Der Vergangenheit zum Trotz: Warum Europas Rechte zu Israel stehen

Als die Menge erkannte, wer da zwischen ihnen stand, drehte sich die Stimmung. Eine Welle des Zorns ergriff das Meer an Trauernden, es erhob seine Fäuste, rief: "Faschisten raus!" Und drängte die blonde Frau an den Rand des Place de la Nation, bis sie, begleitet von Sicherheitsleuten, in den angrenzenden Gassen verschwand.
Die Szene fand 2018 in Paris statt, bei einer Trauerfeier zu Ehren von Mireille Knoll, einer ermordeten jüdischen Pensionistin. Marine Le Pen, Vorsitzende der französischen Rechtspartei Rassemblement National (RN), wollte der Feier damals beiwohnen – und wurde vertrieben. Sie galt als Feindin der Juden, zu frisch hallten die Worte ihres Vaters und Parteigründers Jean-Marie Le Pen nach, der mehrfach wegen Wiederbetätigung verurteilt wurde und noch 1996 erklärt hatte: „Ich glaube an die Ungleichheit der Rassen.“
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Heute, fünf Jahre später, darf die RN-Chefin bei jüdischen Trauermärschen mitmarschieren. Ihre betonte Nähe zu Israel findet nach dem Großangriff der Terrororganisation Hamas Gehör, ihren Vater hat sie längst aus der Partei geworfen. Und sie ist nicht die Einzige, die plötzlich in dieser Form von israelischer Seite akzeptiert wird.

Folge des Populismus
Le Pen folgt damit einem Muster, das sich bei fast allen europäischen Rechtsparteien erkennen lässt. Selbst Parteien mit antisemitischer Vergangenheit wie die postfaschistischen Fratelli d’Italia oder die FPÖ, deren erster Parteiobmann Anton Reinthaller – einst SS-Brigadeführer – noch 1953 wegen Wiederbetätigung im Gefängnis saß, zeigen sich seit dem 7. Oktober stramm an der Seite Israels.
Als "ideologische Läuterung aus wahltaktischen Gründen" bezeichnet das der Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch von der Paris Lodron Universität Salzburg im KURIER-Gespräch. Die meisten dieser Parteien entfernten sich demnach über die Jahre von ihrer ideologischen Grundausrichtung und wurden rechtspopulistisch.
"Positionen, die in der Bevölkerung mehrheitsfähig sind, sind ihnen wichtiger als historische Dogmen", sagt Heinisch. "Was sie alle eint, ist Nationalismus und die Ablehnung von Migration." Das heißt: "Sie sind gegen alle, die kulturell anders sind als Einheimische. Und das sind in Europa mehrheitlich Muslime."
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Der klare Pro-Israel-Kurs sei also auch als Zeichen in Richtung der muslimischen Bevölkerung zu verstehen, die sich in vielen Städten Europas mit der Gegenseite solidarisiert.

Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch von der Paris Lodron Universität Salzburg.
Die AfD ist die einzige Ausnahme: Dort gab es parteiinternen Streit
Einzig die deutsche AfD bildet hier die Ausnahme – dort erntete Co-Parteichef Tino Chrupalla zuletzt heftige öffentliche Kritik, weil er sich nicht vollends pro Israel bekannte. Am 11. Oktober schrieb er auf X (vormals Twitter): "Der Angriff der Hamas ist zu verurteilen. Ich trauere um alle Kriegstote. Jetzt müssen die Staaten der Region auf Deeskalation setzen, um einen Flächenbrand abzuwenden. Diplomatie ist das Gebot der Stunde."
Eine vage Position, die ihm sofort um die Ohren flog. "Als du in die AfD eingetreten bist, war diese noch gegen islamistischen Terror", antwortete der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter.
Rüdiger Lucassen, der verteidigungspolitische Sprecher der Partei, kritisierte den Zeitpunkt von Chrupallas Ruf nach Diplomatie – "noch sind nicht alle Kinderleichen geborgen" – und wünschte den israelischen Streitkräften gar "gute Jagd und fette Beute".
Für Heinisch zeigt der parteiinterne Konflikt, "dass es große Unterschiede zur FPÖ gibt". Die deutsche Schwesterpartei sei "viel heterogener, mit viel stärkeren Landesparteien", und zudem "noch deutlich rechter und deutschnationaler ausgerichtet“.
Netanjahu hat "kaum Berührungsängste" zu Rechten wie Meloni und Orbán
Und wie nimmt Israels ebenfalls rechtspopulistischer Regierungschef Benjamin Netanjahu die Annäherungen an? "Da gibt es deutlich weniger Berührungsängste als man annehmen würde", meint Heinisch.
Als eines der absurdesten Beispiele nennt er die persönliche Nähe zu Ungarns Viktor Orbán. Und das trotz der antisemitischen Plakate im Stil der NS-Zeitschrift "Stürmer", mit denen Orbán in Ungarn Stimmung gegen den jüdischen Milliardär George Soros macht.
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