Schreckgespenst Björn Höcke: "Wenn er regiert, überlege ich wegzuziehen"
In Thüringen wird in eineinhalb Wochen gewählt, die AfD steht bei 30 Prozent auf Platz eins. Was fasziniert an einem offen Rechtsextremen wie Parteichef Höcke? Und was macht das mit denen, die ihn nicht wollen? Eine Spurensuche in Erfurt.
"Nazis raus", skandierten die rund 2.000 Demonstrierenden in Jena. Zumindest an diesem Dienstagabend ging ihre Forderung in Erfüllung. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke musste sein geplantes Bürgergespräch in der Stadt absagen. Zuvor soll er versucht haben, mit seinem Auto, seinen Personenschützern und der Polizei die Demo zu durchbrechen, berichteten Augenzeugen auf X. Die Polizei setzte Pfeffersprays und Schlagstöcke ein, um Sitzblockaden und die Masse aufzulösen.
In knapp eineinhalb Wochen wird im ostdeutschen Thüringen gewählt. Derzeit regiert dort die Linkspartei, nach dem 1. September wird aber wohl die AfD auf Platz eins stehen: 30 Prozent wird ihr in Umfragen prognostiziert, und das mit ihrem offen rechtsextremen Parteichef Björn Höcke. Die CDU würde heute mit nur 21 Prozent auf Platz zwei landen.
Was macht das mit einem Land und seinen Menschen?
"Hö-cke, Hö-cke, Hö-cke"
Eine Stunde vor der Absage steht Höcke im Norden Erfurts vor einer riesigen Plattenbausiedlung, ein Relikt aus DDR-Zeiten. Seine Hemdärmel sind aufgekrempelt, am Ohr hat er ein Mikro, um die Hände frei zu haben zum Gestikulieren. "Hö-cke, Hö-cke, Hö-cke", rufen die gut 200 jubelnden Anhänger. Auch sie werden unterbrochen von einer Demo, zu der linke Gruppierungen aufgerufen haben. "Björn Höcke ist ein Nazi", steht auf einem Plakat, "Kein Recht auf Nazi-Propaganda", rufen die Demonstrierenden.
"Wir wollen Rechtsextremismus nicht den Raum überlassen, das können wir nicht zulassen. Wir müssen trotzen", sagen zwei junge Frauen Mitte 20, beide in Jeans und schwarzem T-Shirt.
Die Gegendemo bleibt bei den AfD-Anhängern nicht unregistriert. "Die Demo da, die geht mir auf den Keks. Die sind es, die Angst schüren. Oder würden Sie dann mit einem AfD-Anstecker da durch gehen?", sagt ein älterer Mann mit Sonnenbrille und grüner Kappe, er ist für Höcke extra aus Niedersachsen angereist. Er zeigt gereizt auf die Demonstrierenden: "Genau das wird es nicht mehr geben, wenn die AfD regiert, dann wird diese Repression ein Ende haben und wir haben wieder Meinungsfreiheit." Welche Repressionen er meint,kann er aber nicht weiter ausführen.
Eine Gruppe Jugendlicher, manche davon noch nicht wahlberechtigt (bei Landtagswahlen liegt das Wahlalter bei 18 Jahren), hat sich ein blaues Wahlkampfsackerl geholt, mit Trillerpfeife und Fliegenklatsche darin – "Zeckenklatsche", sagt einer und grinst. "Zecke" gilt unter Rechtsextremen als Schimpfwort für Linke. Seine Freunde johlen.
Auch Höcke holt auf der Bühne gegen die Demonstrierenden aus. Sie seien die "Opfer der Bildungskatastrophe"; das käme heraus, wenn in den Schulen, ein beliebtes Feindbild Höckes, "gegendert wird" – Höcke spricht das Wort mit deutschem G, nicht mit englischem.
Im Juli war Höcke zum zweiten Mal verurteilt worden, wegen der Verwendung einer Naziparole. Auf der Bühne wiederholt er die freilich nicht, aber den Opfergestus spielt er aus: Unter ihm als Ministerpräsident würde es eine derartige Verfolgung Andersdenkender nicht geben, verspricht er. Der Verfassungsschutz, der die AfD ja in Teilen als gesichert rechtsextrem einstuft und auch beobachtet, würde dann nicht mehr "in unverschämter Art und Weise gegen die Opposition in Stellung gebracht", sagt Höcke; er würde "demokratisiert" oder gleich abgeschafft.
Den Chef des Verfassungsschutzes Thüringens nennt er zwar einen "Stasi-Schriftführer", den Gegendemonstranten selbst begegnet er aber bewusst handzahm. Sie "müssen dann keine Angst haben, dass sie bei Kundgebungen mit Gewalt bedroht werden", sagt er – und füttert so ein Gefühl der Furcht bei seinen Anhängern, trotz Absperrungen und Dutzenden Polizisten zwischen der Veranstaltung und der Gegendemo. Gleichzeitig baut er einen Wohlfühlort für seine Wählerschaft auf: "Die sind immer nur dagegen, wir sind für etwas. Sie können nur abreißen und zerstören, wir stehen für das Schöne." Thüringen werde unter ihm "wieder frei sein, ein richtiger Freistaat. Diese Herrschaft der Angst", so Höcke laut, "wird enden." Seine Anhänger jubeln.
Einen Ministerpräsidenten Höcke, das versprechen die anderen Parteien zu verhindern. Das wird wohl gelingen, da stehen alle Parteien dahinter. Mitreden wird die AfD dennoch: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das auf mit 18 Prozent auf Platz drei rangiert, findet nichts an einer punktuellen Zusammenarbeit. Die beiden jungen Frauen bei der Gegendemo sind sich nicht sicher, was sie dann machen würden. Eine arbeitet für eine Stiftung für politische Bildung und Erinnerungskultur – Höcke hat bereits wiederholt gedroht, derartigen Initiativen die Finanzierung streichen zu wollen, Deutschland solle wieder "selbstbewusster" werden.
Und wenn Höcke regiert und selbst kein Trotz mehr hilft? "Dann würde ich mir wirklich überlegen, wegzuziehen", so die junge Frau.
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