Saudi-Arabiens Frauen lernen Autofahren - mit Know-How aus NÖ
Im niederösterreichischen Teesdorf, nur ein paar hundert Meter entfernt von der „Backhendl & Schnitzel“-Station sowie einer Diskonttankstelle, wird die Zukunft Saudi-Arabiens vorbereitet. Im Jahr 2030, so der Plan, sollen Frauen gut ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung des Wüstenstaates ausmachen (ja, das ist eine ordentliche Steigerung in dem islamischen Königreich). Wie die Frauen künftig zum Arbeitsplatz kommen, das ist mitunter die Aufgabe von Claudia Gruber-Filippits.
Die 48-jährige Niederösterreicherin ist bei der im Fahrtechnikzentrum Teesdorf angesiedelten Firma „Test and Training International“ die Hauptverantwortliche für die Ausbildung von Fahrlehrerinnen für Saudi-Arabien.
Offiziell Autos lenken dürfen saudische Frauen seit Juni 2018. Das Ende des Fahrverbots, prominent verkündet durch Kronprinz Mohammed bin Salman, schlug hohe Wellen. Bilder von verschleierten, glückseligen Frauen hinter dem Steuer gingen um die Welt.
Der Ansturm auf die Fahrschulen war enorm. Allerdings gab es Mitte 2018 in dem 34-Millionen-Einwohner-Land lediglich fünf Fahrschulen für Frauen. In Saudi-Arabien dürfen Frauen nur von Frauen unterrichtet werden. Hier kommt die Teesdorfer Firma unter der Führung des ehemaligen Formel-1-Fahrers Alexander Wurz und dessen Vater Franz ins Spiel. Aufgrund der guten Kontakte in die Automobilwelt ergatterte das Unternehmen den Auftrag, das gesamte Ausbildungsprogramm zu verantworten. Alleine für 2020 verpflichtete man sich, 5.000 Fahrlehrerinnen zu schulen.
„Wir mussten de facto bei Null anfangen“, erinnert sich Claudia Gruber-Filippits beim Besuch des KURIER. Die studierte Chemikerin und Inhaberin aller Führerscheinklassen leitet seit Beginn das Projekt. Einen einheitlichen Lehrkatalog gab es nicht. „Eine der bestehenden Schulen hatte ihr Programm aus Jordanien übernommen, eine andere es einfach aus diversen Internetquellen zusammengestellt.“
Den ursprünglichen Plan der saudischen Verkehrsbehörde, die Ausbildung in Österreich abzuhalten, verwarf man rasch. Die Reiserrestriktion für Frauen sind trotz einiger Erleichterungen in den vergangenen Jahren noch immer umfassend. Also wurden die heimischen Fahrlehrerinnen einfach in die Wüste geschickt. Bei Auswahl und Einschulung kooperierte man mit der Fahrschulkette Easy Drivers.
„Kulturelle Vorbehalte der Anwärterinnen gab es natürlich“, sagt Gruber-Filippits, die erst diese Woche von einem 48-tägigen Aufenthalt in Saudi-Arabien zurückgekehrt ist. In Abha, im Südwesten des Landes, wurde im Februar eine neue Fahrschule eröffnet. Die Videos der Einweihung mit Lichteffekten und Reden diverser Prinzen erinnern an eine olympische Eröffnungszeremonie.
„Sie geizen nicht“, sagt die Niederösterreicherin, die nach Dutzenden Aufenthalten in den vergangenen drei Jahren Land und Leute zu schätzen gelernt hat.
Politisch äußern will und soll sie sich nicht, die saudischen Behörden verfolgen die öffentlichen Aussagen der Teesdorfer überraschend genau. Nur so viel: „Ich bin überzeugt, dass wir den Frauen ein Stück Selbstbestimmung mitgeben können.“ Während Organisationen wie Human Rights Watch die neu gewonnene Freiheit als teuer erkauft ansehen, Frauen von vielen Bereichen noch immer aus- und Aktivistinnen eingesperrt werden, erkennt die Projektleiterin aus Niederösterreich einen echten, wenn auch zarten Wandel.
Vor allem zu Beginn sei zu den Schülerinnen eine starke Bindung entstanden. „Die waren alle so unendlich dankbar, dass wir da sind für sie.“ Auf den Dankeskarten der Absolventinnen stand geschrieben: „Für die Trainerinnen, die uns Gott gesandt hat.“ Das Interesse nimmt nach bisher fast 200.000 ausgestellten Führerscheinen an Frauen nicht ab. Die Wartezeit auf einen Platz beträgt derzeit zwei Jahre. Mittlerweile sitzen die ersten einheimischen Frauen als Instruktorinnen auf dem Beifahrersitz. 15 Tage dauert der Fahrlehreinnenkurs, den ebenfalls die Österreicher gestaltet haben.
Es gibt Frauen, die irgendwo am Land bereits ein bisschen gefahren sind, aber auch welche, denen man erklären muss, dass es Pedale gibt.“
Für den Führerschein selbst ist ein 30-Stunden-Programm vorgesehen: Acht Theorieeinheiten – Prüfung – zwei Stunden im Simulator, zwanzig Stunden Praxis – Prüfung. Gefahren wird nicht auf öffentlichen Straßen, sondern auf Übungsplätzen. Das Niveau schwanke extrem. „Es gibt Frauen, die irgendwo am Land bereits ein bisschen gefahren sind, aber auch welche, denen man erklären muss, dass es Pedale gibt.“ Das Gefühl für Bewegung und Distanzen fehle generell vielen Saudis, meint die Ausbildnerin: „Wenn man jemanden einen Ball zuwirft, muss man Angst haben, dass er einen blauen Fleck bekommt.“
Das merkt man auch im Straßenverkehr, der laut Claudia Gruber-Filippits selbsterklärend und -regulierend sein soll. Wo man nicht hin soll, türmen sich meterhohe Randsteine. Kürzlich ist sie selbst das erste Mal auf einer saudischen Straße hinterm Steuer gesessen. Nur mit Mühe und Können konnte sie verhindern, am Abschleppwagen zu enden. Eine Unterführung war nach einem überraschenden Regenguss überflutet gewesen.
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