Der Brexit-Deal steht - aber hat er eine Chance?

Der Brexit-Deal steht - aber hat er eine Chance?
EU und Großbritannien einigen sich auf ein Abkommen. Beim EU-Gipfel gibt es grünes Licht, aber das britische Parlament könnte gleich wieder auf Rot schalten.

1. November – ab Allerheiligen könnte Großbritannien kein Mitglied der Europäischen Union mehr sein. Denn eine der entscheidenden Weichen auf dem Weg der Briten hinaus ist gestellt: Das mehr als zwei Jahre lang verhandelte Scheidungsabkommen lag am Donnerstag endlich in Brüssel auf dem Tisch.

Gemeinsam präsentierten EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der britische Premier Boris Johnson gestern die mühsam errungene Grundsatzeinigung:  „Ein großartiger Deal“,  jubilierte Johnson. Die  EU-Staats- und Regierungschefs segneten schließlich bei ihrem Gipfel in Brüssel den Deal ab. 

Von europäischer Seite steht die Ampel für einen geregelten Abgang des Vereinigten Königreichs auf Grün.  Doch das britische Parlament könnte noch einmal auf Rot stellen – sollte es am Samstag gegen das Abkommen stimmen. Ginge es nach Labour-Chef Jeremy Corbyn, wäre der Brexit-Deal von Premier Boris Johnson schon jetzt zum Scheitern verurteilt. Denn Corbyn erteilte seiner Partei schon am Donnerstag die Order für den alles entscheidenden kommenden Samstag im Londoner Unterhaus: Es wird mit Nein gestimmt. Allein die Rebellen bei Labour könnten Johnson doch noch die Mehrheit bringen, die er für seinen Deal braucht. 

Der Brexit-Deal steht - aber hat er eine Chance?

Johnson beim EU-Gipfel, immer zu Späßen aufgelegt

Der Backstop ist weg

Was hat den Durchbruch ermöglicht? Eine EU, die letztlich zu großen Zugeständnissen bereit war; ebenso ein britischer Premier, der in der Vorwoche neue Vorschläge auf den Tisch legte – und keinen Zweifel daran ließ, dass er Großbritannien per Ende Oktober aus der EU führen werde: koste, was es wolle.

Woran bisher alle Einigungsversuche scheiterten, war der sogenannte Backstop. Er war als eine zeitlich unbegrenzte Notfallklausel gedacht, die das Entstehen einer Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindern sollte. Dagegen aber war die Mehrheit der britischen Abgeordneten immer Sturm gelaufen und hatte das Abkommen drei Mal abgelehnt.

Keine Grenze auf irischer Insel

Der Brexit-Deal steht - aber hat er eine Chance?

EU-Chefbrexitverhandler Michel Barnier

Aus dem nun um rund knapp 15 Seiten veränderten Austrittsabkommen (insgesamt rund 600 Seiten) ist der Backstop verschwunden. Stattdessen sieht die neue Lösung vor, dass Nordirland zwar zum britischen Zollgebiet und damit nicht mehr zum EU-Zollraum gehört. Dennoch wird Nordirland Zollkontrollen an seinen Häfen und Flughäfen nach EU-Regeln (quasi exterritorial) durchführen. Damit entfällt das Errichten einer Zollgrenze quer durch die irische Insel.

Schon im Vorjahr war dieser Vorschlag einmal auf dem Tisch gelegen. Doch da hatte die EU noch kategorisch abgelehnt. Auch bei einer anderen britischen Forderung bewegte sich die EU in Richtung London: Vier Jahre nach Inkrafttreten dieser speziellen Lösung für Nordirland kann die nordirische Regierung mit einfacher Mehrheit entscheiden, ob sie dieses System verlängern oder abschaffen will.

Bis zuletzt gerungen wurde schließlich noch um Nordirlands Mehrwertsteuersatz: Der bleibt nun auf dem bisherigen Niveau. Die Differenz zum niedrigeren britischen Steuersatz aber wird an Großbritannien überwiesen.

Erleichterung beim Gipfel

Von Freude über die Einigung mit Premier Johnson war beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag wenig zu spüren, von Erleichterung hingegen sehr wohl. Denn das Brexit-Abkommen regelt sehr viel mehr als nur die Irland-Frage. Der Vertrag sichert zu, dass die mehr als drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien und eine Million Briten auf dem Festland so weiterleben können wie bisher. Das betrifft ihr Recht auf Aufenthalt, Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, auf Ansprüche an die Sozialkassen und auf Anerkennung beruflicher Qualifikationen.

Sollte der 31. Oktober tatsächlich Großbritanniens letzter Tag als EU-Mitglied sein, ändert sich dank des nun vereinbarten Deals zunächst einmal gar nichts: Bis Ende 2020 gilt eine Übergangszeit, in der Großbritannien weiter im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion bleibt.

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