Es bräuchte eine "Bundesregierung, die an einem Strang zieht"; stattdessen streiten FDP und Grüne seit Wochen um die AKW-Laufzeiten. Der Vorwurf des Nachrichtensprechers der Tagesthemen richtete sich an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): "Wollen Sie das nicht beilegen?"
"Selbstverständlich", antwortet der knapp. "Und was machen Sie, um das zu tun?" "Reden."
So genervt, wie Habeck im Interview wirkt, dürfte er auch wirklich sein: Zuletzt attackierte er die FDP öffentlich, forderte Finanzminister Christian Lindner auf, endlich mitzuziehen. Vorbei scheint es mit dem Koalitionsfrieden vor der Kamera.
Dabei wollen Habeck und Linder im Grunde dasselbe: die Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten in Deutschland. Doch während Habeck nur zwei der drei AKW am Netz lassen will, und das auch nur bis Frühling 2023, plädiert Lindner für den Erhalt aller Atomkraftwerke bis nach 2024.
Ende vergangener Woche schien eine Einigung greifbar nah – doch das war vor der Landtagswahl in Niedersachsen, wo die FDP aus dem Parlament rausflog, und die Grünen ihre Stimmen fast verdoppeln konnten. Ein Abrücken von der eignen Position kommt nun für niemanden infrage. Die Folge: "ein bockiger Lindner und ein sturer Habeck", wie die Welt schreibt.
"Spielverderber Lindner"
Die meisten deutschen Blätter scheinen sich auf einen Schuldigen geeinigt zu haben: SPD und Grüne dürften künftig einen "nervöseren Koalitionspartner haben, der für sie vermutlich noch ungemütlicher" werde (Süddeutsche), "Spielverderber Lindner" werde das "Streitthema Kernkraft weiter lebendig halten" (FAZ).
Die Zeit fragt, ob Lindner durch sein Beharren auf seine Vorhaben seine Klientel nicht mehr verscheuche als es hinter sich zu sammeln: Schließlich wanderte in Niedersachsen der größte Teil der Wählerstimmen, die diesmal nicht für die FDP stimmten, zur AfD. Und die hat mit liberaler Finanzpolitik als Steckenpferd eher weniger am Hut, sondern positioniert sich lieber als Anwältin der kleinen Leute. "Auch jene Wähler, die Eigenverantwortung und eine Schuldenbremse wollen, wollen in einer Krise nicht im Regen stehen gelassen werden", bilanzierte das Handelsblatt.
Zuletzt bekam Lindner auch noch unerwartete Rückendeckung: Ausgerechnet Klimaaktivistin Greta Thunberg zog in einem Interview den vorübergehenden Einsatz von Atomkraft jenem von Braunkohle vor. Der FDP-Chef sieht sich bestätigt.
Habeck zeigte sich davon wenig beeindruckt: "Die Zeit drängt." Ohne Entscheidung gehen die deutschen AKW Ende des Jahres vom Netz. Gleichzeitig liegt die Inflation in Deutschland mit zehn Prozent auf dem höchsten Wert seit den Nachkriegsjahren; Ökonomen prophezeien ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft im kommenden Jahr. Auch außenpolitisch würde der Ampel Einigkeit guttun: Die Durchsetzung eines nationalen Gaspreisdeckels sorgt für Ärger bei den EU-Partnern angesichts Deutschlands Ablehnung eines EU-weiten Preisdeckels. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki warf der Bundesrepublik Egoismus vor.
Für Ampel-"Hickhack" sollte angesichts dieser Probleme keine Zeit bleiben. Das dürfte mittlerweile auch Kanzler Scholz so sehen, der als verhaltener Mediator bis dato gescheitert ist. Am Donnerstagabend wollte er es nochmal versuchen und via Telefonkonferenz vermitteln.
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