EU-Gipfel: Regierungen einigen sich auf strengere Klimaziele
Fast wäre sie angesichts von Corona-Pandemie und des schmerzhaften Wirtschaftseinbruchs in Vergessenheit geraten – die Klimakrise. Doch beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel sollte am Donnerstag eine historische Entscheidung getroffen werden.
Wie schwierig sie zu erreichen war, zeigte die Länge der Verhandlungen. Die ganze Nacht wurde durchgemacht. Alles dreht sich zuletzt um Polen, das auf mehr Geld für den Umbau seiner kohle-intensiven Wirtschaft pochte.
Doch nach nach langem Ringen schaffte man Freitagfrüh die Einigung, wie Ratschef Charles Michel in Brüssel mitteilte.
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In den kommenden zehn Jahren soll das Klimaziel der EU verschärft und die Geschwindigkeit beim Klimaschutz noch einmal verdoppelt werden. Statt wie bisher vorgesehen um 40 Prozent sollen die Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 gedrückt werden.
Wie ehrgeizig dies ist, zeigt das bisher Erreichte: In den vergangenen 30 Jahren sanken die Treibhausgase in der EU um 24 Prozent. In nur einem Jahrzehnt muss nun also mehr als das Doppelte geleistet werden, wenn es nach den gestern beschlossenen Vorgaben der EU-Staats- und Regierungschefs geht.
Für Europa bedeutet das gewaltige Veränderung. Entsprechend skeptisch hatten bisher vor allem die Kohle- und Schwerindustrie-intensiven Länder Osteuropas reagiert. Polen etwa deckt drei Viertel seines Energiebedarfs mit -lastiger Kohle ab.
Und so ziehen beim Gipfel beim 55-Prozent-Ziel zwar erstmals alle an einem Strang. Doch vor allem Polen, Ungarn und Tschechien beharren darauf: Sie bräuchten die Versicherung, dass sie für den Umbau ihrer Wirtschaft erheblich mehr Unterstützung und Gelder erhalten würden.
Besonders hartnäckig pokerte dabei Polen. Premier Mateus Morawiecki drängte auf günstige Sonderkonditionen beim Emissionshandel.
Die Diskussionen darüber zogen sich die ganze Nacht hindurch bis zum fürhen Morgen. Zudem wollten sich mehrere Staaten absichern lassen, dass Gas als eine Übergangslösung weiter genützt werden könne. Dagegen aber wehrte sich vor allem Spanien lange.
„Wir bekennen uns zu dem ambitionierten Klimaziel“, bestätigte auch Bundeskanzler Sebastian Kurz. Doch im selben Atemzug erhob er die Forderung: Damit müssten unbedingt Maßnahmen verbunden sein, die Österreichs und Europas Wettbewerbsfähigkeit sichern.
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Und noch eines steht für den Kanzler fest: „Das Reduzieren des -Ausstoßes darf nicht Hand in Hand gehen mit dem Ausbau des Atomstroms, sonst beißt sich die Katze in den Schwanz. Das wäre nicht förderlich für die Sicherheit in Europa. Wir müssen stattdessen auf erneuerbare Energie setzen.“
Hier aber scheiden sich in Europa schon wieder die Geister. Staaten wie Frankreich oder Tschechien pochen massiv darauf, dass Atomkraft als „klimaneutrale“ Energieform gewertet wird.
Grünes Licht fürs Budget
Dass die für den Umstieg auf eine grünere Wirtschaft in der Union benötigten Milliarden nun fließen könnten, sobald eine Einigung erzielt wird, ist einer weiteren, ungeduldig erwarteten Einigung beim Gipfel zu verdanken. Nach wochenlangen Veto-Drohungen Ungarns und Polens rückten beide Länder von ihrer Blockade ab.
Möglich wurde dies durch einen von der deutschen Ratspräsidentschaft ausgefeilten Kompromiss. Dieser sieht zwar weiterhin vor, dass Rechtsstaatssünder künftig mit dem Entzug von EU-Fördergeldern bestraft werden können. Doch den skeptischen Regierungen von Ungarn und Polen wird versichert, dass sich der neue Mechanismus nur auf die rechtmäßige Verwendung von Fördermitteln beziehe.
Zudem können Polen und Ungarn vor dem EuGH klagen. Und erst nachdem dieser die Rechtmäßigkeit des neuen Sanktionsinstrumentes überprüft hat, darf es angewendet werden. Das bedeutet: Es wird wohl nicht vor dem Frühling 2022 wirksam. Das kommt Ungarns Premier Viktor Orbán entgegen, der möglichst noch vorher wählen lassen will. Ist das ein „großer Erfolg für Ungarn“, wie Orbán am Donnerstag erfreut tönte? Kanzler Kurz formulierte es vorsichtiger: „Das wird wohl jede Seite unterschiedlich interpretieren.“
Konjunkturpaket
Damit ist der Weg für das größte Konjunkturpaket in der Geschichte der EU jedenfalls frei: Insgesamt rund 1.800 Milliarden Euro werden locker gemacht – 750 Milliarden davon entfallen auf den Corona-Hilfsfonds. Er soll vor allem den von der Pandemie am schwersten getroffenen Ländern zugutekommen – den größten Anteil davon wird Italien erhalten. Weitere 1.074 Milliarden Euro bilden das siebenjährige EU-Budget.
Und entschlussfreudig wie selten zeigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs gestern auch noch bei ihrem Abendessen: Da brachten sie weitere Sanktionen gegen die Türkei auf den Weg. Mehrere Personen und Unternehmen werden sanktioniert, die mit den von der EU als illegal erachteten türkischen Gasexplorationen im östlichen Mittelmeer beschäftigt sind. Kurz hätte sich strenge Strafen gewünscht – etwa ein Waffenembargo gegen die Türkei.
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