Das Brexit-Vorweihnachtswunder könnte heute wahr werden
Zuletzt haben die Telefondrähte zwischen Brüssel und London ständig geglüht. Aber offenbar wollte sie nicht nur EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, sondern auch der britische Premier Boris Johnson – die Einigung in den zähen Brexit-Verhandlungen. Und sie wollten sie unbedingt noch vor Weihnachten.
Die BBC meldete, für den Vormittag sei eine Pressekonferenz geplant. Zuvor telefonierte Premierminister Boris Johnson mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür noch nicht.
Es gebe aber weiter "Streit um Zahlen" bei den Fischfangrechten, sagte ein EU-Vertreter. Er sprach von einem "schlechten Zeichen".
Mittwoch Abend war der Durchbruch bereits zum Greifen nahe – das Vereinigte Königreich und die Europäische Union werden in Freundschaft verbundene Nachbarn bleiben mit engen wirtschaftlichen Verbindungen. Möglich wird das ein Abkommen machen, das die künftigen Beziehungen regelt. Das Schreckensszenario eines No-Deals wurde in letzter Sekunde abgewendet.
Bleibt also im Grunde weiter alles beim Alten?
Nein, denn auch wenn es nun eine Freihandelszone zwischen Großbritannien und der EU geben wird, gelten ab Jänner neue Zollvorschriften für gegenseitige Importe. Das Problem dabei: In den ersten Jännertagen dürfte noch kaum ein Zöllner dies- und jenseits des Ärmelkanals wissen, wie die neuen Vorschriften lauten. Chaos an den Häfen ist also vorprogrammiert. Die riesigen Verkehrsstaus im britischen Dover (verursacht allerdings durch die neue Coronavirus-Variante) gaben in den vergangenen Tagen darauf einen Vorgeschmack. Die EU kontrolliert sofort. Großbritannien wird damit erst Mitte des Jahres beginnen.
Wie wurden die großen Streitpunkte ausgeräumt – zuletzt etwa die Fischerei?
Bisher durften britische Fischer in ihren Hoheitsgewässern nur 20 Prozent der in der EU festgelegten Fischquoten einholen, während 80 Prozent von Fischern anderer EU-Staaten, allen voran von französischen, gefischt wurden. Für den britischen Premier ist dies – zumindest in diesem Punkt – ein symbolischer Triumph: Die Quote wird nun für die britschen Fischer in einer mehrjährigen Übergangsphase sukzessive entscheidend erhöht (vermutlich auf 40 Prozent).
Und was ist nun mit Johnsons Versprechen, die „Kontrolle zurückzuerlangen“ („take back control“?)
An die von der EU festgelegten Regeln für einen fairen Wettbewerb wird sich Großbritannien halten müssen. Das reicht von staatlichen Beihilfen bis hin zum Umwelt- und Arbeitsrecht. Was also gläubige Brexiteers als ihre „neue Souveränität“ feiern werden, ist faktisch noch immer nicht völlig britisch-selbstbestimmt.
Wie wird das Einhalten der gemeinsamen Regeln kontrolliert?
Das war einer der größten Streitpunkte zwischen London und Brüssel. Geeinigt hat man sich auf einen neutralen Streitbeilegungsmechanismus. Das heißt: Der von London abgelehnte Europäische Gerichtshof kommt nicht zum Zug. Festgelegt wurde auch, mit welchen Schritten die EU sanktionieren darf, falls Großbritannien ausschert.
Geht es nur um Handel?
Nein, auch andere Bereiche der Zusammenarbeit sind nun geregelt, etwa im Bereich der Sicherheit: Die Kooperation beim Europäischen Haftbefehl bleibt aufrecht ebenso wie die mit Europol.
Ende gut, alles gut?
Fast. Das britische Parlament und das EU-Parlament müssten noch heuer über den Deal abstimmen, damit er ab Jänner wirksam werden kann. Weil das EU-Parlament schon signalisiert hat, dass die Zeit nun zu knapp wird, um den mehrere hundert Seiten langen Vertragstext durchzuackern, könnte es eine Zwischenlösung geben: Der Vertrag wird provisorisch wirksam, die Abstimmung der EU-Parlamentarier könnte im Jänner folgen.
Und das Reisen nach Großbritannien – nach Covid-Zeiten?
Wie schon bisher sind Reisen ins Vereinigte Königreich nur mit noch sechs Monate lang gültigem Reisepass möglich. Auch die Rechte der rund vier Millionen EU-Bürger in Großbritannien bzw. der Briten in der Union sind gesichert. Diese wurden schon im seit Februar gültigen Scheidungsvertrag zwischen London und Brüssel geregelt.
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