Die Briten auf der Suche nach alter Größe
Boris Johnson beschwor die große Vergangenheit der britischen Seefahrt als er Anfang Februar, wenige Tage nach dem Austritt aus der EU, in einer Rede in Greenwich seine Landleute dazu aufrief „den Geist unserer Vorfahren“ wieder erwachen zu lassen.
„Deren Heldentaten brachten nicht nur Reichtum, sondern auch etwas noch Wichtigeres – eine globale Perspektive.“ Nach dem Brexit sollte Großbritannien in eine neue Blütezeit segeln – mit starken Handelsbeziehungen, neuen Partnern und Einfluss auf der Weltbühne.
Corona als Bremse
„Global Britain“ heißt die Vision, die sich Johnson schon 2016, damals als Außenminister, auf die Fahnen schrieb. Aber Experten sehen bisher keinen klaren Kurs hinter dem Slogan. „Die Brexit-Entscheidung erforderte ein neues Etikett für den Umgang mit der Welt,“ erklärt Geoffrey Sloan von der Universität Reading dem KURIER. „Die politische Führung suchte also Zuflucht in dieser ziemlich bedeutungslosen Phrase.“
Eine strategische Neudefinition der Außen- und Sicherheitspolitik war geplant. „Aber COVID kam in die Quere, und jetzt werden wir auf absehbare Zeit auf Innenpolitisches ausgerichtet bleiben,“ sagt auch Professor Anand Menon, Leiter des Think Tanks „The U.K. in a Changing Europe“ am King's College London.
Kein Wunder also, dass das Land dieser Tage außenpolitisch manchmal wie ein Geisterschiff wirkt, das von den Wellen getrieben wird, die andere Großmächte schlagen. So etwa Mitte Juli als die britische Regierung, unter Druck aus Washington, eine Kehrtwende machte und den chinesischen Technologieriesen Huawei vom Ausbau des 5G-Mobilfunknetzwerks ausschloss.
Der chinesische Botschafter in London, der schon von Johnsons Angebot enttäuscht war, von Pekings neuem nationalen Sicherheitsgesetz bedrohte Bewohner der einstigen Kronkolonie Hong Kong aufzunehmen, schoss zurück: „Britannien kann nur dann Großbritannien sein, wenn es eine unabhängige Außenpolitik hat.“
London hat seither auch ein Auslieferungsabkommen mit Hong Kong ausgesetzt. Experten sehen jetzt chinesische Vergeltung am Horizont. Dabei hatten die Briten die USA und China als wichtige Partner nach dem Brexit eingeplant.
Auch mit einer anderen Großmacht ist Großbritannien auf Rammkurs seit es beim Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal gegen Russland Stellung bezog. Kürzlich bezichtigte London das Land gleich zweimal der Cyberspionage. Und der Bericht eines Parlamentsausschusses im Juli nannte Russland einen „feindlichen Staat“ und sprach von seinem negativen Einfluss in Großbritannien als „die neue Normalität.“
Die USA, mit denen die Briten ein neues Freihandelsabkommen verhandeln, bleiben also vorläufig der Hauptpartner (bisweilen erweitert um die drei anderen Mitglieder der sogenannten „Five Eyes“ Geheimdienstallianz: Kanada, Australien und Neuseeland). Experten warnen allerdings auch hier vor möglicher rauer See, sollten die Briten bei wichtigen Themen meutern. Beide Partner sprechen zwar gerne von ihrer „besonderen Beziehung“ – „aber die ist für London viel wichtiger als Washington“, sagt Menon.
Auch das endgültige Auslaufen aus dem EU-Hafen zum Jahresende nach der Übergangsphase könnte schwieriger werden als erhofft, denn in den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen gibt es bisher wenig Fortschritt. Sloans Prognose: „Die britische politische Elite hat auf guten Wind gehofft, wird aber in unangenehmes Wetter geraten.“ Quentin Peel vom Think Tank „Chatham House“ kritisiert, dass Großbritannien in den EU-Gesprächen nicht auch eine Kooperation in Sicherheits- und anderen Fragen anpeilt. „Britische Instinkte sind den europäischen viel näher,“ sagt er dem KURIER.
„Aber der Instinkt der Johnson-Regierung scheint es zu sein, Washington zu folgen. Das ist das Gegenteil davon, was mit dem Brexit versprochen wurde, nämlich wieder selbst mehr Kontrolle zu übernehmen.“
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