Ihre Positionen sind klar; ausgestattet mit spitzer Zunge und einem enormen Selbstbewusstsein scheut sie kaum eine Kontroverse. Den Zulauf zur AfD nennt sie verständnisvoll einen "Akt der Notwehr": "Die Menschen sind verzweifelt im Land angesichts der desaströsen Politik der Ampel, die planlos das Land immer tiefer in die Krise steuert." Sie polarisiert, kritisiert die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland. Sie ist für eine Begrenzung von Migration, gegen strikten Klimaschutz und warnt vor einer "De-Industrialisierung Deutschlands, wenn die Regierung nichts gegen die hohen Energiekosten unternimmt". Die Grünen sind für sie die "gefährlichste Partei" im Bundestag. Ihr Feindbild: die sogenannten "Lifestyle-Linken, die sich anmaßen, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben, zu essen, zu reden und zu denken haben".
Kurzum: Wagenknecht plädiert für eine linke Sozial- und Wirtschaftspolitik – und für konservative bis rechte Gesellschaftspolitik. Eine derartige Mischung gibt es in der deutschen Parteilandschaft aktuell nicht.
Großes Potenzial
Der Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner von der Uni Mannheim zufolge spricht Wagenknecht auch deswegen Wähler quer durch die Bevölkerung an: von jung bis alt, Männer und Frauen, aus allen politischen Parteien und sozioökonomischen Gruppen. Dazu all jene, die lange nicht mehr von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht oder zuletzt die teils rechtsextreme AfD gewählt haben. "Das sind Wähler, die eher unzufrieden mit der Demokratie und eher konservativ eingestellt sind. Viele fühlen sich mit der AfD nicht wohl, sehen aber keine andere Partei, für die sie stimmen können", sagt Wagner. Dieser Wählerschaft geht es primär um die Abkehr von den etablierten Großparteien, um den viel zitierten "Denkzettel an die da oben".
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Stärkung der AfD?
Dennoch wird befürchtet, dass eine Wagenknecht-Partei diese kulturell-konservativen Einstellungen in der Gesellschaft verstärken könnte. Das könnte indirekt die AfD normalisieren, die sich zugleich als das kulturkämpferische Original gegenüber anderen Parteien positionieren dürfte.
Die Vorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, wirft Wagenknecht einen "Egotrip" vor. Der Linken droht das Ende im Bundestag: Die Fraktion hat nur mehr 38 Abgeordnete, 37 sind das Minimum. Wagenknecht werden Unterstützer aus der Partei folgen (bereits dabei sind die noch amtierende Co-Vorsitzende der Linksfraktion, Amira Mohamed Ali, und der Abgeordnete Christian Leye). Für die Fraktion im Bundestag wird es knapp werden. Mit dem Verlust des Fraktionsstatus würde sie finanzielle Unterstützung verlieren, es gäbe weniger Redezeit, weniger parlamentarische Rechte. Die Linke könnte dann nur mehr als Gruppe im Bundestag bleiben.
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Wagner sieht in einer Trennung der Linke von Wagenknecht allerdings auch eine Chance, wieder mehr Einheit in der Linkspartei zu schaffen. Die Linke könnte etwa im Pool jener Grünen- oder SPD-Wähler fischen, die "mit der Kompromisspolitik, die die Partei in der Regierung macht", nicht einverstanden sind.
Die SPD wiederum wirbt bereits um die verbliebenen Linke-Abgeordneten: "Wer sich für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität einsetzt und in unserem Land etwas bewegen will, ist in der SPD willkommen. Unsere Türen stehen offen", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil der Welt am Sonntag.
Zuerst EU, dann Osten, dann Bundestag
Wagenknechts Fahrplan nach Montag: ein Testlauf bei der Europawahl im Frühling, dann die Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst 2024. Dort fällt Wagenknechts Popularität im Schnitt höher aus als im Bund. Je nach (Miss-)Erfolg folgt dann möglicherweise die Bundestagswahl 2025.
Wofür eine Wagenknecht-Partei jetzt aber schon beispielhaft steht: die Zersplitterung der modernen Parteienlandschaft und die Herausforderungen, die damit auf Demokratien zukommen. Wagner glaubt, "dass es immer schwieriger werden wird, Koalitionen zu bilden, die eine eigene Mehrheit haben. Wenn wir uns anschauen, welche Schwierigkeiten das Dreierbündnis Ampel hat, ist der Ausblick auf Viel-Parteien-Koalitionen nicht gerade verlockend."
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