Es ist eine so unerwartete wie ungewöhnliche Allianz, die diese Woche an die deutsche Öffentlichkeit trat. In einem gemeinsamen Positionspapier fordern der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Naturschutzbund (Nabu) und der WWF die Ampelregierung dazu auf, die umstrittene Speicherung des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid (CO₂) unter der Erde bzw. unter dem Meer zu ermöglichen.
Die Kernaussage des Papiers: Ohne die Abscheidung, also chemische Trennung, und anschließende Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) sowie industrielle Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) von CO₂-Emissionen seien der nötige Umbau der Industrie hin zur Klimaneutralität nicht zu schaffen und somit die Klimaziele nicht zu erreichen.
Die Technik ist jedoch umstritten und darum in Deutschland wie auch in Österreich und sieben weiteren EU-Ländern bisher verboten. Hierzulande drängt die ÖVP auf eine Änderung der Gesetzeslage. Bundeskanzler Karl Nehammer bezeichnete CCS im Herbst als „Schlüsseltechnologie“. Eine entsprechende Strategie wird derzeit im ebenfalls ÖVP-geführten Finanzministerium ausgearbeitet, auch die Grünen stehen dem grundsätzlich offen gegenüber.
Am deutschen Vorstoß ist nun vor allem überraschend, dass sich auch zwei Umwelt-NGOs explizit für CCS aussprechen. Denn es sind nicht zuletzt weite Teile der Klimabewegung, die sich vehement gegen die Technik sperren.
Ihre Sorge ist, dass die Verfügbarkeit von CCS als Ausrede missbraucht werden könnte, Maßnahmen zur Verringerung von Emissionen zu verwässern oder aufzuschieben. Denn klar ist: CCS reicht auf keinen Fall aus, um die Erderwärmung und ihre verheerenden Folgen zu bremsen.
CCS nur dort einsetzen, wo es unvermeidbar ist
Zudem ist sie sehr teuer, braucht viel Energie und verursacht auch selbst wieder Emissionen – bei der Abscheidung selbst, beim Transport und beim Verpressen des Kohlendioxids in das Gestein.
„Wir stehen hinter dem Prinzip CO2-Vermeidung und Reduktion vor Abscheidung“, steht darum auch als erster Satz in dem deutschen Positionspapier. Aber: „Es ist richtig, CCS und CCU nun prioritär dort einzusetzen, wo CO2-Emissionen nach aktuellem technischem Stand nicht vermieden werden können.“
Dem solle die Ampel in ihrer Carbon-Management-Strategie Rechnung tragen, die seit vergangenem Jahr ausgearbeitet wird. Aus dem von Robert Habeck (Grüne) geführten Wirtschaftsministerium hieß es gegenüber der Welt, die Strategie sei bereits weit fortgeschritten und sie werde „die Anwendung von CCS und CCU ermöglichen“.
Ohne CCS sind die Klimaziele nicht zu erreichen
Wissenschaftlich ist die Bedeutung der CO2-Abscheidung als ein Baustein der Klimawende weitgehend unbestritten. „Um ein vernünftiges, globales Temperaturniveau zu halten, werden wir zweifellos ein gewisses Maß an Kohlendioxidabscheidung benötigen“, sagt etwa Klimaforscherin Diana Ürge-Vorsatz zum KURIER. „Ich weiß, dass es viele Befürchtungen gibt, dass CCS zu weniger Klimaschutz führt, aber wir brauchen beides.“
Vor allem, weil es Industrien gibt, die mit heutigen technischen Mitteln nicht dekarbonisiert werden können, etwa die Zementproduktion. Auch der Weltklimarat IPCC vertritt darum die Meinung, dass die Klimaziele ohne CO2-Abscheidung nicht zu erreichen sind.
Vor 12 Jahren war der Widerstand zu groß
Doch was rational vernünftig ist, ist nicht notwendigerweise beliebt, das gilt in der Klimapolitik wie in allen anderen Bereichen des Lebens. 2012 scheiterte ein erster Versuch, CCS in Deutschland zu erlauben, am Widerstand der Bevölkerung rund um die geplanten Lagerorte, damals unter anderem in Schleswig-Holstein.
Zu groß waren die Befürchtungen, das Gas könnte entweichen. Für zusätzliche Skepsis sorgte damals, dass die Projekte nur von fossilen Energiekonzernen wie RWE betrieben wurden.
Bewusstseinswandel an oberster Stelle
„Im Land will das niemand haben“, sagte damals der Umweltminister des nördlichsten Bundeslandes. Sein Name: Robert Habeck. „Lieber CO2 im Boden als in der Atmosphäre“, sagt Habeck heute. Man müsse mit den Möglichkeiten arbeiten, die man zur Verfügung habe. Zudem werden die Risiken der Methode als geringfügig eingeschätzt. Dennoch teilen nicht alle Grünen seine Ansicht.
Aber wie ist die Stimmungslage bei den Menschen?
Rund 50 Prozent der Deutschen würden eine Einlagerung von Kohlendioxid selbst im Boden ihrer Region akzeptieren, ergab eine Umfrage im vergangenen Frühjahr. Besonders offen zeigten sich die jüngeren Befragten sowie die Westdeutschen.
Wie das Zustandekommen des Thesenpapiers zeigt, kann sich die Stimmung aber drehen. „In der Tat ist CCS kein einfaches Thema für uns", sagt Daniel Rieger vom Naturschutzbund zur Süddeutschen, die als erstes Medium über die Allianz berichtete. Man müsse heute aber zur Kenntnis nehmen, dass man zur Begrenzung der Erderwärmung „einfach alle Hebel in Bewegung setzen" müsse.
Die Technik ist schon lange im Einsatz
Vielleicht hebt neben der schieren Notwendigkeit die Akzeptanz auch, dass die Methode bereits seit Langem angewendet wird: In Norwegen bereits seit 1996, in Island seit 2014, in Dänemark seit vergangenem Jahr und Großbritannien will 2030 starten. Von Gasaustritten ist bisher nichts bekannt. Doch selbst die, die damit ihr Geld verdienen, benennen die Grenzen der Technik.
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