Ampel-Ende und ein Ministerpräsident Höcke? Die wichtigsten Fragen nach der Wahl
"Bitter." Und: "Daran kann und darf sich unser Land nicht gewöhnen." So kommentierte Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen. Die rechtsextreme AfD kam auf mehr als 30 Prozent, in Thüringen wurde sie stärkste Partei. Das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wurde aus dem Stand zweistellig, die Ampel-Parteien wurden abgestraft.
Wie wollen die Parteien mit der AfD nun vorgehen? Hat Höcke Chancen auf das Amt des Ministerpräsidenten? Und ist die Ampel-Regierung in Berlin am Ende?
Welche Folgen haben die Ergebnisse für die Ampel-Regierung?
Zwar war bei den gestrigen Wahlen nur ein Bruchteil der Bevölkerung in Deutschland wahlberechtigt – in Sachsen und Thüringen sind es rund fünf Millionen Einwohner, in der ganzen Bundesrepublik über 60 Millionen. Doch das Ergebnis für die Regierung in Berlin ist desaströs: Nur jeder Zehnte hat für eine der Ampel-Parteien gestimmt; die SPD hat ihre historischen Wurzeln aus dem 19. Jahrhundert in den ostdeutschen Bundesländern.
Die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung, in der Streit und gegenseitiges Anpatzen dominieren, ist enorm – nicht nur im Osten, wo zusätzlich ein Gefühl der Benachteiligung und eine größere Bereitschaft, neue "Protestparteien" zu wählen, herrscht. Vor allem von der oppositionellen Union gab es heftige Kritik an der Ampel: Unionsfraktionsvize Jens Spahn nannte "Olaf Scholz das Gesicht des Scheiterns"; CSU-Chef Markus Söder sprach von der Ampel als "rauchende Ruine im Osten". Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, einer der Gewinner der Wahl, verlangte tiefgreifende Änderungen in der Bundespolitik: "Auf diesem Weg nimmt unser Land großen Schaden."
Ist die Ampel-Regierung jetzt am Ende?
Nein. Denn von Neuwahlen würden die Ampel-Parteien nicht profitieren, sie würden alle an Stimmen verlieren. Die FDP könnte sogar, so wie jetzt in Sachsen und Thüringen, aus dem Bundestag fallen. Die Regierung wird sich bis zur Bundestagswahl im September 2025 durchbeißen, bevor im Frühling nächsten Jahres sowieso der Wahlkampf offiziell startet. Konfrontation ist weiterhin vorprogrammiert: SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat seine Partei dazu aufgefordert, "sich nicht mehr auf der Nase herumtanzen lassen von anderen, die krachend aus den Landtagen jetzt rausgewählt worden sind". Er bezog sich dabei auf die FDP. Auch die Grünen hoffen auf Einsicht bei der FDP, dass sich ihr Oppositionskurs innerhalb der Ampel nicht ausgezahlt habe. Die FDP wiederum deutet die Ergebnisse als "Rückschlag und Ansporn zugleich", führte aber nicht aus, wofür.
- Wird die AfD nun regieren und Höcke Ministerpräsident?
Das hätte der Thüringer AfD-Spitzenkandidat und Rechtsextremist Björn Höcke natürlich gerne. Alle anderen Parteien haben jedoch eine Regierungsbildung mit der AfD ausgeschlossen. "Als stimmenstärkste Partei wird sie diese Entscheidung als undemokratisch brandmarken", so der Politikwissenschaftler Volker Best von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die anderen Parteien dürften die Vorwürfe nicht ignorieren und müssten die Mehrheit in einem parlamentarischen System betonen.
Die AfD kann Höcke für das Amt des Ministerpräsidenten in Thüringen nominieren, traditionell hat die stimmenstärkste Partei ein Recht dazu. Für das Amt braucht Höcke aber die Mehrheit der Stimmen der Abgeordneten. Die dürfte Höcke verwehrt bleiben.
Allerdings verfügt die AfD über mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag in Thüringen, sie kann also zahlreiche Vorhaben blockieren, für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht – etwa eine Auflösung des Landtags, Verfassungsänderungen oder die Wahl von Präsidenten oder Richtern.
Der CDU-Politiker Thomas de Maizière, einst Minister in Sachsen und Berlin, sagte am Sonntagabend: "Die Zusammenarbeit des Landtags muss, um der AfD nicht eine neue Opferrolle zu ermöglichen, die Regeln, die man bisher angewendet hat, auch anwenden." Die AfD müsse "kalt, aber normal behandelt, aber nicht mit ihr regiert werden."
Wie kommt jetzt eine Regierung in Sachsen und Thüringen zustande?
In Sachsen fehlt der aktuellen Koalition aus CDU, SPD und Grüne eine absolute Mehrheit. Außerdem, hat Michael Kretschmer, der CDU-Ministerpräsident von Sachsen, der sich im Wahlkampf genauso wie AfD oder BSW auf die Grünen eingeschossen hat, eine Neuauflage ausgeschlossen. Um eine Regierung zu bilden, müssten er neben der SPD mit dem BSW koalieren. Kretschmer hat das nicht ausgeschlossen, "Parteiideologien" müssten dabei in den Hintergrund treten. "Wir reden über Inhalte", sagte Kretschmer. CDU und BSW haben bei mehreren Themen ähnliche Standpunkte, etwa was die Begrenzung von Migration angeht.
In Thüringen ist die Lage verzwickter, dort regierte bisher eine links-grün-rote Minderheitsregierung, toleriert von der CDU. CDU, BSW und SPD haben keine Mehrheit, es bräuchte zusätzlich oder statt der SPD die Linke. Gegenüber der hat die CDU aber einen Unvereinbarkeitsbeschluss.
In beiden Ländern wäre auch eine Minderheitsregierung eine Option. Möglich wäre, dass dann bei einzelnen Gesetzesverabschiedungen auch auf Stimmen der AfD zurückgegriffen wird. Das hat die CDU in Thüringen bereits einmal getan und so gegen die Minderheitsregierung von Ramelow regiert.
Welche Rolle hat Sahra Wagenknecht?
Die neue Partei der Ex-Linken-Ikone hat die Rolle der Königsmacherin inne. Für eine stabile Regierungsmehrheit kommt man an ihr in beiden Bundesländern nicht vorbei. Sie dürfte deswegen die Latte hochlegen, hat bereits im Wahlkampf ein Bekenntnis zu einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine abgegeben und die Nicht-Stationierung von US-Raketen zur Koalitionsbedingung gemacht. Auch wenn Wagenknecht zuletzt betont hat, in den Ländern mitregieren zu wollen, gibt es Zweifel, ob es sie ernst meint. Regieren heißt, einem Realitätstest und einer möglichen Entzauberung unterzogen zu werden – und das kurz vor der Bundestagswahl 2025, bei der sie sich den Einzug in den Bundestag nicht nehmen lassen will.
Besonders schwierig wäre es für die CDU, wenn Wagenknecht in einem der Länder mitregieren wolle. "Mit einer Kommunistin in einer Landesregierung zu regieren, würde mir sehr schwerfallen“, so de Maizière. Die hat jedoch ihren Platz in Berlin betont, wolle bei Verhandlungen mitreden.
Ist die Linke nun endgültig Geschichte?
Nach der Abspaltung des BSW ist die Linke nur mehr als Gruppe im Bundestag vertreten; die ostdeutschen Bundesländer galten als Hochburgen der Linken. Dass das Antreten des BSW der Linken extrem schaden würde, war absehbar. Doch ist der Verlust von zwei Drittel der Stimmen im Vergleich zu 2019 vor allem in Thüringen bitter, wo der Linke Bodo Ramelow Ministerpräsident ist. Auch die Regierungsverantwortung ist laut Politikwissenschaftler Volker Best Grund für ihre sinkenden Zustimmungswerte: "Sie hat sich an Regierungsprojekten beteiligt, die nicht ihrer Programmatik entsprachen, zum Beispiel Sparkurse mitgetragen. Dadurch ist sie unglaubwürdig geworden." Auch die Westausdehnung der Linkspartei, der Versuch, in Westdeutschland Fuß zu fassen, habe dazu geführt, dass sie ihr "genuines Ostprofil" einbüßte.
Dennoch zeigt sich, dass einzelne Persönlichkeiten der Linken trotz der Unzufriedenheit beliebt sind und der Partei durch die Grundmandatsklausel einen Einzug sichern können – in Sachsen ist die Linke dank zweier Direktmandate im Landtag vertreten. Diese Mandate sind dafür verantwortlich, dass die AfD die Sperrminorität in Sachsen nicht erreicht hat.
Was steckt hinter der hohen Wahlbeteiligung?
73,6 Prozent in Thüringen, 74,4 Prozent in Sachsen. Das sind einige Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wahl 2019 und die höchsten Werte seit der Wende. Ministerpräsident Bodo Ramelow sprach am Sonntag trotz des dramatischen Ergebnisses seiner Linken von einem "Festtag für die Demokratie". Bisherige Nichtwähler wählten vor allem drei Parteien: die AfD, die CDU und das BSW. Es waren also sowohl populistische Parteien ohne Regierungserfahrung als auch die Opposition, die Nichtwähler mobilisierten.
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