EU-Wahl: Warum in Kroatien nur jeder Fünfte wählen ging

EU-Wahl: Warum in Kroatien nur jeder Fünfte wählen ging
Im jüngsten EU-Land stimmten nur 21 Prozent ab – weniger als in allen anderen. Das hat vor allem innerpolitische Gründe.

In keinem Land gingen prozentuell weniger Menschen zur EU-Wahl als in Kroatien. Nur rund 21 Prozent der Wähler haben ihre Stimmen abgegeben. 

In Litauen (28 Prozent) waren es immerhin ein paar mehr. In der Slowakei, wo bei EU-Wahlen normalerweise sehr wenige Menschen wählen (2014 waren es nur 13 Prozent), stimmten dafür 34 Prozent ab, was vermutlich mit dem Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico vor wenigen Wochen zu tun hat.

Eine derart niedrige Beteiligung in Kroatien, dem jüngsten EU-Mitgliedsland, könnte als Zeichen des Frusts gewertet werden - nur 11 Jahre nach dem Beitritt. Obwohl man etwa der Euro-Einführung 2023 dort zumindest am Anfang mit Skepsis begegnete, dürften die Gründe aber eher im Land selbst liegen, wie Oriana Ivković Novokmet vom „Demokratie-Think-Do-Tank“ Gong in Zagreb dem KURIER erklärt.

Warum sind in Kroatien so wenige zur Wahl gegangen?

1. Die Beteiligung an EU-Wahlen war noch nie sehr hoch 

Vorweg: Kroatien hat bei Wahlen im Allgemeinen, besonders aber bei EU-Wahlen ein Problem mit niedriger Beteiligung. Am besten war sie bei einer EU-Wahl 2019, doch auch da gingen nicht mal 30 Prozent hin. Noch schlechter als diesmal war sie mit 20,8 Prozent nur bei der allerersten und Kroatiens alleiniger EU-Wahl im Beitrittsjahr 2013, wobei das Land da noch gar nicht Mitglied war.

Laut Expertin Ivković Novokmet haben viele kroatische Politiker ein „minimalistisches Verständnis“ von Bürgerbeteiligung, das kaum über Wahlen hinausgehe. Sie erklärt die tendenziell schlechte Beteiligung mit einem „mangelnden Vertrauen in Politiker, Medien und Institutionen“.

Um das niedrige Niveau der politischen Kultur in Kroatien zu verbessern, könne man zum Beispiel das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre heruntersetzen.

2. Vor zwei Monaten gab es nationale Wahlen 

Bei der kroatischen Parlamentswahl im April war die Beteiligung mit fast 62 Prozent relativ hoch - eine der besten seit der Jahrtausendwende. Dass das erst zwei Monate her war, dürfte sich aber auf die EU-Wahl ausgewirkt haben, so Ivković Novokmet: „Nach dem intensiven Wahlkampf für die Parlamentswahl herrschte eine gewisse Sättigung.“ Bei Politikern wie Wählern beobachtete sie eine „Wahlmüdigkeit“, den EU-Wahlkampf beschreibt sie als „glanzlos“.

Einige Bürger seien zudem enttäuscht gewesen, weil die rechtskonservative HDZ von Premier Andrej Plenković nach der Wahl eine Koalition mit der rechtsextremen Heimatbewegung eingegangen ist, um weiter regieren zu können. 

Ein Plenković-Statement zum Wahlergebnis im April ließ laut Ivković Novokmet „undemokratische Tendenzen“ erkennen: „Er sagte, wenn weniger Menschen an den Wahlen teilgenommen hätten, wäre es für die HDZ einfacher gewesen, die Regierung zu bilden - was bedeutet, dass sie mehr Mandate gewonnen hätte.“ Bei der EU-Wahl dominierte die HDZ. 

3. Die Medien haben vergleichsweise wenig berichtet

Unmittelbar mit der nationalen Wahl zusammen hängt die Berichterstattung zur EU-Wahl. „Die Medien waren mit der Bildung der neuen Regierung überlastet, so dass für europäische Themen kein Platz war“, sagt die Expertin. 

Einige Zeitungen und Sender hätten sich vor allem auf die Höhe der Gehälter und die Privilegien der EU-Abgeordneten konzentriert. 

4. Die Wahl fand am Wochenende statt

Die gute Wahlbeteiligung im April lässt darauf schließen, dass die Kroaten lieber unter der Woche statt am Wochenende wählen. Mit der Hoffnung, mehr Menschen an die Urnen zu bringen und damit seinem Erzfeind Plenković eins auszuwischen, hatte der sozialdemokratische Präsident Zoran Milanović an einem Mittwoch wählen lassen. Ersteres funktionierte, Plenković blieb trotzdem Premier.

Die Idee dahinter war, dass die Kroaten dann bei der Wahl eher im Land sein würden, statt - wie gern übers Wochenende - wegzufahren. Analysten vermuteten, dass Milanović damit auch der kroatischen Diaspora das Wählen erschweren wollte, weil die traditionell die HDZ wählt. 

5. Die Bürger wissen nicht genug über die EU

Die Wähler über 60 Jahre waren am Sonntag in den kroatischen Wahllokalen am stärksten vertreten, während die Wahlbeteiligung unter jungen Menschen am niedrigsten war.

Eine von Gong durchgeführte Untersuchung mit Abiturienten aus ganz Kroatien hat laut Ivković Novokmet ergeben, dass die Unkenntnis über Themen wie Demokratie und politische Beteiligung sehr groß ist. Sie fordert die Einführung von politischer Bildung als Pflichtfach.

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