Alles neu in China? Das ändert sich nach dem 20. Parteitag
Am Samstag wird Xi Jinping endlich erreicht haben, worauf er seit zehn Jahren einen Großteil seiner Innenpolitik ausgerichtet hat: Der 69-Jährige wird beim Abschluss des 20. Parteitages als Vorsitzender der kommunistischen Partei Chinas wiedergewählt werden und damit auch als Präsident weitere fünf Jahre im Amt bleiben dürfen. Ein historisches Ereignis, schließlich war seit Staatsgründer Mao Zedong kein chinesischer Präsident länger als zehn Jahre an der Macht.
Seit Monaten erwarten Beobachter in aller Welt, dass Xi morgen Geschichte schreiben wird. Offiziell wird das erst, wenn der "Oberste Führer" gemäß der Tradition als erster Würdenträger aus der Großen Halle des Volkes in Peking treten wird. Rund 2.300 Spitzenfunktionäre haben sich dorthin unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen zum größten politischen Ereignis der Welt zurückgezogen. Sie vertreten knapp 100 Millionen Parteimitglieder - keine andere Partei auf der Welt ist größer.
Ungleich spannender als die Frage nach dem Parteivorsitzenden ist, wer Xi am Samstag in anderen Führungspositionen nachfolgen wird. Denn auch wenn der "Oberste Führer" unter dem Deckmantel einer rigorosen Anti-Korruptions-Kampagne gegen politische Widersacher vorging, gibt es in der Partei einige, die seine Führung in Frage stellen. Schließlich leidet Chinas Wirtschaft seit Beginn der Corona-Pandemie enorm, viele der Probleme haben dabei direkt mit Entscheidungen des Präsidenten zu tun.
Im Zuge des aufwendig orchestrierten Parteitags, bei dem alle Funktionäre Teil einer streng abgeschotteten Quarantäne-Blase sind, werden unter anderem auch die beiden höchsten politischen Gremien in China neu gewählt: Das 25-köpfige Politbüro sowie die sechs Sitze des ständigen Ausschusses des Politbüros. Vor allem der ständige Ausschuss entscheidet gemeinsam mit dem Präsidenten über fast jede relevante politische Richtlinie im Land.
Aktuell sind die Sitze im ständigen Ausschuss ausgeglichen verteilt: Drei Mitglieder zählen als Vertraute Xis, die anderen drei rund um den einflussreichen Ministerpräsidenten Li Keqiang sind als Kritiker des Präsidenten einzustufen:
Xi-Loyalist
Als Vorsitzender des ständigen Ausschusses ist Li Zhanshu aktuell der dritthöchste Mann im Staat. Er gilt als einer der engsten Vertrauten Xis und als Hauptverantwortlicher für die guten Beziehungen zu Russland.
Xi-Loyalist
Gilt als Chefideologe und "graue Eminenz" des nationalistischen Parteiflügels. Wang hält sich für einen chinesischen Politiker ungewöhnlich lange an der Parteispitze - Xi ist bereits der dritte Präsident, den er berät.
Xi-Loyalist
Leitet Xis Anti-Korruptionsbehörde, die auch gegen etliche politische Widersacher des Präsidenten vorgeht. Gilt als äußerst loyal Xi gegenüber.
Xi-Kritiker
Als Ministerpräsident ist Li der zweitmächtigste Mann in China. Er gilt als einflussreichster Kritiker des Präsidenten, für den Wirtschafts- über Machtpolitik steht.
Xi-Kritiker
Stieg 2003 zum jüngsten Bürgermeister von Shanghai auf. Han gilt als wirtschaftsliberaler Reformer und wird dem Lager Li Keqiangs zugerechnet.
Xi-Kritiker
Der Ökonom tritt offen für marktwirtschaftliche Reformen ein. Wang gilt als charismatisch und ist populär beim Volk, unter ihm erlangte die Region Guangdong großen Wohlstand.
Daran, wie sich das Politbüro und vor allem dessen ständiger Ausschuss nach dem 20. Parteitag zusammensetzen, lässt sich von außen erkennen, ob Xi Jinping seinen Einfluss auf die Partei zu Beginn seiner dritten Amtszeit ausbauen konnte, oder nicht. Der Ausgang dieses Parteitags ist dabei schwerer einzuschätzen als je zuvor, das zeigen auch die Expertenmeinungen.
Im Gespräch mit dem KURIER schätzt die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik, "dass Xi wieder, wie in seiner ersten Amtszeit, stärker als Moderator auftreten müssen wird". Nis Grünberg, Chefanalyst des Mercator Instituts für China-Studien (MERICS), geht dagegen davon aus, dass Xi seine Macht weiter ausbauen wird.
Wer gehen muss
In den vergangenen 20 Jahren galt innerhalb der kommunistischen Partei stets das ungeschriebene Gesetz, dass niemand in eine neue Funktion gewählt werden darf, der älter als 68 Jahre ist. Im aktuellen ständigen Ausschuss trifft das jedenfalls auf den als Xi-Kritiker geltenden Han Zheng und auf Li Zhanshu zu, einen der engsten Vertrauten des Präsidenten. Auch Xis nationalistischer Chefideologe Wang Huning gilt Grünberg zufolge trotz seiner 67 Jahre als Streichkandidat, sollte Xi eine Möglichkeit finden, ihn durch einen jüngeren Loyalisten langfristig zu ersetzen.
Ministerpräsident Li Keqiang, der wohl einflussreichste Widersacher Xis, muss seinen Posten nach zehn Jahren im Amt ebenfalls räumen. Theoretisch könnte Li mit seinen 67 Jahren aber noch weitere fünf Jahre Mitglied im ständigen Ausschuss bleiben. Sollte es tatsächlich so kommen, wäre dies ein starkes Zeichen des Widerstandes gegen den Präsidenten. MERICS-Analyst Grünberg geht deshalb davon aus, dass Li auch seinen Platz im ständigen Ausschuss räumen wird.
Wer aufsteigen dürfte
Je nachdem, welcher Parteiflügel sich bei den Postenbesetzungen durchsetzt, müssen also zwei bis vier Sitze im sechsköpfigen ständigen Ausschuss nachbesetzt werden. "Je mehr frische Gesichter Xi mit an Bord bringen kann, desto fester wird er die Partei in den nächsten fünf Jahren im Griff haben", meint Grünberg.
Als aussichtsreiche Kandidaten für die höchsten Posten im Staat gelten:
- Ding Xuexiang (60)
Seit mehr als fünfzehn Jahren arbeitet Ding eng an der Seite Xi Jinpings, aktuell als dessen Stabschef. Es gilt als sicher, dass der Sechzigjährige in den ständigen Ausschuss einzieht - auch wenn er, im Gegensatz zu allen anderen Top-Kandidaten, noch nie eine Provinz verwaltet hat.
- Li Qiang (63)
Der Gouverneur der Provinz Shanghai galt jahrelang als sicherer nächster Kandidat für den ständigen Ausschuss, verlor aber in diesem Jahr wegen der chaotischen Zustände rund um den Covid-Lockdown in der größten Stadt Chinas an Reputation. Grünberg rechnet trotzdem damit, dass Li seinen Posten bekommen wird.
- Hu Chunhua (59)
Der Stellvertreter von Ministerpräsident Li Keqiang ist der einzige der aussichtsreichen Nachfolgekandidaten, der nicht als Xi-Loyalist gilt. Es gilt als wahrscheinlich, dass er trotzdem einen Platz erhält - entweder, weil der Präsident seinen Gegnern einen Posten zugestehen muss oder weil diese ihn schlichtweg einfordern.
Wer wird Ministerpräsident?
Weil Li Keqiang nach zwei Amtszeiten als Ministerpräsident aufhören muss (anders als der Präsident), braucht es einen Nachfolger. Es wäre ein Zeichen der Stärke für Xis parteiinterne Widersacher, wenn Wang Yang Lis Posten übernehmen würde. Der studierte Ökonom gilt in China wegen seiner oft lockeren Sprüche als populär und gilt als Verfechter marktwirtschaftlicher Reformen - im Gegensatz zum Präsidenten.
Mit Hu Chunhua wäre eine Kompromisslösung gefunden. Er gilt zwar ebenfalls als loyal Li Keqiang gegenüber, wäre als neues Gesicht im ständigen Ausschuss aber für das chinesische Volk kein so klares Zeichen des Widerstands. Sollte der Nationalist Chen Min'er den Posten übernehmen, hätte sich wohl Xi Jinping mit seinem Wunschkandidaten durchgesetzt. Aktuell gilt das als unwahrscheinlich.
Alte, weiße Männer
Es dürfte aufgefallen sein: Junge, weibliche Führungskräfte findet man in der kommunistischen Partei Chinas nicht. Rund ein Drittel aller Delegierten sind älter als 60 Jahre, normalerweise erhalten auch nur jene aus dieser Altersgruppe die Chance auf einflussreiche Positionen.
Frauen in Führungspositionen finden im kommunistischen China ebenfalls kaum statt. Obwohl rund ein Drittel aller Parteimitglieder weiblich sind, findet sich unter den 25 Mitgliedern des Politbüros nur eine einzige Frau. An diesem einseitigen Bild wird sich, das steht trotz der innerparteilichen Machtkämpfe auch an diesem Parteitag fest, wieder nichts ändern.
Mehr zur politischen Gemengelage in China haben wir in unserem Online-Schwerpunkt aufbereitet:
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