Präsident Joe Biden: Ein Übergang mit Fallstricken
Für Joe Biden hat gestern das Interregnum begonnen, die knapp zehn Wochen lange Phase zwischen Wahl und Amtseinführung. „Transition period“, sagen die Amerikaner dazu, Übergangszeit. Diesmal verspricht das Leben zwischen Präsident alt (Donald Trump) und Präsident neu (Biden) turbulent zu werden.
Der Amtsinhaber fühlt sich betrogen und will nicht weichen. Trump macht sogar Anstalten, es seinem Nachfolger eher schwer denn leicht zu machen. Zum Beispiel mit Emily Murphy. Die Chefin der „General Services Administration“ hat derzeit quasi den Generalschlüssel in der Hand, wann Bidens Voraustrupp, der bereits seit Sommer intern plant und Weichen stellt, anfangen kann. Sprich Regierungsgebäude betreten, Regierungs-Computer benutzen, Regierungs-E-Mails lesen. Kurzum: Auf Ballhöhe kommen, um von Tag eins an – 20. Jänner 2021 – handlungsfähig zu sein. Frau Murphy verweigert bisher die entsprechenden Schriftstücke zu unterzeichnen. Das Wahlergebnis, sagt sie, stehe noch nicht unumstößlich fest.
Das Team Biden lässt sich davon nicht beeindrucken. Wie im Wahlkampf angekündigt, stellte Biden am Montag ein neues Team auf, das sich dem wichtigsten Problem Amerikas geplanter und effektiver widmen soll: der Eindämmung der Coronavirus-Pandemie. Die zwölfköpfige Covid-Taskforce wird geführt vom früheren Chef des US-Gesundheitsdienstes, Vivek Murthy, dem ehemaligen Boss der Arzneimittelbehörde FDA, David Kessler, und der Professorin Marcella Nunez-Smith. Dr. Anthony Fauci, bei Trump in Ungnade gefallener Epidemiologe, wird ebenfalls eine führende Rolle behalten.
Maskenpflicht
Schwerpunkte des Teams: Koordination einer allgemeinen Maskenpflicht mit den Gouverneuren der Bundesstaaten. Etablierung kostenloser Corona-Tests in der Fläche. Sicherung der Logistik für die Verteilung der ersten Impfstoffe an Millionen Amerikaner.
Zwei Top-Juristen im Rennen um das Justizministerium
Doug Jones (66) erwirkte als Staatsanwalt in Alabama, dass Mitglieder des Ku-Klux-Klan Jahrzehnte nach einem tödlichen Bombenanschlag auf eine von Schwarzen besuchte Kirche im Jahr 1963 zur Verantwortung gezogen wurden. Weitere Kandidatin für den Chefsessel im Justizministerium: Sally Yates, die 2017 kurz das Amt bekleidete.
Bidens Transitions-Team wird geleitet von Ted Kaufman, einem engen Vertrauten und Ex-Senator aus dessen Heimatbundesstaat Delaware. Die Truppe hat im Herbert C. Hoover Gebäude in Washington Büroräume zugestanden bekommen. Das FBI ist mit Hochdruck dabei, den Mitarbeitern die nötigen Sicherheits-Einstufungen („security clearance“) zu bescheinigen, die zum Zugriff auf sensible oder geheime Unterlagen berechtigen.
Schwachstelle: Ob Trumps Regierungsoffizielle geräuschlos kooperieren und die Nachfolger komplett ins Bild setzen, kann nicht verordnet werden. „Mit Verschleppungen und Stolpersteinen ist zu rechnen“, heißt es unter demokratisch orientierten Diplomaten im Außenministerium.
Wer könnte das Außenministerium leiten?
Top-Diplomatin und Ex-Vize-Minister im Spiel
Susan Rice war unter Obama Botschafterin bei der UNO, danach Nationale Sicherheitsberaterin. Sie wird als Außenministerin gehandelt, so die Republikaner keine Mehrheit im Senat haben. Die werfen ihr vor, einen Angriff auf das US-Konsulat in Libyen 2012 heruntergespielt zu haben. Auch Ex-Vizeaußenminister William Burns ist im Rennen.
Fragezeichen Senat
Obwohl Biden wie wenige die Innereien im Machtapparat kennt, warten in den ersten Wochen etliche Fallstricke auf den gewählten, aber noch nicht vereidigten Präsidenten. Von den rund 4.000 Top-Jobs, die neu zu vergeben sind, etwa Kabinettsmitglieder, Botschafter oder wichtige Berater, bedürfen über 1.000 der parlamentarischen TüV-Plakette des Senats. Dort ist die Machtkonstellation wackelig. Behielten die Republikaner die Mehrheit, was sich erst nach zwei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia am 5. Jänner zeigen wird, ist mit brutalem Sperrfeuer zu rechnen. Kandidaten- /innen, die aus Sicht der Konservativen zu weit links stehen, könnten vor die Wand laufen.
Frauenpower für das US-Militär
Das Pentagon dürfte erstmals von einer Frau befehligt werden. Michèle Flournoy wurde (nach dem Rücktritt von Chuck Hagel) 2014 als Favoritin dafür gehandelt, trat damals aber nicht an. Alternativ wird Irak-Veteranin Tammy Duckworth genannt. Die in Bangkok geborene Senatorin hat 2004 im Einsatz beide Beine verloren.
Auf der anderen Seite wird die progressive Linke in der demokratische Partei ihren Tribut fordern und von Biden die Installierung fortschrittlicher Kräfte etwa im Finanzministerium oder an der Spitze der Umweltbehörde EPA fordern. Je eher Biden die von Trump bewusst ausgedünnten Belegschaften in vielen Schlüsselministerien (Auswärtiges, Finanzen etc.) konsensual aufstocken kann, desto schneller kann der neue Präsident ab Ende Jänner mit der Umsetzung seiner ehrgeizigen Vorhaben beginnen: Abschied aus dem Pariser Klimaabkommen revidieren; Ausstieg aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurücknehmen; Reisebann gegen einzelne Länder mit muslimischer Bevölkerung aufheben; Steuer-Erleichterungen Trumps für Reiche neutralisieren – was nur mit Zustimmung des Senats funktionieren würde.
Finanzministerium: Eine „Deutsche“ oder der erste Schwarze
Das Direktoriumsmitglied der US-Notenbank, die Wirtschaftswissenschafterin Lael Brainard (58), könnte für Budgetfragen zuständig werden. Die in Hamburg Geborene diente schon als Staatssekretärin im Finanzministerium. Im Gespräch für den Job ist auch Raphael Bostic. Er wäre der erste schwarze und schwule Mann in diesem Amt.
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