Deutschland zwischen Lockdown und Lockerung: Kleine Schritte nach vorne
"Europa schaut bewundernd und verwundert auf Deutschland." Was Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), nach den Beratungen mit der Bundeskanzlerin, vor den Journalisten erklärte, mag durchaus stimmen. Er bezieht sich auf internationale Medien wie die New York Times, den Sender CNBC und französische Presse, die Deutschland zuletzt als Vorbild ausriefen. Warum? In dem 83-Millionen-Einwohner-Land ist die Todesrate vergleichsweise niedrig, überhaupt habe man die Corona-Krise trotz viel kritisiertem Gesundheitssystem - und dem aus Sicht mancher Nachbarländer zurückhaltenden Restriktionen - gut gemeistert. Die Zahl der Neuinfektionen geht zurück.
Und das hören manche lieber als die Worte der Kanzlerin, die vor einem Rückfall warnt und die Lockerungen Schritt für Schritt vornehmen will. Söder, der vom lauten Kritiker der Kanzlerin in der Sache zum Mitstreiter avancierte, zeigte sich verwundert über die Debatte um den Lockdown, die vor allem nach den jüngsten Lockerungen Fahrt aufgenommen hat.
Die öffentliche Diskussion um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, die Folgen der Krise (Deutschland steht vor einer schweren Rezession, das betrifft Unternehmer, Beschäftigte und Verbraucher) spielt sich auf allen Ebene ab: Vor Gericht, in Parlamenten, Presse, Talkshows, Netz und zuletzt auch auf der Straße. Und sie setzt die Regierenden natürlich unter Druck.
So sehr Bund und Länder am Anfang um Maßnahmen gerungen haben, so tun sie es jetzt auch bei den Lockerungen. Und wie bei allem gibt es Unterschiede. Etwa beim Bußgeld für die Maskenpflicht. Wer in Berlin keine trägt, zahlt nichts, in Bayern aber 150 Euro. Dort werden die Schüler auch bis 11. Mai zu Hause sein, während ältere Jahrgänge in anderen Ländern schon in den Klassenräumen sitzen.
Deutschland, ein Fleckerlteppich
Von außen scheint Deutschland also ein Fleckerlteppich zu sein - das hat Gründe: Im Nachbarland wird nicht zentralistisch wie in Frankreich entschieden, sondern nach föderalem Prinzip – auch in Zeiten der Pandemie. Der Gedanke: die regionalen Ämter und Behörden können die Lage vor Ort am besten einschätzen. Denn das Virus hat sich im 83-Millionen-Einwohner-Land unterschiedlich stark ausgebreitet. So sind Bundesländer im Nordosten Deutschlands bisher am wenigsten betroffen.
Bayern am stärksten betroffen
Dagegen verzeichnen mehrere Gemeinden in Bayern und Baden-Württemberg überdurchschnittlich hohe Infektionszahlen – in beiden Ländern kamen Menschen aus dem Skiurlaub in Südtirol und Österreich zurück. Im bayerischen Tirschenreuth soll auch ein Starkbierfest für die Ausbreitung verantwortlich sein. So sehen es Experten und der Ministerpräsident Markus Söder ( CSU).
Während in Bayern die Zahlen weiter hoch sind, hat sich die Lage in Nordrhein-Westfalen gebessert. Das neben Bayern wirtschaftsstärkste Land galt als erster Hotspot. Im über Deutschland hinaus bekannt gewordenen Kreis Heinsberg scheint eine Karnevalsveranstaltung Ausgangspunkt der Infektionskette gewesen zu sein. Es wurden harte Ausgangssperren verhängt.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Laschet wirbt mittlerweile offensiv für weitere Lockerungen. So hat er die von Bund und Ländern getroffene Entscheidung, Geschäfte bis 800 Quadratmeter zu öffnen, freizügiger ausgelegt – in NRW dürfen etwa Möbelhäuser öffnen. Auch in Rheinland-Pfalz haben Shopping Malls und Outlet Center aufgesperrt, mit der Begründung, dass die Geschäfte dort weniger als 800 Quadratmeter haben.
Kritik an "forschen Bundesländern"
Für Kanzlerin Angela Merkel war das zu viel. Die Umsetzung der Öffnungsbeschlüsse wirke auf sie "in Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen, zu forsch", kritisierte sie in ihrer Regierungserklärung Anfang der Woche. Auch jetzt, nach den Beratungen mit den Länderchefs, warnte sie vor einem Rückfall. Die Zahl der Infizierten müsse weiter gesenkt werden, Infektionsketten müssten nachvollzogen werden können. Bei Lockerungen müsse die Zahl der Neuinfektionen ständig im Blick behalten werden, fasste Merkel zusammen. Und ließ dabei wieder die Wissenschaftlerin in ihr durchkommen. Sie rechnete vor, wirbelte mit Händen und Zahlen herum und erklärte den Zusammenhang zwischen Verdopplungszeit, R-Faktor und der Intensivbettenkapazität.
Merkel verteidigt Wissenschaftler
Apropos Wissenschaftler. Diese nahm die Kanzlerin ebenso in Schutz. Zuletzt haben sich einige deutsche Politiker öffentlich über Experten geärgert, da diese ihre Meinung oft ändern würden. Armin Laschet saß da auf der Couch von Anne will wirkte fahrig und wetterte: Dauernd neue Zahlen und neue Ziele, statt sich mal festzulegen – das verstehe kein Mensch, und da müsse die Politik "dagegenhalten". Selbst die Kanzlerin, so behauptete es die Bild-Zeitung, soll sich über den bekannten Virologen Christian Drosten, der die Regierung berät, geärgert haben. Regierungssprecher Steffen Seibert dementierte gegenüber der Zeitung ("Diese Berichterstattung ist falsch"), sie habe ihn nicht kritisiert.
Am Donnerstag brach sie jedenfalls eine Lanze für ihn und andere Experten: Sie zeige Verständnis dafür, dass die Wissenschaft Erkenntnisse auch dann veröffentliche, wenn diese noch nicht endgültig seien und später neue Erkenntnisse hinzukämen. "Damit müssen wir leben, das ist Teil unserer aufgeklärten Gesellschaft. Und es wäre nichts schlimmer, als wenn Wissenschaftler uns ihre letzten Erkenntnisse nicht mitteilen würden."
Zoos und Museen sollen öffnen
Wer sich aber von ihr große Erklärungen zum Fortkommen der Maßnahmen erwartet hat, wurde enttäuscht. Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, dass Spielplätze, Zoos und Museen öffnen dürfen. Auch Gottesdienste sollen möglich sein – derzeit finden sie mit maximal 15 Personen in Sachsen und Thüringen statt. Über das Vorgehen bei der Öffnung von Schulen und Kitas, Gastronomie sowie eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs in der Fußball-Bundesliga wird erst am 6. Mai entschieden. Dann wären nämlich die Folgen der jüngsten Lockerungen im Handel absehbar, so Merkel.
Auslandsreisen nicht auf der Agenda
Auslandsreisen im Sommer stünden derzeit ebenfalls nicht auf der Agenda, ließ die Kanzlerin wissen. Auf die Frage, ob eine Sonderregelung zu Österreich denkbar sei, meinte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder CSU), der mit ihr die Pressekonferenz gab: Wer nach Süden fahre, müsse nicht bis nach Österreich fahren, sondern könne in Bayern stoppen.
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