Die Frau, die den Rechtsextremisten Höcke schlagen will
Einst gegen, heute mit Sahra Wagenknecht: Die Ex-Linke Katja Wolf will Björn Höcke als Thüringer Ministerpräsident verhindern. Wie? Mit Pragmatismus – auch gegenüber der AfD.
Als Katja Wolf am Marktplatz in Eisenach aus dem Auto steigt, wartet da bereits ein älteres Ehepaar. Wolf erblickt die beiden, läuft auf sie zu, schüttelt der Frau die Hand und entschuldigt sich, dass sie nicht schon eher zur Eisernen Hochzeit gratuliert habe. "Aber Sie wissen ja, der Wahlkampf. Am 27. Juli hatten Sie, richtig?" Die alte Frau nickt und strahlt, und streicht der Thüringer Spitzenkandidatin des "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) fast liebevoll über den Kopf.
Wolf will gemeinsam mit Sahra Wagenknecht bei der Landtagswahl am 1. September einen AfD-Ministerpräsidenten Björn Höcke verhindern. Bisher regierte hier die Linke, jetzt führt die AfD in Umfragen mit 30 Prozent. Dahinter folgen die CDU (23 Prozent) und das BSW mit 17 Prozent.
Katja Wolf, 48 Jahre alt, groß, blond, drahtig, schwärmt von Seefeld in Tirol, wo sie sich vor dem Wahlkampf noch ein paar Tage Pause gegönnt hat – und Eisenach. Für Wolf ist der Auftritt an diesem Tag ein Heimspiel: In der knapp 40.000 Einwohner Stadt war sie 12 Jahre lang Oberbürgermeisterin – für die Linke. Noch im Vorjahr nannte sie die Sahra Wagenknecht eine Spalterin, weil sie der Linkspartei den Rücken kehrte und ihr eigenes Bündnis gründete. Heute steht sie mit ihr und für ihr Bündnis auf der Bühne. Wie kam es zu dem Gesinnungswandel?
Eisenach scheint wie eine Mini-Version Ostdeutschlands: barocke, deutsche Hochkultur (Johann Sebastian Bach ist hier geboren), ehemalige Industrie-Hochburg (der erste BMW wurde 1929 hier gebaut), Geburtsort der Sozialdemokratie (die SPD hatte 1869 hier ihren Gründungsparteitag), und eine starke rechte bis rechtsextreme Szene.
Jedes Jahr ziehen Burschenschaften im Fackelzug zum Burschenschaftsdenkmal; im Vorjahr dominierte die Verurteilung einer Gruppe Linksextremisten, die in Eisenach Neo-Nazis zusammenschlugen, die Medien. Im Stadtrat sitzen Mitglieder der neonazistischen NPD. Sie findet man auch in der verrauchten "Altdeutschen Bierstube" – genauso wie immer weniger werdende, aber standhafte Linke, die den Raum nicht den Neo-Nazis überlassen wollen.
Nach der Wende abgehängt
Was treibt die Eisenacher in den Rechtsextremismus? "Das Gefühl, von oben herab aus Berlin, von einer Politik, die von der Lebensrealität der Menschen weit entfernt ist, bestimmt zu werden", versucht Wolf "ihre" Stadt zu erklären. Dass genügend Geld für die Ukraine und Migranten da sei, nicht aber für die eigene Bevölkerung. "Das haben die Menschen hier schon mal erlebt: Nach der Wende ist der Automobilbau zusammengebrochen, beinahe in jeder Familie hat wer seine Arbeit verloren. Diese Enttäuschung, uns hat man nicht geholfen, jetzt helft ihr der ganzen Welt, die dominiert in der Bevölkerung", sagt Katja Wolf dem KURIER kurz vor ihrem Auftritt am Eisenacher Marktplatz.
Es sei ihr nicht leicht gefallen, das Bürgermeisteramt und die Linke zu verlassen, betont Wolf in nahezu jedem Interview. Die deutschen Medien nennen sie die "Abtrünnige", die "Trümmerfrau". Sie erzählt einmal mehr von einem Abend um Weihnachten, als die AfD in Umfragen bei über 35 Prozent lag, und sie mit Freunden beisammen gesessen sei. "Das war ein Moment der blanken Ohnmacht und des Entsetzens. Und plötzlich merkten wir, wir hätten alle einen Plan B, wenn Höcke Ministerpräsident würde." Ihrer lautete: wegziehen. Nach München, zu ihrem Partner. Also trat Wolf dem BSW bei. Die AfD schwächen, das war seit Beginn das ausgeschriebene Ziel des BSW. "Ich hatte kein Vertrauen mehr, dass die Linke das schaffen würde. Die Enttäuschung über die Arbeit der Partei ist zu groß."
"Professionell, distanziert, enttäuscht", so beschreibt Wolf das Verhältnis heute zum linken Ministerpräsidenten Thüringens, Bodo Ramelow. "Verständlich."
In der letzten ZDF-Umfrage kommt die AfD in Thüringen auf 30 Prozent, die CDU auf 23 Prozent und das BSW auf 17 Prozent. Die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow liegt bei 14 Prozent. Ramelow regiert mit SPD (6 Prozent) und Grüne (4 Prozent) in einer Minderheitsregierung, die von der CDU unterstützt wird. Ramelow gilt als beliebter als seine Partei, 42 Prozent der befragten Thüringer würden ihn bei einer Direktwahl wählen. Für Björn Höcke (AfD) würden sich 16 Prozent entscheiden, für Mario Voigt (CDU) 10 Prozent und für Katja Wolf (BSW) 6 Prozent.
Unlängst machte Wolf Schlagzeilen, als sie sagte, "Scheuklappen" im Umgang mit der AfD seien nicht mehr zeitgemäß. Zu einer Koalition mit der AfD gebe es ein klares Nein, es sei aber nicht ausgeschlossen, im Landtag künftig Gesetze mit AfD-Stimmen zu beschließen, oder Gesetzesvorschlägen der AfD zuzustimmen. Aufregung in der deutschen Presse. Dieselbe Katja Wolf hat einem NPDler bei der Angelobung im Stadtrat einst den Handschlag verweigert.
"Uns zu unterstellen, wir würden der AfD da eine Tür aufmachen, ist absurd“, erklärt sich Wolf dem KURIER, und erinnert an die CDU, die "bereits Gesetze im Landtag ganz bewusst mit Stimmen der AfD beschlossen hat. Wir müssen uns inhaltlich mit der AfD auseinandersetzen. Die Ausgrenzung hat, wie wir ja bei der Zustimmung sehen, bisher wenig gebracht." Gleichzeitig, vielleicht auch zur eigenen Beruhigung, betont Wolf, sie habe noch keinen "sinnvollen" Gesetzesvorschlag der AfD gehört.
Am Marktplatz in Eisenach, wo Wolf und Wagenknecht gleich auftreten. Das Publikum eher älter, gefühlt mehr Männern als Frauen. Fragt man, was die Leute früher gewählt hätten, bekommt man Antworten quer durchs Parteienbeet: SPD, Grüne, Linke, AfD. "Ich wähl‘ Wolf, weil ich sie sympathisch finde, und sie die einzige weibliche Spitzenkandidatin ist", sagt eine junge Frau.
Nicht alle wählen Wolf wegen Wolf – der eine ärgert sich über die Radwege, die unter ihr als Oberbürgermeisterin gebaut wurden, "herausgeschmissenes Geld". Ein andere darüber, dass der Bau der neuen Handballhalle so lange gedauert hat. Was alle aber gemein haben: Die Aussage Wolfs, mit AfD-Stimmen im Landtag möglicherweise Gesetze beschließen zu wollen, sorgt für viel weniger Empörung als in den Medien. Ralf Wiehmann, ein freiwilliger Helfer des BSW, stellt gerade noch ein paar Holzbänke auf: "Nur weil es dieselben Positionen sind, kann man ja nicht sagen, dass sie schlecht sind."
Und dann stehen die beiden auf der Bühne: Wolf und Wagenknecht, einst eher gezwungenermaßen Parteikolleginnen, heute Weggenossinnen. Wolf spricht mit sachlicher Stimme über den Lehrermangel, die schlechten Öffi-Verbindungen, Landesverordnungen, "die uns erdrücken vor Bürokratie"; Wagenknecht teilt gegen "westdeutsche Journalisten, die uns nicht verstehen" und die Grünen in Berlin aus, "die glauben, die Welt dreht sich um Hafermilch Macchiato, Lastenfahrrad und Bio-Läden". Auch die obligatorischen "Kriegstreiber" in der Bundesregierung werden angeklagt. Was die beiden Frauen auf der Bühne am ehesten verbindet, ist das schwarze Kostüm, das beide tragen.
"Wagenknecht macht in Berlin Oppositionspolitik. Ich stamme aus der Kommunalpolitik, und war immer in der Verantwortung, pragmatische Lösungen zu finden. Sie muss zuspitzen, pointieren, manchmal auch ein bisschen über das Ziel hinausschießen, um Menschen zu erreichen. Das macht sie gut." Man sei ein gutes Team, sagt Wolf zum KURIER, um gleichzeitig zu betonen, "wir sind nicht fremdbestimmt aus Berlin". Dagegen spricht die Bekräftigung Wagenknechts dieser Tage, sie werde nach der Wahl mit am Thüringer Verhandlungstisch sitzen.
Eine Wagenknecht-Ministerpräsidentin?
Sie habe "große Ehrfurcht" vor der Wahl, so Wolf – "für mich ist jede freie Wahl immer noch eine Sensation" – und vor dem, was nach dem 1. September kommt. In Umfragen liegt das BSW wenige Prozentpunkte hinter der zweitplatzierten CDU. Sollte sich das noch drehen, wäre eine Ministerpräsidentin Wolf nicht unwahrscheinlich.
Auch der Wahlhelfer Ralf Wiehmann glaubt daran. "Irgendwas muss man ja tun. Nichts ist passiert die letzten Jahre, und deswegen sind wir jetzt so polarisiert." Ob er glaubt, dass sich das nach der Wahl ändert? "Nö."
Kommentare