Die neuen starken Männer im US-Kongress
Verkehrte Welt in der Herzkammer der US-Demokratie. Bei den Demokraten, die ab Jänner im Repräsentantenhaus in der Minderheit sind, ist der Generationswechsel geräuschlos gelungen. Auf die Fraktionsvorsitzende Nancy Pelosi, die 20 Jahre den Taktstock hielt, folgt der 52-jährige Hakeem Jeffries – der erste Afroamerikaner, der im US-Kongress eine Partei anführt. Ein redegewandter Taktiker und eine Integrationsfigur, der auch mit Sneakers zum Dreiteiler nicht daneben aussieht.
Auf der republikanischen Seite, die mit 222 von 435 Sitzen bei den Zwischenwahlen im November eine dünne Mehrheit errungen hat, herrscht dagegen so etwas wie eine Palast-Revolte. Kevin McCharthy, der am 3. Jänner unbedingt zum Fraktionschef der Republikaner und Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt werden will – was ihn hierarchisch zur Nummer drei in den Staaten machen würde – kämpft bis zur letzten Minute gegen Abweichler vom ultrarechten Rand. Sie wollen ihn erpressen. Ohne ihre Mithilfe kann er die nötigen 218 Stimmen nicht bekommen.
Wer sind die neuen starken Männer im Kongress? Oder ist McCarthy, selbst wenn er nach mehreren Wahlgängen und Deals mit den Radikalen in den eigenen Reihen gewählt würde, schon am ersten Tag ein Schwächling?
Jeffries im Stil Obamas
Hakeem Jeffries, Vater zweier Kinder, kommt aus Crown Heights, kein einfaches Viertel im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Als Sohn einer Sozialarbeiterin und eines Drogenhelfers kennt er die urbanen Problemlagen aus dem Effeff. Auch daher rührt sein großes Engagement gegen Polizeigewalt.
Jeffries hat Politik und Jus studiert, arbeitete als Wirtschaftsanwalt. 2006 bekam er sein erstes Mandat im Bundesstaatsparlament in Albany. Sechs Jahre später der Wechsel nach Washington. Binnen eines Jahrzehnts hat sich der Schwarze, ähnlich wortgewaltig wie Barack Obama, an die Spitze einer von Moderaten und Progressiven in eine Dauerzerreißprobe geführten Partei vorgearbeitet.
Er ist der politische Ziehsohn von Nancy Pelosi (82), die ihm wichtige Aufgaben übertrug, etwa beim Amtsenthebungsverfahren gegen den einstigen Präsidenten Donald Trump. Jeffries zählt selbst zum progressiven Flügel, muss aber darauf achten, dass die Balance zu den gemäßigten Teilen der Fraktion gewahrt und die Politik des Weißen Hauses nicht beschädigt wird. Als Minderheiten-Führer hat er ansprechbar zu sein. Bei Jeffries hört sich das so an: „Unsere Verpflichtung ist es, die Hand auszustrecken, wann immer und wo immer es möglich ist.“
McCarthy unter Druck
Kevin McCarthy steht danach nicht unbedingt der Sinn. „Speaker“ des Repräsentantenhauses wird man nicht ohne Kollateralschäden. Die Position ist so mächtig und die Rechts-links-Spektren der beiden großen Parteien so weitläufig, dass man es nie allen recht machen kann. McCarthy, geboren und immer noch gemeldet im kalifornischen Bakersfield, weiß als Sohn eines Feuerwehrmannes, dass Brände, die nicht früh genug ausgetreten werden, in die Fläche ausgreifen können. Und bei den Republikanern brennt es lichterloh.
Trump-Vertraute wie Marjorie Taylor Greene und andere Radikale der „Grand Old Party“ (GOP), die man noch vor Kurzem belächelte, geben den Ton an. Sie wollen McCarthy nur dann ins Amt hieven, wenn er nach ihrer Pfeife tanzt, ihnen prestigeträchtige Ausschüsse zuschanzt und die Trump-Fahne hochhält.
Als Trump die Wahl 2020 verloren hatte, reihte sich McCarthy ohne langes Zögern in den Chor jener ein, die von einer „gestohlenen Wahl“ sprachen. Als Trump am 6. Jänner 2021 am Kapitol putschen lassen wollte, sprach er aber von „abscheulichem“ Handeln des scheidenden Präsidenten. Das kam an der Trump-Basis gar nicht gut an.
Also schüttete sich McCarthy Asche aufs Haupt, flog zügig nach Mar-a-Lago und küsste dort so lange den Ring des Partei-Paten, bis der „seinen Kevin“ wieder lieb hatte. Das war das erste große Eigentor in Sachen Autorität und Unabhängigkeit. Die Ultras in der „Grand Old Party“ wollen McCarthys Biegsamkeit für sich nutzen. Aber: Kommt er ihnen substanziell entgegen, riskiert der Kalifornier, dass moderate Abgeordnete in den kommenden zwei Jahren hie und da mit den Demokraten gemeinsame Sache machen.
Über Umwege ans Ziel
Übersteht McCarthy überhaupt die Wahl? Eine Standortbestimmung im November hat er mit Pauken und Trompeten verloren. Andy Biggs, einer der rechtsdrehenden Populisten, schnappte ihm bei einer Probeabstimmung knapp 30 Stimmen weg. Biggs wollte auch am 3. Jänner kandidieren. Das könnte für McCarthy ein Stahlbad aus mehreren Wahlgängen bedeuten.
Dass er wirklich scheitern könnte, davon gehen im Moment nur wenige aus und verweisen auf 1839: So lange ist es her, dass eine Mehrheitsfraktion ihren Top-Mann zuletzt nicht auf den „Speaker“-Sessel bekam. Dabei könnte McCarthy auch mit weniger als den eigentlich nötigen 218 Stimmen gewählt werden, solange sich seine Gegner enthalten oder der Wahl fernbleiben. Ein Novum wäre das nicht. In den vergangenen 100 Jahren gingen sechs „Speaker“ mit weniger als 218 Stimmen durchs Ziel.
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