Eine Ermordung, die den Terror stärkt
War es ein ferngesteuertes Maschinengewehr? Eine Roboterwaffe? Oder doch eine Autobombe, die den iranischen Atomwissenschaftler Mohsen Fachrisadeh am Freitag getötet hatte? Spekulationen über den Tathergang wird es in den kommenden Tagen noch viele geben.
Viele Zeichen deuten allerdings daraufhin, dass die Ermordung eines der wichtigsten Männer in Irans Atomprogramm von Israel ausging. So sollen etwa Logo und Leistungsmerkmale der israelischen Rüstungsindustrie auf einer Waffe gefunden worden sein.
Offiziell hüllt sich das Land in Schweigen, doch das ist man von nahezu allen israelischen Operationen gewöhnt. Ebenso die Vergeltungsrufe auf iranischer Seite: Aus den Reihen der Revolutionsgarden melden sich einige Generäle, die zu Racheaktionen aufrufen, „Unsere Feinde wissen, dass kein Verbrechen im Iran unbeantwortet und unbestraft bleiben wird“, sagte Verteidigungsminister Amir Hatami bei Fachrisadehs Begräbnis am Montag.
Dass auf diese Drohungen tatsächlich konventionelle Militärschläge gegen Israel folgen, ist absolut unwahrscheinlich. Zu unterlegen sind die iranischen Streitkräfte, zu sehr zerren bereits jetzt Wirtschafts- und Corona-Krise an der fragilen Stabilität des Landes. Zudem ist die Ratlosigkeit in Teheran groß: Mit dem tödlichen Attentat auf Qassem Suleimani Anfang 2020, dem Anschlag auf die Atomanlage Natanz im Juli und nun Fachrisadehs Ermordung zeigt sich, dass das iranische Sicherheitsnetz massive Löcher bekommen haben muss.
Das Justizministerium in Teheran hat am Montag den Startschuss für eine Verhaftungswelle gegeben, das Misstrauen in den Institutionen nimmt zu. Ein weiteres Indiz dafür, dass es nur beim Säbelrasseln in Richtung Israel bleiben wird.
Gut vernetzt
Allerdings dürfte die palästinensische Hamas den Anschlag als willkommene Gelegenheit nutzen, weitere Raketen auf Israel abzufeuern. Die Hinwendung der arabischen Staaten zu Israel – auch Saudi-Arabien dürfte bald dazugehören – bedeutet für die Hamas eine Absage an ihr Ziel, Israel zu vernichten. Bleibt der Iran als nahezu einziger gewichtiger Unterstützer. Im Libanon wird die von Teheran gegründete Hisbollah Verhandlungen mit Israel über die Aufteilung von Öl- und Gasfeldern im Mittelmeer noch stärker torpedieren, um eine etwaige Annäherung zwischen Beirut und Jerusalem zu verhindern.
Aufwind für Radikale
Es wäre nicht der Nahe Osten, hätte der Mord an Fachrisadeh nicht auch geopolitische Auswirkungen: Der Atomphysiker gilt der iranischen Führung als Märtyrer – und damit haben die Radikalen seinen Tod zu ihren Gunsten ummünzen können. Tenor: Die Ermordung zeige, dass weder Israel noch den USA zu trauen sei. Aus Sicht der radikalen Mullahs, die im Parlament über eine starke Mehrheit verfügen, eine frühe Weichenstellung gegen die vermutete Außenpolitik des künftigen US-Präsidenten Joe Biden.
Vor allem finden im Juni nächsten Jahres Wahlen statt – und derzeit sieht es stark nach einer Abwahl des vergleichsweise moderaten Kurses von Präsident Hassan Rohani aus. Man munkelt gar, dass der ehemalige Präsident und Hardliner Mahmud Ahmadinedschad noch einmal in den Ring steigen könnte. Fakt ist, der nächste Präsident kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den Reihen der Revolutionsgarden – und diese rufen lauter denn je nach einer raschen Weiterentwicklung des Atomprogramms.
Auch für die Hardliner in Israel ist nicht nur die Verlangsamung des iranischen Atomprogramms ein Erfolg: Auch dort hofft man insgeheim darauf, eine Annäherung zwischen den USA und dem Erzfeind Iran verhindert zu haben.
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