Kann die Ukraine Russlands Angriffskrieg langfristig abwehren? Und welche Rolle spielen die Waffenlieferungen des Westens?
Seit Wochen beschäftigen Fragen wie diese das Verteidigungsministerium.
Der KURIER konnte mit hochrangigen Militärs sprechen. Namen und Funktion sollen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden.
Hat sich Moskau militärisch übernommen?
Ja. Für alle ernst zu nehmenden Militärstrategen steht das fest – aus vielen Gründen. „Russland hat die Schlacht um Kiew verloren und ist Opfer des eigenen Narrativs geworden“, befundet ein Offizier. Moskau habe sich die Geschichte der angeblich unschlagbaren Armee so oft selbst erzählt, dass die objektive Selbsteinschätzung darunter leide.
Zumindest zwei Dinge wurden falsch eingeschätzt. Das eine sei die Widerstandskraft der ukrainische Armee („Man dachte, die ergeben sich binnen Tagen“). Das andere war das überzogene Hoffen auf den Überraschungseffekt. Nicht anders sei zu erklären, warum man die Ukraine auf breiter Front attackiert habe. „Die Russen haben gegen alle Regeln der militärischen Kriegsführung angegriffen“, sagt ein Experte. So sei das Gelände mitunter fast ignoriert worden. „Panzer, die man in Sümpfe schickt? Wenn Fähnriche an der Militärakademie so etwas vorschlagen, setzt es ein ,Nicht genügend‘.“
Können westliche Waffenlieferungen den Krieg entscheiden?
Ja. Es gilt durchaus als möglich, dass Russland den Krieg militärisch verliert. Allerdings ist auch die Ausdauer der ukrainischen Armee enden wollend. „Wir rechnen damit, dass sie Kraft für einen großen Gegenschlag hat“, sagt ein Stratege. Selbst wenn man schwere Waffen (Panzer, Kanonen etc.) aus dem Westen bekommen sollte, bestehe ein wesentliches Problem darin, die Waffen ins Land bzw. an die Front zu transportieren. NATO-Transporter können nicht in die Ukraine fahren bzw. fliegen, weil das eine direkte Beteiligung am Krieg und damit eine Eskalation darstellen würde. Umgekehrt ist es kaum denkbar, dass ukrainische Soldaten und Transporter in den Westen fahren, um die Gerätschaften zu holen. Auch das wäre eine westliche Beteiligung. Zudem fehlt es der Ukraine an der ausreichenden Zahl an nötigen Schwersttransportern.
Hat Russland Lufthoheit, und ist das wichtig?
Wesentliche Bahn- und Straßenverbindungen im Land sind intakt und werden von der Ukraine kontrolliert. Die Erklärung: Entlang vieler „Adern“ und im Zentrum des Landes ist eine Vielzahl an Flugabwehr-Raketen positioniert – russische Flugzeuge und Kampfhubschrauber können nicht gefahrlos vordringen. Mit Raketen und Marschflugkörpern zerstören die Russen zwar (Bahn-) Brücken und Ähnliches. Allerdings gelingt es den Ukrainern vorerst, die Infrastruktur zu reparieren.
Was kann Österreich aus dem Konflikt „lernen“?
Viel. Mit Abstrichen verwendet die ukrainische Armee ein Konzept, das das neutrale Österreich in den 1960ern im Kalten Krieg entwickelt hat: die „Spanocchi-Doktrin“. Das Prinzip: Weil ein großer Feind auf freiem Feld nicht zu schlagen ist, gräbt man sich an neuralgischen Punkten ein und macht es dem Feind mit Sperren, Spreng-Anlagen und einer Guerilla-Taktik maximal schwer, vorzurücken.
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