Einige konnten die Telefonkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gar nicht mehr erwarten – und preschten vor. Nordrhein-Westfalen drohte im Alleingang Kitas zu öffnen, Niedersachsen kündigte an, ab kommender Woche Restaurants, Cafés und Biergärten aufzusperren.
So sehr Bund und Länder vor mehr als fünf Wochen um die Maßnahmen gerungen haben, so tun sich es auch in der Frage wie schnell und wie weitreichend diese nun gelockert werden. Dazu kommt der Druck aus der Wirtschaft, Opposition und den Landesfürsten selbst. Denn das Virus hat sich im 83-Millionen-Einwohner-Land unterschiedlich stark ausgebreitet. So sind Bundesländer im Nordosten Deutschlands bisher am wenigsten betroffen. Bayern gilt hingegen als Hotspot.
Und so wird es auch bei den Lockerungen der Maßnahmen in manchen Ländern weiter Unterschiede geben.
Über die Öffnung in der Gastronomie und im Tourismus sollen sie in eigener Verantwortung entscheiden - manche Länder wie wie Bayern, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern hatten dazu schon Konzepte erarbeitet. Demnach könnten Lokale ab dem 9. Mai aufsperren. Auch in anderen Bereichen wird künftig auf Länderebene entschieden. Dazu gehören die Rückkehr der Schüler in die Klassenzimmer (in einigen Ländern sitzen dort bereits die ältere Jahrgänge), der Vorlesungsbetrieb an Hochschulen, die Öffnung von Musikschulen. Darüber hinaus auch jene von Bars, Clubs und Discos, Messen, Fahrschulen, Kosmetikstudios, Schwimmbädern, Fitnessstudios. Ebenso über "kleinere öffentliche oder private Veranstaltungen oder Feiern sowie Veranstaltungen ohne Festcharakter". Gleiches gilt auch für Theater und Opern.
Erste Phase überstanden
Deutschland hat "die allererste Phase" der Coronavirus-Pandemie hinter sich, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Anschluss der Beratungen. Daher seien weitere Lockerungen möglich. Gleichzeitig betonte sie, dass "noch eine lange Auseinandersetzung mit dem Virus" bevorstehe. Daher sei es weiterhin wichtig, Abstand zu halten und einen Mund-Nasen-Schutz im öffentlichen Raum zu tragen.
Deutschland gegen Grenz?ffnung f?r Touristen
Kontaktbeschränkung, aber keine App
Die Kontaktbeschränkungen gelten weiter bis 5. Juni – allerdings dürfen sich künftig Mitglieder von zwei verschiedenen Haushalten treffen. Besuche bei Bewohnern von Pflegeheimen sollen ebenfalls möglich werden, wenn der Kontakt auf eine Person beschränkt bleibt.
Auch weiter gilt in Deutschland in der Öffentlichkeit ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Die Verfolgung von Infektionsketten bleibt den Mitarbeitern von Gesundheitsämter überlassen. Eine App, die ursprünglich mit den Lockerungen eingeführt werden sollte, gibt es nach wie vor nicht.
Geschäfte sollen unabhängig von ihrer Größe unter bestimmten Auflagen öffnen, wenn sie die "Reduzierung der Ansteckungsgefahr" sicherstellen. Mehrere Gerichte haben zuvor die 800-Quadratmeter-Regel gekippt. Breiten- und Freizeitsport darf unter freiem Himmel stattfinden; die Bundesliga startet – im Geisterspiel-Modus – in der zweiten Maihälfte wieder.
Noch kein grünes Licht für Auslandsurlaub
An Urlaub außerhalb Deutschlands ist vorerst noch nicht zu denken. Das Auswärtige Amt hat bis 14. Juni eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen. Da in vielen Ländern noch Beschränkungen gelten und man auch verhindern will, dass Deutsche in der Ferne stranden – eine Viertelmillion musste nach dem Corona-Ausbruch zurückgeholt werden.
Zudem herrschen in vielen Ländern Europas Grenzkontrollen – in Deutschland selbst bis 15. Mai. Sie seien angesichts der "weiterhin bestehenden fragilen Lage" noch erforderlich, erklärte Innenminister Horst Seehofer (CSU). Auch Polen und Tschechien kontrollieren weiter. In Österreich wurden die Grenzkontrollen bis 31. Mai verlängert – es wird an der Grenze zu Deutschland, Italien, der Schweiz, Liechtenstein, Tschechien und der Slowakei kontrolliert.
Rüge aus Bayern
Die Forderungen österreichischer Politiker nach Grenzöffnungen stießen bei deutschen Politikern auf wenig Zustimmung. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wies im Bild-Presseclub auch auf die innerdeutschen Regeln hin: "Es gilt ein Einreiseverbot für eine Vielzahl von Ausländern. Außerdem gibt es eine bundeseinheitliche Verordnung, dass deutsche Bürger, die aus dem Ausland kommen, 14 Tage in Quarantäne müssen", so Herrmann. Und: "Ich will Österreich daran erinnern, dass es nicht ganz unbeteiligt war, dass Deutschland und speziell Bayern so stark betroffen ist. Niemand will Kontrollen für ewig."
Wie es nach Ablauf der Kontrollen am 15. Mai weitergeht, ist unklar. In Norddeutschland arbeite man an einer Öffnung zur dänischen Grenze, kündigte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) an.
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es gegenüber dem KURIER, dass man in puncto Reiseabkommen eine "europäische Lösung" anstrebe. Man ist in Gespräch mit den EU-Partnern und der EU-Kommission. Ziel der Abstimmung ist ein hohes Maß an Transparenz, damit sich die europäischen Partner auf bevorstehende Maßnahmen ihrer jeweiligen Nachbarn möglichst gut und umfassend einstellen können. Es sollen aber u.a. auch gemeinsame Kriterien erarbeitet werden, wie Tourismus unter Infektionsschutzgesichtspunkten möglich sein kann.
Notfallmechanimus
Die deutsche Zurückhaltung hat auch mit der Sorge vor einer zweiten Welle zu tun. So einigten sich Bund und Länder am Mittwoch auf einen Notfallhebel: Die Lockerungen sollen zurückgenommen werden, wenn die Zahl der Neuinfektionen in einem Bezirk binnen sieben Tagen die Zahl von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner übersteigt. Dies wird allerdings nicht die Kanzlerin persönlich überwachen, die Verantwortung obliegt den Ländern und lokalen Behörden. Sie müssen dann die Bremse ziehen.
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