Das Epizentrum der Katastrophe, die Donald Trump mit Strafzöllen gegen die Nachbarländer Kanada und Mexiko bekämpfen will, liegt nur einige U-Bahnstationen von dem Ort entfernt, wo vor fast 250 Jahren die Wiege der amerikanischen Demokratie stand. In Kensington, einem der prekärsten Stadtteile von Philadelphia, wo die Gründerväter die Unabhängigkeitserklärung unterzeichneten, erinnern ganze Straßenzüge an die Zombie-TV-Serie "The Walking Dead".
Auf der Allegheny Avenue vegetieren täglich in tranceähnlichem Zustand Dutzende Menschen mit offenen, blutenden Wunden auf dem Bürgersteig vor sich hin und injizieren sich, umgeben von Müll, Fäkalien und Dreck den nächsten Schuss. Groß in Mode: "Tranq". Das ist der Straßenname für Xylazin, ein Beruhigungsmittel für Pferde.
Oft wird es mit Fentanyl oder Heroin gemischt, um die Wirkung zu verstärken oder zu verlängern. Sobald die Mischung in den Körper gelangt, führt sie zu einer verlangsamten Herzfrequenz und einer tiefen Sedierung; daher die "Zombie"-Anmutung. Die Droge löst nekrotische Hautgeschwüre aus, die zu Amputationen führen können.
Todesursache Überdosis
Am meisten verbreitet aber ist nicht nur in Philadelphia nach wie vor Fentanyl pur. Jenes synthetische Opioid, das 50 Mal stärker ist als Heroin, und Jahr für Jahr Zigtausende Amerikanern das Leben kostet. Dem "Centers for Disease Control" (CDC) zufolge sind die Todesfälle durch Überdosierung zwischen August 2023 und August 2024 um 21,7 Prozent zwar landesweit zurückgegangen – auf rund 90.000. In Philadelphia sind Drogenüberdosierungen aber nach wie vor die dritthäufigste Todesursache, hinter Herzkrankheiten und Krebs. Die Stadt der "brüderlichen Liebe" verzeichnete 2022 die Rekordzahl von 1207 Todesfällen durch Überdosierungen. 2023 waren es 1122.
Trump behauptet, Amerika werde gleichermaßen von Norden und Süden aus mit Fentanyl überschwemmt. Weshalb nun Strafzölle und striktere Grenzkontrollregime für Abhilfe sorgen sollen. Die Ausgangslage ist aber eine andere.
Schmuggler aus USA
Mit an der Grenze sichergestellten 19 Kilogramm Fentanyl im vergangenen Jahr spielt Kanada bei der Zufuhr der Droge so gut wie keine Rolle. Aus Mexiko wurden dagegen über 9000 Kilo abgefangen. Vor allem hier landen die fast ausschließlich aus China stammenden Vorläufer-Chemikalien an. Sie kommen als Billigwaren getarnt (darum seltener kontrolliert) per Post in die USA. Die Inhaltsstoffe werden dann von Schmugglern nach Mexiko gebracht, wo die einschlägigen Drogen-Kartelle Fentanyl herstellen und es zurück in die USA dirigieren – mit gewaltigen Gewinnspannen.
90 Prozent der Schmuggler sind, anders als Trumps Hass-Politik gegen illegale Einwanderer nahelegen soll, laut Polizeistatistik amerikanische Staatsbürger, keine Flüchtlinge.
Aufgrund der hohen Wirksamkeit ist nur eine geringe Menge Fentanyl erforderlich. Zwei Milligramm – so groß wie ein paar Sandkörner – reichen aus, um eine Überdosis zu verursachen. Der gesamte jährliche amerikanische Verbrauch an illegalem Fentanyl "könnte auf einen einzigen Lastwagen passen", sagen Drogenfahnder der DEA.
Kooperation mit China
Unter Joe Biden ging die Zahl der Todesfälle durch Fentanyl zuletzt deutlich zurück. Als Gründe geben die Demokraten neben der Beschlagnahmung von Hunderten Millionen Dosen Fentanyl an, dass Notfall-Medikamente zur unmittelbaren Neutralisierung von schnell tödlichen Überdosierungen (Narcan) inzwischen leichter verfügbar sind. Außerdem habe sich die Zusammenarbeit mit chinesischen Strafverfolgungsbehörden bewährt, wodurch sich die Produktion der Basis-Chemikalien verlangsamt habe. Wenn Trump nun Strafzölle für chinesische Importe verhängt, so die Expertin Vanda Felbab-Brown von der Denkfabrik Brookings, könne sich Peking gezwungen sehen, die Kooperation aufzukündigen.
Ohnehin halten Experten die Fokussierung auf die Schmuggel-Routen für eindimensional. Die Frage, warum Amerikaner noch immer dem Lockruf der Hammer-Droge folgen, warum es nirgendwo anders auf der Welt eine so stabile Nachfrage gibt, bleibt ebenso unterbelichtet wie der seit Jahrzehnten beklagte Mangel an wirksamen Drogenbehandlungs- und Präventionsprogrammen; gerade im ländlichen Amerika. Die Vorläufer der Fentanyl-Katastrophe sind hausgemacht: In den 90er-Jahren fütterten US-Pharma-Riesen wie Purdue Amerikas Ärzte mit verschreibungspflichtigen Schmerzkillern wie Oxycontin an. Hunderttausende Patienten wurden abhängig und stiegen später auf billige Straßen-Opioide um. Binnen 25 Jahren starben fast 730.000 Amerikaner an einer Überdosis.
Margaret Williams, Ärztin und Suchtexpertin in Ohio, sagt, dass es einen besseren Zugang zu Methadon, das bei der Behandlung von Opioidabhängigkeit sehr wirksam ist. Auch die Bekämpfung der Ursachen von Sucht, etwa unbehandelte psychiatrische Erkrankungen und sozioökonomische Faktoren, müssten stärker berücksichtigt werden.
Die Professorin Guadalupe Correa-Cabrera hat das Elend in Philadelphia mit dem Fotografen Sergio Chapa studiert. Ihr Fazit: "Ohne ein Engagement für eine nachhaltige wirtschaftliche Initiativen und ein integratives Engagement in der Gemeinschaft wird sich der Kreislauf von Sucht, Armut und Vernachlässigung fortsetzen."
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