Sahra und das Gespenst einer Wagenknecht-Partei

Selbstbewusst blickt Sahra Wagenknecht in die Kamera. Sie trägt ein rosa Kostüm, ihre Haare sind streng nach hinten gekämmt. Ihr Lieblingsthema, die "Kriegstreiberei des Westens" gegenüber Russland, dominiert auch die aktuelle Folge ihrer "Bessere Zeiten – Wochenschau" auf Youtube. "Wer Waffen liefert, will Krieg. Sonst würde er Diplomaten schicken. Die Ampel muss Friedensverhandlungen unterstützen, statt weiter Öl ins Feuer zu gießen."
Ihre Position gefällt. Über 600.000 Menschen folgen ihr auf der Videoplattform, bis zu zwei Millionen Mal werden ihre Videos geklickt. Das Kommentarfeld hat sich längst zur Echokammer gewandelt: "Vielen Dank für Ihre wahren Worte!", "Wieder eine glänzende Analyse."
Von so viel Zustimmung kann "ihre" Linkspartei aktuell nur träumen. Bei jeder der vier Landtagswahlen im Vorjahr verfehlte die Partei den Einzug ins Parlament. "Gründen Sie Ihre eigene Partei!", schrieb ein User unter Wagenknechts letztes Video. 50 anderen gefällt der Kommentar.
Medienberichten zufolge könnte der Aufruf bald Wirklichkeit werden. "Die Überlegungen seien so ernsthaft wie noch nie, es werde geplant und geprüft", zitiert der Spiegel Wagenknechts Umfeld. Im Frühjahr, als Ehemann und Parteimitgründer Oskar Lafontaine mit der Linkspartei brach, kamen erste Gerüchte auf. Vor Jahreswechsel gab es die ersten Meinungsumfragen. Laut Spiegel könnten sich 20 Prozent der Deutschen vorstellen, einer Wagenknecht-Partei die Stimme zu geben; in Ostdeutschland sogar jeder zweite Wahlberechtigte.
Beliebt bei AfD-Wählern
Eine abgespaltene Wagenknecht-Partei, so Beobachter, würde das Ende der Linken bedeuten. Sie würde ihren Fraktionsstatus und erhebliche Gelder verlieren, den Einzug in den Bundestag nicht wieder schaffen. Sie würde aber auch die erstarkende Rechte schwächen. Denn laut Umfragen punktet die ehemalige Fraktionsvorsitzende mit ihren Positionen vor allem bei AfD-Anhängern.

September 2018: Wagenknecht formt die Bewegung "Aufstehen", die sie im März 2019 schon wieder verließ.
Torsten Oppelland betont, er habe keine Glaskugel. Derzeit glaubt der Politikwissenschafter von der Uni Jena aber nicht an eine Parteineugründung: "Wagenknecht würde zwar gerne, sagt aber selbst, dass es nicht so einfach ist", verweist der Politologe auf Wagenknechts eigene Aussagen. Und erinnert: "Sie hat es ja schon 2018 probiert, mit der Bewegung 'Aufstehen', nach dem Vorbild des französischen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon, und ist gescheitert. Wenige Monate nach der Gründung hat sie sich zurückgezogen. Die Erfahrung war nicht ermutigend." Denn Sahra Wagenknecht ist keine, die eint.
Sie stand schon immer für Polarisierung und die Gegen-Position, nicht erst seit Beginn des Krieges in der Ukraine. Während der Pandemie kritisierte sie die Corona-Politik der Regierung, warnte vor einer "Gesundheitsdiktatur". Regelmäßig schimpft sie auf die jungen "kosmopolitischen Lifestyle-Linken" ihrer Partei, die die Positionen der Grünen – der "derzeit gefährlichsten Partei, die wir aktuell im Bundestag haben" – nachahmten.
Mit ihrer seit jeher russlandfreundlichen und antiamerikanischen Position befeuert sie einen alten Konflikt in der Partei und sorgt angesichts des Krieges in der Ukraine für besondere Aufregung: Der Ampelregierung warf sie im Bundestag vor, "einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen". Nie haben mehr Mitglieder die Partei verlassen als nach dieser Aussage.

Im März 2022 verließ Ehemann und Parteimitgründer Oskar Lafontaine (r.) die Linke.
Sahra Wagenknecht (53) sitzt seit 2009 für die Linke im Bundestag. Aufgewachsen in Ost-Berlin, stieß sie 1989 zur Sozialistischen Einheitspartei (SED), nach der Wende gehörte sie zum Parteivorstand der PDS und der Kommunistischen Plattform. Seit 2007 Mitglied bei der Linkspartei, 2011 bis 2019 im Fraktionsvorsitz. 2014 heiratete sie Parteimitgründer Oskar Lafontaine.
Linke in der Krise
Neben innerparteilichen Richtungskonflikten erschütterten im Vorjahr Vorwürfe zu sexuellen Übergriffen die Partei; Bundesparteivorsitzende Janine Wissler stand deswegen in der Kritik. Im deutschen Bundestag ist die Linke nur dank dreier Direktmandate noch vertreten. Bei allen vier Landtagswahlen im Vorjahr verpasste sie den (Wieder-)Einzug ins Parlament.
Weder in einer eigenen Partei noch an der Spitze der Linken würde sich Wagenknecht aber lange halten, so Oppelland, der zu den politischen Parteien in Deutschland forscht, zum KURIER: "Sie würde es genauso wenig wie die aktuelle Vorsitzende schaffen, die traditionell zersplitterte Linke zusammen- und innerparteiliche Konflikte nach außen hin fernzuhalten." Das sowie das Scheitern beim Vertreten sozialer Anliegen nach außen hält Oppelland für mitverantwortlich für die Krise der Partei. Die Wähler treibe das in die offenen Arme der AfD, die zwar ohne Lösungsvorschläge, dafür mit einem identitätspolitischen Zusammengehörigkeitsgefühl aufwarte.
"Zeitplan für Parteigründung"
Oppellands Zweifel an einer stabilen Wagenknecht-Partei zum Trotz werden die Rufe nach einem Ausschluss der einstigen Linken-Ikone immer lauter. Wagenknechts Genossen orten darum ein "Rausmobben aus der Partei", beraten laut Spiegel sogar über den "Zeitplan einer Parteigründung".
Zumindest Linke-Altstar Gregor Gysi, der am Montag seinen 75. Geburtstag feiert, scheint nach wie vor auf eine Versöhnung mit Wagenknecht aus. Er soll an einem entsprechenden Papier arbeiten. "Frau Wagenknecht hat wie ich eine historische Verantwortung gegenüber der Partei", sagte er unlängst, "und dieser müssen wir gerecht werden."
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