Monarchie gegen Kirche
Hinter dem ebenso plötzlichen wie rasanten gesellschaftlichen Wandel soll niemand Geringerer als Mohammed bin Salman stehen, der im In- und Ausland gefürchtete Kronprinz des Königreichs Saudi-Arabien; oftmals nur kurz „MbS“ genannt. Kaum jemand glaubt aber, dass er ernsthaft eine Gleichberechtigung von Mann und Frau anstrebt.
In Wahrheit versucht die Königsfamilie unter der Führung von MbS, den Einfluss des fundamentalistischen Islam im eigenen Land klein zu halten. Die neuen Rechte für Frauen zielen genau darauf ab: Sie sollen die Macht der erzkonservativen Imame einschränken.
So gibt es keine Straßenpatrouille der berüchtigten Islampolizei mehr, stattdessen ein knallhartes Anti-Belästigungs-Gesetz. Sprich: Wer eine Frau verbal oder körperlich belästigt, kann neuerdings mit einer mehrjährigen Haftstrafe rechnen. Die saudischen Richter greifen meist hart durch, auch aus Angst vor dem Zorn des Kronprinzen.
Die strenge Auslegung des Islam im eigenen Land wird nicht nur auf Grund der Sorge vor aufkeimenden Terror-Zellen bekämpft. Das saudische Königshaus fürchtet vor allem einen religiösen Umsturz, wie ihn zum Beispiel der Iran in den Siebzigern erlebt hat – oder Afghanistan in diesem Jahr. Saudi-Arabien will zur Galionsfigur einer Gegenbewegung werden, die zuvor vom Nachbarland, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), angestoßen wurde.
Familiärer Druck
Die neuen Freiheiten bedeuten aber keineswegs, dass Saudi-Arabien sich hin zu einem Land mit westlichen Werten entwickelt. Auch wenn das Reformtempo vor allem im Hinblick auf die Rechte von Frauen schwindelerregend ist, bleibt das Königreich eine klassische, absolutistische Monarchie: Von einer freien Presse kann keine Rede sein, wer das Königshaus öffentlich kritisiert, muss hinter Gitter – oder wird, wie der Journalist Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul, zerstückelt. Bestrafungen in Form tausendfacher Peitschen- oder Stockhiebe und andere Menschenrechtsverletzungen stehen an der Tagesordnung.
Unter saudischen Frauen haben die Erlasse jedenfalls für Jubelstürme gesorgt. Zu der Wahrheit gehört aber auch, dass ein weit überwiegender Teil von ihnen noch nicht danach lebt, weil es zu viel Einfluss von außen gibt.
„Dabei ist der religiöse Druck gar nicht der entscheidende“, sagt Aasiya. Vielmehr sei es der „kulturelle, familiäre Druck“. So mag es zwar erlaubt sein, als Frau unverheiratet in eine eigene Wohnung zu ziehen, doch stehe es auf einem anderen Blatt, ob auch die eigene Familie damit einverstanden ist.
„Es gibt in meinem Land viel Druck vonseiten der Familie“, erklärt sie. Und weiter: „Aus Sicht der älteren Generation in Saudi-Arabien gilt eine alleinstehende Frau nach wie vor als schandhaft, auch wenn es ihr inzwischen ausdrücklich erlaubt ist. Die Älteren können also im Grunde nichts dagegen tun, aber sie missbilligen es. Das hemmt viele.“
Frauenquote in allen saudischen Unternehmen
Doch der gesellschaftliche Wandel hat auch wirtschaftliche Gründe. Mit einer verpflichtenden Frauenquote von 30 Prozent aller Angestellten in saudischen Unternehmen wird nicht nur zwangsweise für den breiten Eintritt von Frauen in die Arbeitswelt gesorgt, sondern auch der enorm hohen Arbeitslosigkeit im Königreich entgegengewirkt.
Wenn die Diskussion um Frauenquoten im Westen schon scharf geführt wird, wie sieht es dann im Nahen Osten aus? „Natürlich gibt es unter Männern Ärger über die Neuerungen“, sagt die Frauenrechtsaktivistin Hissah al-Koraya* zum KURIER. „Der Mann hat in Saudi-Arabien nämlich traditionellerweise sämtliche Haushaltskosten zu decken. Ist er dazu nicht alleine imstande, so bringt er Schande über sich.“
Im Alltag äußere sich der männliche Unmut allerdings selten, immer weniger Berichte betroffener Frauen werden al-Bakr und ihrer Frauenrechtsorganisation zugetragen. Das liege aber nicht an der Akzeptanz der Männer, sondern daran, dass unter ihnen die Angst zu groß ist, infolge des Anti-Belästigungs-Gesetzes angeklagt und verhaftet zu werden.
*Die Namen der Gesprächspartnerinnen wurden auf ihren Wunsch hin geändert.
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