Erdoğan bei Putin: Ein Makler mit Makeln
Sie bilden und rüsten Kämpfer aus, die sich auf Schlachtfeldern in Syrien und Libyen gegenüberstehen, türkische Drohnen zerstören in der Ukraine russische Panzer, während ukrainische und russische Flüchtlinge Zuflucht in Istanbul finden. Dennoch werden Recep Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin einander heute, Freitag, in Sotschi mit einem Lächeln begrüßen.
Es ist der erste Besuch eines NATO-Regierungschefs in Russland seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine – und es war absehbar, dass dieser Regierungschef Erdoğan ist. Bereits vor wenigen Wochen traf er Putin in Teheran. Ankara pflegt sowohl zu Kiew als auch zu Moskau ein stabiles Verhältnis, hat sich den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen. Zu sehr ist die türkische Wirtschaft im freien Fall, zu wichtig ist ein diplomatischer Austausch mit Putin für Erdoğan.
Der türkische Präsident plant seit Längerem eine neue Offensive in Nordsyrien, wo ohne ein Arrangement mit seinem russischen Pendant nichts geht. Russland steht aufseiten des syrischen Machthabers Bashar al-Assad, und ohne Vermittlung aus Moskau im Jahr 2020 hätten Erdoğans verbündete Milizen die Provinz Idlib verloren. Neben seinen Invasionsplänen dürfte aber auch Versorgung und Unterbringung syrischer Flüchtlinge in Idlib Thema sein.
Und in puncto Versorgung ist Erdoğan vergangene Woche ein Meilenstein gelungen: Gemeinsam mit den Vereinten Nationen, der Ukraine und Russland handelte er das Getreideabkommen aus, das es der Ukraine ermöglicht, die wichtigen Lebensmittel in die Welt zu transportieren..
Gemeinsames AKW
Außenpolitische Erfolge wie diesen kann Erdoğan derzeit gut gebrauchen. Im Juni kommenden Jahres finden die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt – und seine Regierung steht wegen einer Inflation von mehr als 80 Prozent mit dem Rücken zur Wand. Da trifft es sich für ihn gut, dass vergangene Woche die ersten 4,91 Milliarden Euro vom staatlichen russischen Energiekonzern Rosatom in der Türkei eingetroffen sind. 14,73 Milliarden sollen noch folgen.
Das Geld wird für das gerade in Bau befindliche Atomkraftwerk in Akkuyu an der türkischen Mittelmeerküste verwendet: Derzeit bauen etwa 20.000 russische und türkische Arbeitskräfte an der Errichtung des Mega-Projekts, das zehn Prozent des türkischen Energiebedarfs decken soll. Betreiben soll es, zumindest zu Beginn, ein russisches Unternehmen – ein weiteres Zeichen der wirtschaftspolitischen Verschränkungen Russlands und der Türkei.
Derzeit finden Verhandlungen statt, ob Russland bei der Entwicklung eines neuen türkischen Kampfjets mitgestalten soll. Für die NATO wäre das ein sicherheitspolitisches Problem, denn das Risiko russischer Betriebsspionage wäre deutlich erhöht. Auch als Erdoğan vor wenigen Jahren das S-400-Fliegerabwehrsystem von Russland kaufte, war der Aufschrei vor allem in Washington groß. Der türkische Präsident weiß jedoch um die strategisch wichtige Position seines Landes. Zudem verfügt er über die zweitgrößte NATO-Armee – und setzt so seine eigenen außenpolitischen Ziele um. Doch auch Putin braucht die Türkei als Wirtschaftspartner – vor allem wegen der verhängten Sanktionen.
Primär wird es um den Krieg in Syrien gehen, doch nicht nur in der Türkei schätzen Analysten: Wenn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine einmal endet, wird wahrscheinlich Erdoğans Vermittlung dazu beigetragen haben.
Kommentare