Die Welt in zehn Jahren: Werden wir das Auto abschaffen?
Das Auto steht massiv unter Druck, meint der Zukunftsforscher Stefan Carsten. Wer noch darauf angewiesen ist, werde künftig mit Batterie fahren. Dominieren werden aber andere Fortbewegungsmittel.
Der Krieg in der Ukraine, Rekord-Inflation und die Klimakrise - die Österreicher blicken so pessimistisch in die Zukunft wie seit 50 Jahren nicht mehr. Zurecht? Zum Jahreswechsel befragen wir Experten aus sechs verschiedenen Disziplinen dazu, wie sich unsere Welt in den nächsten zehn Jahren verändern wird.
Den Beginn machte der Politologe Herfried Münkler. Er ging der Frage nach, ob mit dem Ukraine-Krieg die Ära des Friedens vorbei ist. In Teil zwei sprachen wir mit der Arbeitsforscherin Lena Marie Glaser darüber, ob wir künftig nur noch vier Tage oder gar noch weniger arbeiten werden.
Im dritten Teil ging der Migrationsexperte Gerald Knaus der Frage nach, ob in Zukunft unzählige Klima-Flüchtlinge nach Europa strömen werden. In Teil vier erläuterte die Publizistin Ulrike Herrmann ihre Idee einer Wirtschaft ohne Wachstum. Heute zeichnet der Mobilitätsforscher Stefan Carsten ein Bild davon, wie wir uns künftig fortbewegen werden. Sie finden alle Artikel gesammelt hier.
Der Zukunfts- und Mobilitätsforscher Stefan Carsten wurde 1973 in Lissabon geboren, heute lebt er in Berlin. Für das deutsche Zukunftsinstitut veröffentlicht er jährlich den sogenannten Mobility Report, bei Vorträgen betont er stets, dass die deutsche Automobilindustrie, für die er lange tätig war, zu stark an der Vergangenheit festhalte.
Heutige Tätigkeiten
Als einer der führenden deutschsprachigen Mobilitätsforscher berät Carsten heute große Player in Politik und Wirtschaft. So war er unter anderem für Daimler in die Entwicklung des Car-Sharing-Dienstes „Car2go“ involviert und ist heute Teil des Beraterstabs des deutschen Verkehrsministeriums.
KURIER: Herr Carsten, wird das Privatauto in zehn Jahren aus dem Stadtverkehr verdrängt sein?
Stefan Carsten: Das Auto steht zumindest massiv unter Druck. Zum einen, weil neue Nutzungsgewohnheiten eine immer größere Rolle spielen, und zum anderen, weil Städte eine Neubewertung des öffentlichen Raums durchführen. Das führt dazu, dass man mit dem Auto länger auf der Suche nach Parkplätzen und auch Fahrstreifen ist, von denen es immer weniger geben wird.
Die Nutzung des Autos wird also in Zukunft immer teurer werden, und die Menschen müssen sich überlegen, ob sie ihre Gewohnheiten nicht dahingehend ändern, mehr auf den öffentlichen Nahverkehr oder Mikromobilität zu setzen.
Mikromobilität?
Damit sind klassischerweise alle Fortbewegungsmittel gemeint, die wir uns teilen, also E-Scooter oder Leih-Fahrräder. Ich zähle aber auch das eigene Fahrrad dazu. Das wird in Zukunft sicher der große Gewinner der Mobilitätswende sein. Wir können uns heute noch gar nicht vorstellen, wie viele Radfahrer es in Zukunft geben wird. Die Entwicklung von E-Bikes war hier ein wichtiger Schritt. Es ist extrem einfach, komfortabel und macht Spaß, mit dem Elektrofahrrad durch die Stadt zu fahren. Das gilt auch für Städte mit großen Höhenunterschieden.
Wir werden auch Menschen auf Fahrrädern sehen, die das zuvor niemals geglaubt hätten. Weil es in Zukunft mehr Raum für das Rad und leichteren Zugang zu Fahrrädern in der Stadt geben wird, was den täglichen Verkehr mit dem Rad nicht mehr zur Kampf- und Todeszone, sondern nachhaltig sicher macht.
Dafür müsste das Auto diesen Platz freimachen. Sie sagen, das Auto steht unter Druck. Hat sich dieser Druck durch die Pandemie erhöht?
Absolut. Viele Menschen haben während der Lockdowns, als viel weniger Autos auf den Straßen waren, erkannt, was eine attraktive Lebensumgebung in der Stadt ausmacht. Das ist auch in der Politik angekommen. Mit dem Versprechen von neuen öffentlichen Räumen und dem Rückbau von Straßen werden heutzutage Wahlen gewonnen, das haben wir zuletzt in Paris, Mailand oder London gesehen. Überall dort wird dem Auto gerade der Raum genommen und den Fahrradfahrern, E-Scooter-Fahrern, Fußgängern und dem öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung gestellt.
Gerade bei E-Scootern hat man das Gefühl, dass sie die Gesellschaft spalten. Werden sie relevant bleiben?
E-Scooter sind ein extrem junges Phänomen. Normalerweise dauern große Veränderungen in der Mobilität mindestens zehn, zwanzig Jahre. Diese Scooter sind jetzt seit ca. sechs Jahren verfügbar und haben das Nutzungsverhalten der Menschen schon jetzt verändert. Es ist aber ganz klar, dass wir dafür neue Parkmöglichkeiten brauchen. Paris ist hier ein positives Beispiel: Dort gibt es 30.000 Scooter, die aber nur an fixen Parkplätzen abgestellt werden dürfen. Dort gibt es die Sorgen von verstellten Gehsteigen oder Auto-Parkplätzen nicht mehr.
Was ist aus Ihrer Sicht beim Thema Mobilität die Vorzeige-Region in Europa?
Ich sehe das mit Abstand spannendste Projekt derzeit im Großraum Paris. Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat die Stadt zu einer ernannt, in der Autos nicht mehr willkommen sind. Und das nicht einfach, weil Fahrräder so toll sind, sondern weil sie das wirtschaftliche Überleben der Region gewährleisten will.
Der öffentliche Raum und das Mobilitätsverhalten haben sich dort innerhalb kürzester Zeit verändert. Im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Paris 2024 wird der Öffentliche Nahverkehr massiv ausgebaut, auch mit fahrerlosen U-Bahn-Linien. Und das in einer Region, die mit der Automobilindustrie groß geworden ist.
Auch Autos kann man sich heutzutage einfach mit dem Smartphone leihen. Wird es künftig mehr Car-Sharing-Dienste geben?
Ich sehe da eine Ernüchterungswelle, die wahrscheinlich auch die Anbieter von Mikromobilität noch ergreifen wird. Die meisten Hersteller wie Daimler oder VW haben festgestellt, dass sie mit ihren Kostenstrukturen wenig erfolgreich sind. Wenn das mal vorbei ist, werden Anbieter zurückbleiben, die wissen, wie man solche Geschäfte aufzieht. Ich habe überhaupt keine Zweifel daran, dass Sharing-Dienste grundsätzlich die Zukunft der Mobilität sind. Wir werden immer weniger private Fahrzeuge besitzen und stattdessen situativ jene ausleihen, die wir gerade brauchen.
Auch selbstfahrende Autos?
Definitiv. Ich glaube, hier schließt auch die Frage an: Wird es in zehn Jahren noch klassische Taxis geben? Die Taxi-Branche ist aktuell extrem unter Druck, genau wegen dieser autonomen Konzepte. Vorreitertechnologien werden in den USA und in Asien entwickelt, und die Menschen sind begeistert. Selbstfahrende Taxis fahren schon in einigen US-Städten völlig autonom, die neuesten Modelle vermitteln offenbar ein ganz neues Fahrgefühl.
Warum nicht in Europa?
Das ist ein Zeichen unserer Zeit: Europa ist in Fragen der innovativen Mobilität abgehängt. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis diese Konzepte gekauft und auch in Europa angeboten werden. Wahrscheinlich werden sie in zehn Jahren noch nicht in der Breite verfügbar sein und die große Transformation herbeigeführt haben, aber sie werden da sein und traditionelle Akteure massiv unter Druck setzen. Vor allem, weil sie deutlich sicherer als klassische Autos sein werden.
Wie sieht es auf dem Land aus? Braucht man dort in zehn Jahren noch ein Auto?
Das Auto ist auf dem Land 2033 noch ein ganz wesentliches Fortbewegungsmittel, kein Zweifel. Nichtsdestotrotz sehen wir auch dort neue Konzepte wie On-demand-Shuttlebusse: Kleintransporter mit sechs bis neun Sitzen, die telefonisch oder via App gebucht werden können. Es kann gut sein, dass diese Fahrzeuge in zehn Jahren schon autonom fahren. Damit wären sie preislich noch attraktiver, stünden an jedem Tag rund um die Uhr zur Verfügung und würden damit das private Auto deutlich stärker herausfordern.
Werden dort, wo Menschen weiter auf Autos angewiesen sind, E-Autos dominieren?
Ja. Wir wissen, dass ab 2035 in der EU nur noch Elektromotoren verkauft werden dürfen. Die Batterie hat ohnehin in jeder Hinsicht gewonnen: technologisch, preislich, ökologisch. Neue, bessere Batterietechnologien sind schon in der Entwicklung.
Weisen die in der Produktion dann eine bessere CO2-Bilanz auf? Das ist ja einer der größten Kritikpunkte aktuell.
Die Feststoffbatterie, die in zwei bis drei Jahren auf den Markt kommt, wird deutlich weniger seltene Erden und kritische Rohstoffe beinhalten, als das bei heutigen Batterien der Fall ist. Sie wird eine Reichweite von knapp 1.000 Kilometern haben und in zehn Minuten aufgeladen sein.
Viele Kritiker, die über 120 Jahre die Entwicklung der Verbrennungsmotoren hochgejubelt haben, glauben jetzt, nach wenigen Jahren Batterietechnologie, man wäre am Ende der Forschung und Entwicklung angelangt. Das ist natürlich nicht der Fall, das geht jetzt erst los. Die Zukunft wird elektrisch sein.
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