Flüchtlinge in Äthiopien: Eine Matte für die Zukunft
Es ist heiß in diesen Jännertagen im Norden Äthiopiens, der sich hier karg und wüstenartig ausstreckt. Ein strammer Wind treibt den feinen Sand in jede Ritze. Fatuam Hassan Ali bekümmert es wenig. Die Frau flicht ruhig weiter an ihrer Bastmatte, die sie später auf dem Markt verkaufen wird, um der Familie ein bisschen Einkommen zu sichern.
Seit mehr als zehn Jahren steckt die 38-jährige Eritreerin mit ihrem Mann und den vier Kindern zwischen acht und 16 Jahren in dem Flüchtlingslager Aysaita in der Provinz Afar fest. „Damals, 2010, ging es nicht mehr. Einheiten des Regimes töteten unsere Männer, auch zwei Verwandte von mir. Wir mussten weg.“
800.000 Flüchtlinge
Insgesamt 25.000 Menschen, alle aus Eritrea, drängen sich in dem Camp, 60 Prozent sind jünger als 18 Jahre. Das bedeutet: Nachdem es das Lager bereits seit 2007 gibt, wurden viele Buben und Mädchen hier in der Fremde geboren.
In ganz Äthiopien gibt es rund 800.000 offizielle Flüchtlinge – das sind nach Libyen die zweitmeisten in Afrika. Dazu kommen die intern Vertriebenen. Gerade von letzterer Gruppe zählen die Behörden aktuell extrem viele, nachdem in der äthiopischen Krisenprovinz Tigray schwere Kämpfe ausgebrochen sind. Mehr als zwei Millionen Menschen sollen ihr Zuhause verloren haben.
„Die vielen Camps in Äthiopien und in der gesamten Region zeigen die Wunden und offenen Bruchlinien am Horn von Afrika. Menschen werden gezwungen, ihr Land zu verlassen“, sagt Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, der das Lager Aysaita am Freitag besuchte. Der Delegationskonvoi wurde dabei von schwer bewaffneten Soldaten begleitet. Der Chefdiplomat sprach sich für mehr internationales Engagement in dieser Weltgegend aus.
Doch zurück zu Fatuam und ihrer Familie. Sie komme hier so recht und schlecht durch, sagt sie. Eine Matte könne sie auf dem Markt in der angrenzenden Stadt (jeden Dienstag) um 150 bis 200 Birr verkaufen. Das sind umgerechnet drei bis vier Euro – für eine Woche Arbeit. Aber immerhin: Mit dem Erlös konnte sie zwei Ziegen erwerben, jetzt sind es schon sechs.
Andere Flüchtlinge haben in einfachen, selbst errichteten Baracken kleine Cafés aufgemacht, um so ein wenig Bares zu haben. Das gibt es auch vom UN-Ernährungsprogramm WFP, das das Lager organisiert. Allerdings nur in sehr kleinen Dosen: 180 Birr (3,5 Euro) pro Monat und Person – auch deswegen, damit die Menschen den Bezug zu Geld und zum Umgang damit nicht gänzlich verlieren.
Große Sprünge machen sie damit freilich nicht. Ein Kilo Getreide kostet 250 Birr (fünf Euro). Und gerade dieses Nahrungsmittel ist aktuell auch im Camp Mangelware, nachdem die Rationen auf sechs Kilo pro Monat reduziert wurden.
„Tiefer Hunger“
An den Ausgabestellen herrscht stets dichtes Gedränge, dennoch sei hier noch kein einziger Corona-Fall bekanntgeworden, wie ein UN-Mitarbeiter betont. Ein schwacher Trost für die Camp-Bewohner: „Wir leben hier in tiefem Hunger“, sagt ein Mitglied des Ältestenrates.
WFP-Äthiopien-Chef Paul Turnbull bestätigt den Sparkurs: „Wir mussten auf 84 Prozent zurückfahren. Das hängt mit den enorm gestiegenen Lebensmittelpreisen in Äthiopien zusammen. Und auch damit, dass das WFP einfach zu wenig finanzielle Mittel hat. In diesem Zusammenhang sagte Schallenberg erneut zu, dass Österreich eine Million Euro zusätzlich an das WFP überweisen werde. Zwei weitere Millionen gehen je zur Hälfte an das Internationale Rote Kreuz und NGO-Arbeit in Äthiopien.
Fatuam zieht sich indes ihr Tuch tiefer ins Gesicht, um sich vor dem Sandsturm besser zu schützen und flicht weiter an der nächsten Matte – und irgendwie auch für die Zukunft ihrer Kinder. Die sieht sie in ihrer alten Heimat Eritrea, die nur gut 200 Kilometer vor dem Lager beginnt – und doch so fern ist.
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