Peter Eggen saß für die Rechtspopulisten im Stadtrat. Nun trat er aus der Partei aus und warnt vor einer "Unterwanderung von Rechtsextremen". Besuch bei einem, der von der AfD enttäuscht wurde.
Peter Eggen trägt einen grauen Wolljanker und einen roten Stoffbeutel unter dem Arm, darin ein dicker Ordner voller Zeitungsartikel: "Wir haben alles aufgehoben." Er blättert, holt einen Bericht der lokalen Main Post hervor: Es geht um eine Razzia bei Mitgliedern einer Burschenschaft, der Volksverhetzung vorgeworfen wird. Eines der Mitglieder kandidiert in Eggens Bezirk für die AfD bei der bevorstehenden Landtagswahl. "Das ist der Beweis", sagt Eggen. "Die AfD ist von Rechtsradikalen unterwandert."
Dass das ausgerechnet von Eggen kommt, ist deswegen berichtenswert, weil der 68-Jährige bis vor Kurzem selbst noch AfD-Mitglied war, für die Partei im Stadtrat saß und vor drei Jahren als Oberbürgermeisterkandidat antrat.
Bad Kissingen ist eine kleine Kurstadt mit 22.000 Einwohnern im nordbayrischen Unterfranken; ein bisschen erinnert es an das imperiale Baden bei Wien. Kaiser Franz Joseph und Sisi sollen sich hier genauso erholt haben wie Reichskanzler Bismarck. Beschaulich wirkt das Leben hier. Doch im Sommer sorgte ein Ehepaar für Schlagzeilen: Freia Lippold-Eggen und Peter Eggen, pensioniert und für die AfD im Stadtrat sitzend, prangerten "ihre" Partei öffentlich als rechtsradikal an. Lippold-Eggen verglich die Partei mit der NSDAP 1933 und sprach sich sogar für ein Parteiverbot aus. Im August trat das Ehepaar aus der Partei aus.
Der frustrierte CSU-Wähler
"Eigentlich", sagt Eggen, "habe ich als bayrischer Landesbeamte immer CSU gewählt."
Rechtsradikale Positionen liegen ihm fern. Seine Frau kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, war dort bei der CDU. Nach dem Umzug nach München wollte sie nicht automatisch zur Schwesterpartei CSU übergehen. 2017, nach der Flüchtlingsbewegung, "als Hunderttausende junge Männer in München eingefallen sind", so Eggen, trat seine Frau der AfD bei. Er sei ein Jahr später gefolgt: "Ich war unzufrieden mit der Einwanderungspolitik der Bundesregierung."
Was er denn für (AfD-)Positionen vertrete? Der pensionierte Finanzbeamte überlegt kurz: Mit dem von den Rechten geforderten EU- oder NATO-Austritt sei er nie einverstanden gewesen. Er sei vollständig geimpft, trotzdem aber bei Corona-Demos mitgelaufen; gegen Waffenlieferungen, aber kein Putin-Freund. Die aktuelle Bundesregierung halte er für "grottenschlecht", den Klimawandel "zu einem großen Teil" für menschengemacht.
Seinen Austritt erklärt er mit der "rechtsradikalen Unterwanderung" der Partei. Es geschah im vergangenen Herbst, als die Bundes-AfD neue Mitglieder in den Kreisverband schickte – alles Anhänger der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" und einer Burschenschaft, der eine Nähe zum Rechtsextremismus nachgesagt wird. Einer der Gruppe steht jetzt auf Listenplatz zwei der AfD in Unterfranken, und dürfte in den Landtag einziehen.
Der Höhenflug der AfD ist auch in Bayern zu beobachten: Bei der Landtagswahl am 8. Oktober werden der Partei 14 Prozent prophezeit. 2018 holte sie 10,2 Prozent und zog erstmals in den Landtag ein. Der Verfassungsschutz sieht die AfD bundesweit als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Die AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) wird in einigen Bundesländern als "gesichert rechtsextrem" beobachtet: Positionen widersprächen teilweise dem demokratischen Grundgesetz.
"Wir waren die AfD in Bad Kissingen"
Sein Einspruch habe keine Instanz interessiert. Anderen Kreisverbänden sei es ähnlich ergangen, erzählt Eggen. Der Parteiaustritt war nur mehr eine Frage der Zeit. "Wir wollten unseren Namen nicht länger dafür hergeben", erklärt er. Seit August sitzen Eggen und seine Frau als Parteilose im Stadtrat, "um rechtsradikale Nachrücker bis zur nächsten Kommunalwahl zu verhindern".
"Wir waren die AfD in Bad Kissingen", sagt Eggen, nicht ohne gewissen Stolz, der in der Stimme mitschwingt. Lange habe man an "das Gute" in der Partei geglaubt. Was Eggen damit meint? Die "Gemäßigten" in der AfD, von denen er gehofft hatte, sie würden ähnliche "sehr konservative" Werte vertreten wie er. Bisher habe es mit Rechtsradikalen innerhalb des Kreisverbandes keine Probleme gegeben. Umgekehrt gab es auch keines zwischen der Stadtregierung und der AfD: In einem kleinen Ort wie Bad Kissingen beschließt man neue Parkbänke im Rosengarten auch schon mal einstimmig im Stadtrat.
Die Reaktionen nach dem Parteiaustritt des Ehepaars reichten von Beschimpfungen ehemaliger AfD-Kollegen bis Zuspruch von Partei-Gegnern. Draußen von der Straße winkt Eggen ein Mann zu. Man kennt sich vom AfD-Stammtisch im Tenniscafé. "Ich wähl’ die AfD weiterhin", zeigt sich der Mann unbeeindruckt. "Gibt ja keine andere Alternative, um den Großparteien einen Denkzettel zu verpassen. Die CSU ist ein Fähnchen im Wind." Die Kaffeehausbesitzerin, die einst auf Kommunaleben für die CSU kandidiert hat, betont, "immer zwischen Mensch und Politik" zu unterscheiden. Die beiden behüteten Herren am Nebentisch schließen eine Stimme für die AfD aus, als Eggen ihnen den Grund für seinen Austritt erklärt, interessieren sich dann aber schnell lieber dafür, wann denn die Toiletten am Bahnhof wieder geöffnet werden – "ein schlechtes Erscheinungsbild für Bad Kissingen".
Eine Frage brennt noch auf der Zunge: Wen Eggen am 8. Oktober jetzt wählen wird? Er überlegt nur kurz: "Wahrscheinlich wieder CSU."
Übrigens: Peter Eggens Frau, Freie Lippold-Eggen, steht nach wie vor als Bezirkstagskandidatin für die AfD am 8. Oktober zur Wahl: Ihr Austritt kam nach der Fixierung der Kandidaten. Dass sie gewählt wird, hält Eggen aber für unwahrscheinlich.
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