Die Liberalen zweifelten am Wochenende den Atomausstieg zum aktuellen Zeitpunkt öffentlich an. "Notsituationen wie zuletzt infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine lassen sich nicht zuverlässig prognostizieren", sagte Bijan Djir-Sarai, FDP-Generalsekretär. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck entgegnete, die Energieversorgung in Deutschland sei garantiert: "Wir haben die Lage im Griff durch die hohen Füllstände in den Gasspeichern und die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und nicht zuletzt durch mehr erneuerbare Energien."
Wirtschaftsverbände und die Union haben sich in der Debatte auf die Seite der FDP geschlagen. Der stellvertretender Fraktionschef Andreas Jung (CDU) verwies wie die Liberalen auf erhebliche Klimaschäden, die mit dem deutschen Atomausstieg verbunden seien. "Die Ampel kappt mitten in der Krise laufende Kernenergie, mobilisiert bei der Braunkohle aber weiter die letzte Reserve: Das ist klimaschädlich, schwächt Energiesicherheit und beschädigt europäische Solidarität", sagte Jung.
Weniger Kernenergie, aber mehr Kohle
Fakt ist, dass es Deutschland im vergangenen Jahr geschafft hat, die Stromerzeugung aus Kernenergie im Vergleich zu 2021 zu halbieren (6,4 statt 12,6 Prozent).
Doch die CDU hat Recht: Das gelang nicht nur durch den Ausbau von erneuerbaren Energien, sondern weil – zumindest kurzfristig, wie die Grünen gern betonen – auch in Kohle und Flüssiggas investiert wurde.
Ein Drittel des in Deutschland erzeugten Stroms kam im Vorjahr aus Kohlekraftwerken (33,1 Prozent), mehr als 2021 (30,2 Prozent). Zweitwichtigste Energiequelle war die Windkraft, der Anteil ist auch gestiegen (von 21,6 auf 24,1 Prozent), allerdings weniger als jener von Kohle.
Etwas mehr als die Hälfte der Energie in Deutschland wird also nach wie vor aus konventionellen Energiequellen wie Kohle und Erdgas gewonnen. Insgesamt sinkt dieser Wert seit 2018 aber. Damals waren noch 62,8 Prozent an der Stromeinspeisung auf konventionelle Energieträger zurückzuführen.
Was jetzt klimaschädlicher und weniger nachhaltig ist – Kohle oder Atomkraft – das scheinen die Streitparteien jeweils anders zu sehen und politisch für sich nutzen zu wollen.
Und was sagt der Kanzler?
Scholz hält sich raus
Der gab sich bisher bedeckt zur wieder aufflammenden Debatte. Wahrscheinlich ist jedoch, dass er am ausgemachten Datum festhalten und sich auf keine neuerliche Diskussion einlassen wird. Falls doch, vermuten Beobachterinnen, wird sich Scholz des Koalitionsfriedens willen wohl diesmal auf die Seiten der Grünen schlagen, nachdem er bei den letzten Streitigkeiten um Autobahnausbau, E-Fuels und das von Habeck angepeilte Verbot für neue Gas- und Ölheizungen die FDP unterstützt hat.
Bevölkerung gegen Aus für Atomkraft
In der Bevölkerung haben die Streitigkeiten über den Ausstieg übrigens Spuren hinterlassen: In einer YouGov-Umfrage unterstützten nur mehr 26 Prozent der Befragten die Abschaltung der Atomkraftwerke zum jetzigen Zeitpunkt. 32 Prozent sind dafür, dass die drei verbliebenen Meiler noch für einen begrenzten Zeitraum weiterlaufen. Weitere 33 Prozent sind sogar für eine unbegrenzte Verlängerung der Laufzeiten.
Aufgeschlüsselt nach Pateiwählern ist nur bei den Grünen eine Mehrheit für das sofortige Ende der Atomkraft. Zum Vergleich: Vor allem nach den Katastrophen in Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 gab es über alle Parteien hinweg klare Mehrheiten für den Ausstieg aus der Atomenergie.
Ein deutsches Unternehmen wird übrigens, ganz gleich ob der Atomausstieg stattfindet oder nicht, weiterhin Strom aus Atomkraft produzieren: Der im Zuge der Gaskrise verstaatlichte Energiekonzern Uniper ist in Schweden an drei Atomkraftwerken beteiligt, bei einem von ihnen als Mehrheitseigner.
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