"Inside Islam": Freitags in deutschen Moscheen

Symbolbild
Dass in einigen deutschen Salafisten-Moscheen zu Gewalt und Hass aufgerufen wird, ist bekannt. Doch was wird eigentlich in Moscheen gepredigt, für die sich der Verfassungsschutz nicht interessiert? Ein Journalist besuchte die Freitagspredigt.

Sie liegen stolz und groß an der Hauptverkehrsstraße oder klein und versteckt im Hinterhof. Für die meisten Nicht-Muslime sind die Moscheen in ihrer Nachbarschaft fremde Orte. Einige wenige waren vielleicht schon beim "Tag der offenen Moschee". Doch auch sie haben in der Regel keine Ahnung, was dort am Freitag gepredigt wird.

Constantin Schreiber will das ändern. Der Journalist, der seit Januar für die deutsche "Tagesschau"-Redaktion arbeitet, hat sich in den vergangenen Monaten Freitagspredigten in arabischer und türkischer Sprache angehört, in Leipzig, Berlin, Hamburg, Magdeburg, Potsdam und Karlsruhe. Das Ergebnis seiner Recherche erscheint diese Woche im Ullstein-Verlag als Buch. "Inside Islam - Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird" dürfte reichlich Stoff liefern für die aktuelle Debatte über Integration, "Parallelgesellschaften" und die Rolle der Islamverbände.

Der KURIER hat Wiener Moscheen besucht

Imam: Muslime sollten sich vor Weihnachtsbräuche hüten

Der Journalist hat sich für sein Buch bewusst "normale Moscheen" ausgesucht, keine "Salafisten-Treffs", die der Verfassungsschutz im Visier hat. Imame, die zur Gewalt gegen Andersgläubige aufrufen, findet er in diesen Gebetsräumen nicht. Allerdings: Die Predigten, die er angehört hat, haben mit der deutschen Lebensrealität oft gar nichts zu tun. Das habe ihn schon gewundert, sagt Schreiber. "Diese Predigten sind irgendwie aus der Zeit gefallen."

Wenn die Imame, denen er zugehört hat, überhaupt auf die deutsche Gesellschaft Bezug nehmen, stellen sie diese eher als Quelle von Versuchungen und Gefahren für die Gläubigen dar. Positiv wird nur die Religionsfreiheit - auch für Muslime - hervorgehoben. Ein arabischer Imam im Berliner Bezirk Wedding spricht von einer "Umgebung, die stark auf uns einwirkt. Sie gleicht einem gewaltigen Strom, der dich auflöst, dich auslöscht, dir deine Werte nimmt und durch seine Werte ersetzt". Der Gläubige könne in dieser Situation nur "festbleiben", wenn er die "Vorzüge des Gottesgehorsams" kenne.

Auch der islamistische Terror, der die Deutschen im vergangenen Jahr stark bewegt hat, bleibt als Thema meist außen vor. Ein türkischer Imam nimmt zwar Bezug auf das Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt und kritisiert die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). In der gleichen Predigt schärft er den Gläubigen jedoch ein, sie als Muslime sollten sich vor Weihnachtsbräuchen hüten.

Türkische Politik in der Moschee

Interessant ist auch: Die "Flüchtlingskrise", die in der Zeit, in der Schreiber durch die Moscheen tourte, ganz Deutschland - und auch die christlichen Kirchen - stark beschäftigt hat, kommt in diesen Predigten gar nicht vor. Und das, obwohl unter den Moscheebesuchern auch etliche Flüchtlinge sind. Arabische Flüchtlinge, mit denen Schreiber bei seinen Moschee-Besuchen spricht, zeigten sich überrascht, "wie konservativ das hier ist". Das finden auch viele Muslime, die schon länger in Deutschland leben. Sie gehen deshalb nur selten in die Moschee, etwa nach einem Todesfall in der Familie.

Außerdem fällt auf: Wenn ein Imam der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) über "unsere dem Paradies ähnelnde Heimat" spricht, meint er die Türkei. Und: die Ditib-Predigten haben oft eine politische Ausrichtung. Schreiber zitiert den Imam der großen Berliner Sehitlik-Moschee, der den Gläubigen nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei sagt: "Wir sind Zeuge davon geworden, dass durch die Hand von internen und externen Bösen sowie einer unseligen Struktur ein Putschversuch gegen die Unabhängigkeit unserer Nation und der Demokratie unseres Landes unternommen wurde." Die "amoklaufende Junta" werde ewig verdammt werden.

Forscher mit Intention

Da Schreiber selbst kein Islamwissenschaftler ist, hat er Forscher angesprochen, die ihm bei der Interpretation der Predigten helfen sollten. Die meisten von ihnen hätten abgelehnt oder Terminprobleme geltend gemacht, sagt er - darunter auch Forscher, die auf Anfragen für Fernsehinterviews stets aufgeschlossen reagierten. Er sagt, eine Wissenschaftlerin habe ihm am Telefon eingeschärft, dass er, wenn er ein Buch über den Islam schreibe, darauf achten solle, "das Gemeinsame zu betonen, anstatt das Trennende".

"Ich habe gemerkt, dass es da eine Ablehnung gibt, auch über Problempunkte sprechen zu wollen", sagt der Autor. Die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität, Susanne Schröter, und einige weitere Wissenschaftler erklärten sich aber bereit, Schreibers Fragen zu beantworten.

Über sich selbst sagt Schreiber, er sei "nicht unreligiös". Mit dem Christentum spüre er eine "starke kulturelle Verbundenheit". Aus der Kirche auszutreten, käme für ihn schon deshalb nicht infrage.

Aus seiner Buch-Idee hat Schreiber auch gleich noch eine dreiteilige Mini-Serie gemacht: Die Sendung "Moscheereport" ist auf "tagesschau24" zu sehen.

Es hat geregnet. Hunderte Muslime sitzen in einem Raum am Boden. Nebenan flogen Papageien, draußen grasten Kühe. Und vorn stand ein Imam in traditioneller Kleidung und predigte, "dass man sich nur mit seinen rechtschaffenen Brüdern befreunden und den Islam verbreitern solle."

Der ARD-Journalist Constantin Schreiber zeichnet in einem ausführlichen Interview mit dem deutschen Stern seine Erlebnisse bei Freitagspredigten in Deutschland. Eine davon fand in Potsdam statt, in einer Halle der "Biosphäre Potsdam" - der Platz in der dortigen Moschee reicht für die zahlreichen Besucher nicht aus.

"Weihnachtsgefahr"

Die 13 Moscheen, in denen Schreiber recherchierte, habe er zufällig ausgewählt. "Ich habe die besucht, die ich kannte", sagt er und weiß auch, dass seine Auswahl nicht repräsentativ ist. "Aber ich habe versucht zu dokumentieren, was man zu hören bekommt, wenn man an einem beliebigen Freitag in eine mehr oder weniger beliebige Moschee geht. Ich habe ja bewusst keine Moscheen besucht, die als salafistisch verschrien sind."

Er war "enttäuscht, teilweise entsetzt", erklärt Schreiber im Gespräch. Es hat nie Aufrufe zu Gewalt im engeren Sinn gegeben. Aber fast alle Predigten seien sehr konservativ gewesen, es sei immer um "wir und die" gegangen, "Muslime und die Anderen, die Deutschen, die Ungläubigen". In zwei Predigten sei es "ganz offen" gegen Jesiden, Armenier und Juden gegangen. In Berlin habe der Imam vor der "Weihnachtsgefahr" gewarnt. Selbst ein syrischer Besucher hätte gemeint, dass die Predigen konservativer seien als "bei sich zu Hause".

Schreiber habe sich als Journalist zu erkennen gegeben, die Predigten von Dolmetschern übersetzen lassen und mit insgesamt fünf Imame gesprochen. Einige wollten nicht, andere konnten nicht, weil sie kein Deutsch sprachen.

Kirchen sind zumindest "leer"

In der türkischen Hagia-Sophia-Moschee in Karlsruhe zum Beispiel hätte ein Imam seinen Gläubigen - unter ihnen auch muslimische Schüler - ein eigenwilliges Frauenbild vermittelt. "Er sagte klagend: Schaut euch die Mädchen und Frauen von heute an. Und dann lobte er die Heilige Fatima, die sich sogar als Tote den Blicken fremder Männer entzogen wissen wollte und bat ihren Leichnam nachts zu beerdigen."

In den Predigten ging es auch um die Kindeserziehung, Rechtschaffenheit und "Armensteuer auf Datteln, Kamele und Kichererbsen". Schreiber kritisiert die "Weltfremdheit" und meint, dass katholische Kirchen zwar auch nicht auf die Moderne stoßen, aber die seien zumindest leer. Moscheen hingegen seien voll und unter ihnen viele Flüchtlinge. "Und Imame sind etwas Besonderes. Denen werden die Hände geküsst. Ihr Wort hat Bedeutung", maht der ARD-Journalist.

"Aufgeklärter Euro-Islam"

In einer türkischen Moschee in Berlin hätte der Imam Deutsche als "ausländische Mitbürger" bezeichnet. Vor allem Moscheen, die zum Dachverband Ditib gehören, haben bei Schreiber den Eindruck hinterlassen, dass "politische Botschaften und religiöse Formen stark verflochten waren". Gerade Flüchtlinge, die noch nie im Westen gewesen sind, würden ein falsches Bild vermittelt bekommen. "Ich frage mich, wohin das führt, wenn man Menschen mit diesem Kenntnisstand in den Moscheen sagt, dass sie fest im Glauben sein müssen und sich nur mit rechtgläubligen Muslimen befreunden sollen."

Schreiber, der regelmäßig Gottesdienste besucht, meint, dass Moscheen zwar selbst entscheiden müssen, wohin sie in religiösen Dingen wollen. Aber "ein aufgeklärter Euro-Islam" (Interview mit Ednan Aslan) sei wohl die beste Chance, um Brücken zu bauen und Vorurteile abzubauen.


Zur Person: Seit Januar ist der 37-jähriger Constantin Schreiber Sprcher der ARD-"Tagesschau". Nach seinem Jus-Studium war er Korrespondent in Dubai, moderierte später bei N-TV und RTL. Er spricht Arabisch und erklärte Flüchtlingen eben in dieser Sprache Deutschland ("Marhaba - Ankommen in Deutschland"). Dafür wurde er und sein Team 2016 mit dem Grimme-Preis geehrt.

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