EuGH-Urteil: Rote Karte für Ungarns Asylregeln

Ungarische Soldaten patrouillieren am Grenzzaun zu Serbien
Kaum Zugang zu Asylverfahren, illegale Push-backs: Damit verstößt die Regierung Orbán gegen EU-Recht. Doch Budapest verrschärfte die Gesetze nochmals

Im ständigen Migrationsstreit zwischen Budapest und der EU-Kommission in Brüssel ist es die nächste juristische Niederlage für den ungarischen Premier Viktor Orbán. Dieser musste gestern zur Kenntnis nehmen, dass Ungarns Asylrecht in großen Teilen dem für alle EU-Staaten geltenden Europäischen Recht widerspricht.

Zu diesem Urteil kam der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg; die Klage hatte die EU-Kommission schon vor drei Jahren eingereicht.

Im Zuge der großen Flüchtlingsbewegungen im Herbst und Winter 2015 hatte Ungarn begonnen, Zäune gegen den Zustrom zu errichten. Seither setzt die Regierung aufwendige Bemühungen darin, ankommende Flüchtlinge oder Migranten erst gar keinen Asylantrag stellen zu lassen.

EuGH-Urteil: Rote Karte für Ungarns Asylregeln

Ungarns Premier Viktor Orbán

Diesen restriktiven Zugang hält der EuGH für rechtswidrig, wie er am Freitag in seinem Urteil festhielt: Es sei unzulässig, dass Ungarn illegal im Land befindliche Migranten abschiebe, ohne den Einzelfall zu prüfen, befand das höchste EU-Gericht.

Dabei könnte es sich um mindestens 50.000 Fälle handeln, berichtet die Menschenrechtsorganisation „Ungarisches Helsinki-Komitee“. Die Migranten werden von Polizisten hinter den Zaun auf einen, wenige Meter von der serbischen Grenze liegenden Landstreifen gezwungen.

Da die Betroffenen keine andere Wahl hätten, als das ungarische Landesgebiet zu verlassen, sei dies mit einer Abschiebung gleichzusetzen, heißt es im EuGH-Urteil.

Geschlossene Lager

Doch ganz generell, so das Gericht weiter, verstoße Ungarn gegen seine Verpflichtung, Schutzsuchenden Zugang zum Asylverfahren zu gewähren. Denn in der gesamten Europäischen Union gilt das Recht: Wer den Boden eines EU-Staates betritt und um Asyl ansucht, dessen Gesuch muss auch geprüft werden. In Ungarn aber sei es, so der EuGH, „de facto quasi unmöglich, einen Antrag zu stellen“.

Die Klage der EU-Kommission hatte sich ursprünglich auch gegen die mittlerweile geschlossenen ungarischen Transitlager an der Grenze zu Serbien gerichtet. Diese Lager hatte der EuGH bereits vor einem halben Jahr für rechtswidrig erklärt. Daraufhin musste Ungarn die Lager schließen.

Doch die national-konservative Regierung von Viktor Orbán setzte gleich zum nächsten Zug an: Schutzsuchende können nun nicht einmal mehr an den Grenzen zu Serbien oder der Ukraine Asyl beantragen. Sie müssen vielmehr außerhalb des Landes, und zwar in Ungarns Botschaften in Belgrad oder Kiew vorstellig werden.

Dass diese Regelung erst recht eklatant EU-Recht widerspricht, dürfte auch der ungarische Regierungschef wissen. Doch er weiß auch, dass ein Rechtsstreit darüber Jahre dauern kann – Jahre, in denen Orbán unter Umgehung der EU-Regeln Asylsuchende möglichst nicht ins Land lässt.

Wegen dieser jüngsten Regelungen leitete die EU-Kommission Ende Oktober erneut ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein – die nächste Runde im Migrationsstreit Budapest gegen Brüssel.

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