Kauft die Türkei gestohlenes Getreide aus der Ukraine?
Weltweit drohen Hungersnöte, Unruhen und Bürgerkriege aufgrund ausbleibender Getreidelieferungen aus der Ukraine – vergangene Woche sei ein „entscheidender Schritt“ in Richtung einer Lösung gemacht worden, schenkt man UN-Generalsekretär António Guterres Glauben. In dieser Woche soll ein Abkommen unterzeichnet werden, das die russische Blockade von ukrainischem Getreide beendet und es der Ukraine wieder ermöglicht, Schiffe von Odessa durch den Bosporus zu schicken. Nach Angaben aus Kiew stecken durch den russischen Angriff und die Seeblockade im Schwarzen Meer mehr als 20 Millionen Tonnen ukrainisches Getreide fest.
Diplomatischer Erfolg
Die Verhandlungen zwischen Vertretern der Vereinten Nationen, der Ukraine, Russlands und der Türkei scheinen also nach Plan zu laufen: „Es wird noch mehr technische Arbeit notwendig sein, damit sich der heutige Fortschritt materialisiert“, sagte Guterres. Die Gespräche, die in Istanbul stattfinden, könnten das diplomatische Gewicht der Türkei im Ukraine-Krieg ein weiteres Mal hervorheben. Ankara ist sowohl mit Kiew als auch mit Moskau eng verwoben.
Die ukrainischen Streitkräfte preisen etwa die Stärke der türkischen Bayraktar-Drohne, mit Russland hat sich die Türkei unter anderem im Syrien-Krieg arrangiert.
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Auf den ersten Blick scheint Ankara alle Voraussetzungen eines ehrlichen Maklers zu erfüllen – doch in den vergangenen Wochen tauchten immer mehr Hinweise auf, die sich langsam zu einem Verdacht verdichten: Kauft die Türkei erbeutetes Getreide aus der Ukraine?
Laut dem ukrainischen Projekt Seakrime brechen immer wieder Frachter vom russischen Hafen Kawkas in die Türkei, beziehungsweise nach Syrien auf. Problem: Einige dieser Schiffe schalten ihre GPS-Trackingsysteme aus, legen im nahe gelegenen Hafen von Sewastopol an und laden im Getreideterminal Awlita Getreide auf.
Etwa die „Mikhail Nenashev“, die sich vom 14. bis 16. Juni an besagtem Terminal in Sewastopol befand, wie Satellitenbilder des privaten Satellitenbetreibers Planet Labs PBC zeigen. Acht Tage später kam die „Mikhail Nenashev“ in Iskenderun in der Türkei an. Fotos und Videos zeigen, wie Hafenkräne am 27. Juni im nahe gelegenen Hafen Dortyol etwas von der „Mikhail Nenashev“ in Lastwagen verladen, das wie Getreide aussieht.
Seit März hat das Schiff den Getreideterminal in Sewastopol bei mindestens drei weiteren Gelegenheiten angelaufen, bevor es fünf bis 15 Tage später in der Türkei ankam, wie Satellitenbilder und Schiffsverfolgungsdaten zeigen.
Ein anderes Schiff, die „Matros Koshka“, dockte zehn Tage, nachdem es in Sewastopol gesichtet worden war, in Syrien an.
Die Ukraine beschwerte sich bei der Türkei, bat unter anderem, verdächtige Schiffe zu untersuchen. Kiew behauptet, Russland habe seit Beginn des Krieges 400.000 Tonnen gestohlenes Getreide exportiert.
„Wir haben gesehen, dass der Abfahrtshafen der Schiffe und der Ursprung der Waren in den Aufzeichnungen Russland ist“, sagte der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu, als er darauf angesprochen wurde. „Wir sind dagegen, dass ukrainisches Getreide oder andere Waren von Russland übernommen werden ... und wir werden nicht zulassen, dass diese Waren zu uns kommen.“
Transporte aus Cherson
Die Realität ist – so die Vorwürfe stimmen – eine andere.
Vor allem vor dem Hintergrund, dass tonnenweise Getreide aus dem russisch besetzten Cherson auf die Krim transportiert wurden und es wenig Sinn ergäbe, russisches Getreide auf die Halbinsel zu fahren, wenn doch der Hafen Kawkas deutlich näher liegt.
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