Erstarkt: Der IS ruft gezielt zu Anschlägen in Europa auf
Der Terroranschlag von Wien war am Montag nicht der blutigste, den sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf ihre Fahnen heftete. Drei Terroristen stürmten am Montag eine Universität in Kabul, eröffneten wahllos das Feuer auf Studenten, erschossen 19 Menschen. Nur wenige Tage zuvor hatten sie mehr als 20 Schüler getötet. Auch in Syrien und im Irak vergeht kaum ein Tag, an dem der IS keinen Terrorangriff verübt.
Ohne Zweifel ist die Organisation in den vergangenen Monaten wieder erstarkt. In Syrien, dem ursprünglichen Ziel des Attentäters von Wien, agiert der IS im Untergrund. Immer wieder gehen Bomben in Städten hoch, werden Zivilisten niedergeschossen, Militärfahrzeuge gesprengt. Es ist die Angst, von der die Terrormiliz lebt.
Im Irak gehen die Terroristen noch offensiver vor: „Der IS wird operativer. Er ändert seine Taktiken, geht von der asymmetrischen Kriegsführung wieder zu Feuergefechten und Angriffen auf irakische Sicherheitskräfte über“, sagte Generalmajor Johann Frank, Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement, bereits im Frühling zum KURIER.
Die Corona-Krise hat in den Stammgebieten des IS zu einem Vakuum geführt, das die Terroristen ausnützen. Freilich ohne das Ziel eines großen Gebietsgewinns zu verfolgen. Zu verheerend waren die Niederlagen gegen die internationale Anti-IS-Koalition in Syrien und im Irak, um gewonnenes Terrain militärisch zu halten. 95 Prozent ihres ehemaligen „Staatsgebiets“ hat die Terrormiliz verloren. Doch mit Abi Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi hat der IS einen Anführer, der sich auf eine andere Taktik verlegt.
Frank analysierte im Frühling: „Die Terrormiliz ruft gezielt zu Anschlägen in Europa auf. Derzeit ist sie noch nicht in der Lage, einen systematischen Großangriff zu organisieren, aber sehr wohl Einzeltäter zu animieren. Die Phase des Lockdowns hat dazu geführt, dass insbesondere Jugendliche während der Quarantäne gefährdet sind.“ Er sollte Recht behalten.
Die Anschläge in Frankreich und Wien rufen auch in Europa schmerzhaft die düstere Erinnerung an die Gräueltaten des IS hervor. Nach der Tötung ihres Anführers Abu Bakr al-Baghdadi vor einem Jahr übernahm al-Hashimi das Ruder. Viel ist über diesen Mann nicht bekannt. Sein echter Name ist Amir Mohammed Abdul Rahman al-Mawli al-Salbi. Der Iraker war ein langjähriger Mitstreiter Baghdadis, mied bis jetzt im Gegensatz zu seinem Vorgänger öffentliche Auftritte, agiert aus dem Verborgenen. So wie es auch seine Gefolgsleute tun.
Hunderte IS-Kämpfer sind mittlerweile in ihre Heimatländer zurückgekehrt – nicht nur nach Europa, sondern auch nach Russland oder Zentralasien.
Die Ableger der Terrormiliz reichen von Burkina Faso in Nordwestafrika bis zu den Südphilippinen, alle haben al-Hashimi ihre Treue geschworen. Vor allem sind sie auf der ägyptischen Sinaihalbinsel, in Afghanistan in Libyen, im Jemen und auf den Philippinen aktiv. In Afrika baut der IS seine Präsenz vor allem südlich der Sahara aus, verübt auch dort zahlreiche Anschläge. Aufgrund der dezentralen Ausdehnung der Organisation ist wenig über ihre tatsächliche Stärke bekannt, Schätzungen reichen bis zu mehreren hunderttausend Kämpfer.
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