"Hygge" und Härte in Sachen Asyl müssen in Dänemark kein Gegensatz sein, sie koexistieren sogar ziemlich gut. Während in Österreich oder Deutschland eine Debatte über nationales Selbstbewusstsein oder gar Nationalstolz immer vom historischen Erbe der Nazis überschattet ist, ist das Dänisch-Sein, das Sich-als-Einheit-Fühlen in Dänemark so positiv besetzt wie bei uns die Neutralität: Bei vielen dänischen Familien stehen Flaggen und Wimpel schon am Frühstückstisch.
Das erklärt auch, warum die dänische Politik nach dem Terroranschlag von 2015 eine so radikale Wende vollziehen konnte. Damals hatte ein junger Palästinenser aus dem Kopenhagener Migrantenareal Mjølnerparken einen dänischen Regisseur und den Wachmann einer Synagoge erschossen, und das auf offener Straße. Die Wahl kurz danach war darum fast ausschließlich von der Frage geprägt, wie viel Nicht-Dänen Dänemark denn noch verträgt - und spülte kurzerhand die nationalpopulistische Dänische Volkspartei mit 21,5 Prozent auf Platz zwei.
Ghettos und "nicht-westliche" Migranten unerwünscht
Seither - also schon neun Jahre lang - dominiert die Migrations- und Asylfrage die dänische Politik. In Gesetze gegossen haben die radikalen Ideen aber nicht die Rechtspopulisten selbst, sondern die anderen Parteien: Sowohl Bürgerlich-Liberale als auch Sozialdemokraten kopierten die Agenda der Populisten ziemlich umfassend, verschärften Gesetze für Asylwerber ebenso wie für in Dänemark lebende Migranten immer weiter. Die Botschaft dabei: Dänemark ist "hygge", aber eben nur für "ethnische Dänen", wie es sogar im offiziellen Politsprech heißt.
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"Nicht-westliche" Migranten etwa, die überproportional in gewissen Stadtvierteln wohnen - die werden wiederum "Ghettos" genannt -, werden darum zwangsweise abgesiedelt. Wer in solchen Arealen eine Straftat begeht, wird dafür doppelt so hoch bestraft. wie Bewohner anderer Regionen; und selbst in Dänemark geborene Kinder von Migranten werden pünktlich zum 18. Geburtstag behandelt wie Zuwanderer - sie müssen einen Aufenthaltstitel beantragen, und die Aussicht auf Staatsbürgerschaft ist gering.
Asylwerbern wird das Leben noch schwerer gemacht. Sie müssen ihren Aufenthalt mitfinanzieren, Wertsachen von über 1.350 Euro werden dafür konfisziert. Echtes Asyl erhalten aber kaum Geflüchtete, und selbst Anerkannte müssen sich vor Abschiebung fürchten: Der Status kann einem trotz Jobs und Dänisch-Kenntnissen noch nach Jahren entzogen werden, sollte sich die Lage im Herkunftsland minimal verbessern. Das wird ziemlich oft exekutiert: Aktuell sitzen sogar mehr als 100 Syrer in den vom Europarat als "völlig unmenschlich" eingestuften Abschiebelager Ellebæk.
"Wie der Gollum"
Lange Zeit sei das den Dänen "egal" gewesen, die Debatte darüber war verstummt, beklagten zuletzt Kommentatoren. Das hat sich nun geändert: Zunächst offenbarte der ehemalige Migrationsminister Mattias Tesfaye, ein Sozialdemokrat, dass er seinen Job kaum ausgehalten habe. "Man wird wie der Gollum. Es macht einen menschlich kaputt", sagte er in Anspielung auf den hintertriebenen Hobbit aus "Herr der Ringe". Tesfaye wechselte nach dem Interview 2022 das Ressort, da hatte er in Ruanda gerade einen Vertrag ausverhandelt, um alle - wirklich alle - Asylwerber während des laufenden Verfahrens dorthin zu deportieren.
Umgesetzt wurde der Ruanda-Plan allerdings nie. Ebenso wie das "Schmuckgesetz" kaum jemals angewendet wurde. Das bereute dessen Erfinder, Ex-Premier Lars Løkke Rasmussen, auch öffentlich: Dass er "Symbolpolitik" in "Abhängigkeit von den Rechtspopulisten" betrieben habe, sei falsch gewesen, sagte er jetzt.
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"Wachstumsbremse"
Tesfaye und Rasmussen, beide noch amtierende Minister, sind nicht die einzigen ehemaligen Anti-Asyl-Vorkämpfer, die ihre Politik mittlerweile etwas realistischer sehen. Das mag auch mit dem massiven Gegenwind zu tun haben, der der Kopenhagener Regierung aus anderen EU-Staaten Richtung Dänemark weht: Deutschland etwa nimmt Jahr für Jahr unzählige Flüchtlinge aus Dänemark auf, weil denen nach deutschem Recht eigentlich Schutz zusteht. Dänemark verteilt das Problem damit nur auf andere EU-Staaten, und denen sind die Hände gebunden: Weil deutsche Gerichte Dänemark wegen der harschen Rechtslage und der schlechten Abschiebebedingungen als "nicht sicher" eingestuft haben, kann die Ampel in Berlin - selbst wenn sie wollte - niemanden dorthin zurückschicken.
Was die Debatte innerhalb Dänemarks am stärksten befeuert, ist aber die Kritik aus der Wirtschaft. Da mehr und mehr Migranten trotz sicherer Jobs abgeschoben werden, bringt das ganze Branchen auf: Sektoren, die auf Zuwanderer angewiesen sind - wie der Pflegebereich - können derzeit 40 Prozent der offenen Stellen nicht besetzen. Die Anti-Immigrationspolitik der Regierung sei damit zur "Wachstumsbremse" geworden, hieß es zuletzt von der Arbeitnehmervereinigung. Ähnlich tönt selbst der Chef der Handelskammer, der definitiv nicht im Moralisierer-Verdacht steht: Brian Mikkelsen war bis 2019 noch Minister und vertrat dort stramm konservative Positionen zum "Dänischsein". Heute sagt er, sein Land dürfe sich nicht als "kleine Stammeskultur" abschotten - und stattdessen Arbeitskräfte aus dem "nicht-westlichen" Ausland ins Land holen.
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