Deutsche Kanzlerfrage: Baerbocks Boom und Laschets Last

Deutsche Kanzlerfrage: Baerbocks Boom und Laschets Last
Die Grünen überholen CDU/CSU in der Wählergunst und erleben einen Mitgliederzuwachs. Armin Laschet muss indessen weiterkämpfen.

Der eine holperte in einer nächtlichen Abstimmung zur Kanzlerkandidaten-Kür, die anderen hatten ihre bestens orchestriert – eine Woche nachdem CDU/CSU und Grüne sehr unterschiedlich ihre Nummer eins für den Wahlkampf nominiert haben, geben beide weiter ein konträres Bild ab. Im aktuellen „Sonntagstrend“ des Meinungsforschungsinstituts Kantar gewinnen die Grünen sechs Prozentpunkte dazu und liegen mit 28 Prozent vor der Union. Schon vor einer Woche holten sie die Union in einer Blitzumfrage ein. Zudem vermeldeten sie einen Mitgliederboom: Trudeln normal wöchentlich zwischen 150 und 300 Anträge ein, waren es nach der Kür von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin 2.159 – das sei "absoluter Rekord", erklärte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner.

Politologe Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin ortet gegenüber dem KURIER allerdings eher "ein Momentum, was sich aus dem krassen Gegensatz von Union und Grünen speist. Die innerparteilichen Entwicklungen waren ja schier gegensätzlich", erklärt er mit Blick auf den Machtkampf zwischen den konkurrierenden Parteivorsitzenden Armin Laschet und Markus Söder. Zudem haben sich in der Vergangenheit gezeigt, "dass solche Hypes durchaus flüchtig sind. Es bleibt ein spannendes Wahljahr".

In der CDU wiederum wirkt sich der "Laschet-Effekt" bisher eher nicht wie erhofft aus: CDU-Landesverbände melden Parteiaustritte. Laschet, dem nachgesagt wird, selbst Gegner integrieren zu können – Ex-Rivale Friedrich Merz steht an seiner Seite – erklärte, dass er mit den Verbänden "intensive Gespräche" führe.

Söder stichelt weiter

Etwas schwieriger dürfte die Kommunikation mit seinem unterlegenen Kontrahenten Markus Söder sein: Dieser sagte ein für Montag geplantes Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel und dem CDU-Chef ab. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung lobte er Annalena Baerbock ("frische und moderne Kandidatur") und distanzierte sich von Laschet. Sie hätten ein unterschiedliches Verständnis von Demokratie und Programm, so Söder. Sein Politikansatz sei "vielleicht etwas progressiver" etwa im Bereich Klima- und Artenschutz, Frauenquote oder Hightech als der des CDU-Vorsitzenden. Es sei jetzt nicht klug, "eine Politik Helmut Kohl 2.0" aus der Vergangenheit zu machen, stichelte Söder. Er erwarte, dass Laschet am 26. September ein Ergebnis deutlich über 30 Prozent erreiche, eher näher bei 35 Prozent. 2017 fuhr die Union mit 32 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in der Parteigeschichte ein.

Und weil er die Latte damit nicht hoch genug gelegt hat, prophezeit Söder noch: "Es wird wohl der schwierigste Wahlkampf seit 1998." Damals fand ein Machtwechsel statt. Die Regierung wurde erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik von der Opposition über Wahlen abgelöst. Statt Helmut Kohl saß Gerhard Schröder (SPD) im Kanzleramt und regierte bis 2005 mit den Grünen.

Persönliche Werte verbessern

Was muss Armin Laschet nun tun, um das Ruder umzureißen? Für Politologe Thorsten Faas ist klar: "Er muss für Geschlossenheit in der Union sorgen, vor allem aber seine persönlichen Werte verbessern, denn die sind bisher wirklich schlecht. Und das alles in einem medialen Umfeld, das auf Widersprüche zu seinen früheren Ausführungen gnadenlos hinweisen wird, was wiederum eine Gefahr für seine Glaubwürdigkeit darstellt."

Laschet, der am Montag mit dem CDU-Gremium über sein Wahlprogramm beriet, übt sich trotz der schwierigen Ausgangslage in Gelassenheit, wie man es von seiner Vorgängerin Angela Merkel kannte. Als wäre fast nichts gewesen, erklärte er mit Blick auf den innerparteilichen Streit, dass es nun alle als wohltuend empfunden haben, "jetzt einmal über Ideen zu sprechen". Auf die Frage, ob CSU-Chef Söder denn im Wahlkampf noch ein vertrauensvoller Partner sei, antwortete er lapidar: "Ja, auf jeden Fall."

Kommentare