisierte Pissoirs aus Trichtern und Schläuchen angebracht, die über die Außenwand ins Meer führen. Unter dem großen Wellblechdach lagern die sogenannten „Day-One-Kits“, Rucksäcke mit dem Allernötigsten, die an Gerettete verteilt werden.Der Inhalt:
Leichte Sportjacke
Leichte Hose
Ein Paar Socken
Fleece-Decke
Kleines Handtuch
Ein Stück Seife
0,5l Flasche stilles Wasser (zum späteren Wiederauffüllen)
Ein Packerl Fruchtsaft
Notfall-Essensrationen
Sesam-Cracker -
Tag 4, Samstag: Auf der Brücke
Die Brücke ist sein Reich. Sie bietet nicht nur die beste Aussicht an Bord. Der Maschinenlärm wirkt hier, hoch über dem Meer, gedämpft. Von der Brücke aus überwacht die MSF-Crew mit Feldstechern die Umgebung. Auch das schiffseigene Radar ist in der Lage, Flüchtlingsboote zu erkennen. „Aber es hat noch nie jemand bei uns angerufen“, sagt Catania. Höchstens würden Migranten in der Nacht mit den Taschenlampen ihrer Mobiltelefone auf sich aufmerksam machen.Warten auf die Boote
Flüchtlingsboote wurden auch heute, am zweiten Tag in der SAR-Zone nicht gesichtet. Das lange Warten geht weiter. Der Wellengang vor der Küste ist nach wie vor recht schwer. In der Nacht soll der Wind dann abflauen. Mit den ersten Booten wird in der Früh gerechnet.
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Tag 4, Samstag: Auf der Brücke
Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem es sich wiederholt. Übersetzer Laith Mohammad, 35, lebt mit Unterbrechungen seit zwei Monaten auf dem Schiff. Das bedeutet, dass er grosso modo 84 Mal gegrillte Melanzani vorgesetzt bekommen hat. „Ich mag Melanzani ja“, sagt er. „Aber sie schmecken einfach jeden Tag gleich.“Das sehr gute Essen an Bord soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Prudence kein Kreuzfahrtschiff, sondern ein Nutzfahrzeug ist. De facto ein schwimmender Lastwagen. Sie wurde gebaut, um sich im Winter durch die Nordsee zu entlegenen Ölplattformen durchzukämpfen. Komfort ist dabei zweitrangig. Die mächtigen 6000-PS-Dieselmotoren dröhnen und hämmern 24 Stunden am Tag. Stillen Ort gibt es an Bord keinen, auch nicht am stillen Örtchen oder in den spartanischen (aber nicht ungemütlichen) Kabinen. In Letzteren ist die Klimaanlage laut, kalt und nicht abzudrehen. Es schaukelt ständig, auch bei leichtem Wellengang. An Deck muss man immer darauf achten, wo man hintritt und dass einen der Stahlhaken des Hydraulik-Krans nicht einen Kopf kürzer macht. Und immer ist irgendetwas „freshly painted“.
Auf der Brücke
Abgesehen davon ist die Prudence ein grundsolides, beeindruckendes Gefährt. Sie habe in diesen Gewässern schon Stürme mit neun Meter hohen Wellen bewältigt, sagt der Kapitän Pietro Maurizio Catania, ein Sizilianer. „Das Schiff ist sicher. Das gefährlichste auf See ist menschliches Versagen.“ Kapitän und Crew gehören zu Schiff und Reederei, nicht zu Ärzte ohne Grenzen. Die Rettungsfahrten unterscheiden sich komplett von den üblichen Versorgungsmissionen der Prudence. „Wir haben Mann-über-Bord-Notfälle, Leute in Panik, das ist alles sehr gefährlich. Es gibt dabei immer die Möglichkeit, dass Menschen ertrinken oder in die Schiffsschraube geraten“, sagt Catania.
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Tag 4, Samstag: Auf der Brücke
Dass es sich bei der Prudence um ein italienisches Schiff handelt, erkennt man am Speiseplan. Erster Gang: Antipasti-Buffet. Zweiter Gang: Pasta. Dritter Gang: Fisch oder Fleisch. Jeden Tag, mittags und abends, kocht Küchenchef Antonio in rauen Mengen auf. Er versteht sein Handwerk, gutes Restaurant-Niveau ist keine Übertreibung. Auf dem Meer kann sich niemand aussuchen, wo er isst. Essen schlecht, Stimmung schlecht. Nicht umsonst heißt es, der Smutje sei der wichtigste Mann am Schiff.
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Tag 3, Freitag: In der SAR-Zone
Aber auch für Samstag hat der „Master“, wie der Kapitän hier offiziell heißt, für die Küstengewässer recht hohen Wellengang prophezeit. Und der Master hat immer recht, sagt man uns.
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