Coronakrise: Knaus rechnet nicht mit starkem Migrationsanstieg

Coronakrise: Knaus rechnet nicht mit starkem Migrationsanstieg
Politik der EU und Abkommen mit Transitländern für Experten entscheidender als Situation im Herkunftsland der Flüchtenden.

Der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus geht nicht davon aus, dass die Corona-Pandemie mittel- oder langfristig zu stärkeren Fluchtbewegungen nach Europa führten wird. Entscheidend für die künftige Entwicklung der Zahlen sind für Knaus weiterhin die Beziehungen der EU zur Türkei sowie zu Libyen, wie er im Interview mit der APA erklärte.

Größere Armut in Afrika führt nach Knaus' Ansicht nicht automatisch dazu, dass sich auch mehr Menschen auf den Weg Richtung Europa machen. "Es ist einfach nicht so, dass es diesen Druck in Afrika gibt, der dazu führt, dass die Leute in größerer Zahl über das Mittelmeer kommen, wenn es ihnen schlechter geht", erklärte der Experte. Vor allem was die afrikanische Migration betrifft, müsse man "wegkommen von dem völlig irrationalen, Panik-beherrschten Diskurs, der mit der Wirklichkeit dessen, was wir die letzten Jahrzehnten erlebt haben, absolut nichts zu tun hat", meinte Knaus mit Blick auf die Statistik.

Zwar ist die Zahl der Asylanträge und illegalen Grenzübertritte in bzw. nach Europa Corona-bedingt zuletzt stark zurückgegangen, das EU-Asylbüro EASO rechnet aber mittelfristig mit steigenden Migrationsbewegungen nach Europa. Auch das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) prognostizierte einen Anstieg von Schlepperei und Menschenhandel, den es mit der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation in vielen Ländern begründete.

Für Knaus, Gründer des Think Tanks "Europäische Stabilitätsinitiative" (ESI), sind diese Vorhersagen "vage, schwammig" und "wilde Spekulation". "Die These, dass Migration vor allem davon abhängt, was in den Herkunftsländern passiert, erscheint mir ziemlich irreführend", betonte er.

"Entscheidend in den vergangenen Jahren war eher, welche Politik die EU macht und weniger, was ist in der Welt los", hielt der Migrationsforscher fest. Ausschlaggebend sei deshalb, welche Art von Abkommen die Union mit Herkunfts- und Transitländern - wie etwa der Türkei oder Libyen - hat. "So war das auch 2015/2016, als das EU-Türkei-Abkommen zu einem Rückgang führte", erinnerte Knaus, der den Deal mit-initiierte.

Bleibe der Trend bei den Ankünften in Europa so wie in den ersten vier Monaten des Jahres, würden das "weniger als in irgendeinem der letzten zehn Jahre" sein, so Knaus. In "normalen" Jahren machten sich auch nur "sehr wenige Menschen" auf den Weg. "Wir haben einfach ein falsches Bild (von Migration), durch diese besonderen Jahre, die außergewöhnlich waren."

Etwas anders sieht die Situation in der Ostägäis aus, die sich nach einem starken Anstieg der Ankunftszahlen im Herbst im März zuspitzte, bevor sie sich Corona-bedingt wieder etwas entspannte. Die Zahlen dort könnten natürlich wieder steigen, so Knaus. "Was dort passiert, ist wichtig, in den vergangenen zwei Jahren war das die wichtigste Route auf dem Weg in die EU." Einmal mehr plädierte der Experte für eine schnelle Einigung mit der Türkei, derzeit seien die Verhandlungen aber "nicht sehr intensiv", obwohl das im Interesse aller sei.

Weil nun so gut wie alle Regierungen mit der Bewältigung der Coronakrise im eigenen Land beschäftigt sind und die Ankunftszahlen ohnehin niedrig, sei die Gefahr derzeit groß, dass das Thema Asyl und Migration in den Hintergrund gerate, warnte Knaus. "Das wäre dumm."

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