Waffen und Gasterminals
Da fordert Annalena Baerbock als Außenminister lautstark und konsequent die Aufrüstung der Ukraine durch Deutschland, während ihr Koalitionspartner und Kanzler Olaf Scholz in der SPD-Russland-Schleife hängt und vor lauter Zaudern nicht zum Denken kommt. Der grüne Umweltminister Robert Habeck dagegen steckt in Wilhelmshaven an der Nordseeküste und rammt persönlich die ersten Pfosten für ein neues Terminal für LNG-Flüssiggas in den Strand. Währenddessen plant man Ölförderung im deutschen Wattenmeer. Für viele Grüne wären das bisher absolute No-Gos, der Bruch mit allen Glaubenssätzen ihrer Bewegung gewesen, aber die Zeichen der Zeit verlangen eben was anderes - und sie verlangen vor allem entschlossenes Handeln und Entscheidungskraft.
Jenseits von Ost und West
Evelyn Peternel, langjährige Deutschland-Korrespondentin des KURIER bringt das in ihrem Kommentar auf den Punkt: "Man muss die inhaltliche Richtung der Grünen nicht gutheißen. Aber ihre Art, ihre Politik zu begründen, ist zeitgemäß: Worthülsen, Symbolpolitik, leere Versprechungen haben in Zeiten, in denen Unsicherheit alle Lebensbereiche durchdringt, nichts zu suchen. Dafür ist der Krieg zu real, zu unmittelbar, zu tödlich.
Baerbock und Habeck kommt zupass, dass sie einen Politikertypus repräsentieren, der das starre West-Ost-Paradigma hinter sich gelassen hat. Sie haben das deutsche Selbstverständnis der Nachkriegszeit, ja nicht zu einflussreich und damit zu bedrohlich wahrgenommen zu werden, abgelegt."
Kein Siegesgeheul
Die Parteispitze in Berlin gibt sich bedeckt. In Düsseldorf wird natürlich ausgelassen gefeiert, dort denkt man laut darüber nach, ob man jetzt in NRW mit der CDU, oder aber auch der SPD in eine Landesregierung geht. In Berlin lässt man das Feiern - angeblich wegen des Umbaus in der Firmenzentrale - sein und beschränkt sich auf Statements für die Medien.
Auch die sind allerdings sehr auf understatement ausgelegt: "Wir sind mit einem Kurs der Eigenständigkeit gewählt worden. Uns geht es um unser eigenes Ergebnis, unser Potenzial." Das kann quasi alles heißen, vor allem aber heißt es, das man dem schwer angeschlagenen Kanzler und Koalitionspartner Olaf Scholz nicht allzu heftig gegen das Schienbein treten will, ihm gleichzeitig aber vermittelt, dass man jetzt selbst den Kurs vorgibt.
FDP im Eck
Und das ist für die Ampelregierung in Berlin eine klare Vorgabe. Die FDP, die in NRW nur knapp dem politischen Tod entronnen ist, muss sich jetzt auch in Berlin kleinlaut geben. Die SPD ist in ihrer ohnehin ausführlich erörterten Kanzlerkrise - und die Grünen auf Siegerkurs.
Den will man, spekuliert der bekanntermaßen gut informierte Spiegel, aber nicht jetzt und voreilig auskosten: "Habecks Interesse dürfte ohnehin ein anderes sein. Wollen die Grünen 2025 tatsächlich nach der Kanzlerschaft greifen, dürfen sie bis dahin nicht wieder zum Anhängsel der Sozialdemokraten werden, zu deren natürlichem Regierungspartner, wie sie es früher waren. Dafür müssen sie an möglichst vielen verschiedenen Bündnissen beteiligt sein – auch um konservativen Wechselwählern zu signalisieren: Seht her, wir können nicht nur linksliberal.
Auch Konservative gebraucht
"Will Habeck Kanzler werden, wird er solche Wähler brauchen. Sein Interesse muss es sein, die Grünen ein Stück unberechenbar bleiben zu lassen. Oder, wie es Grüne gern ausdrücken: eigenständig." Der Mann, der also bei der letzten Bundestagswahl im Vorjahr Annalena Baerbock wenn auch widerwillig den Vortritt als Spitzenkandidatin gelassen hat, kann sich in Ruhe auf seine große Chance vorbereiten. Die Zeit spielt für ihn und für die Grünen.
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