China im Null-Covid-Chaos: "Frust ist tief in der Mittelschicht angekommen"
Knapp 19 Millionen Menschen, so viele wie in Österreich und Ungarn zusammen, müssen im Einzugsgebiet der südchinesischen Wirtschaftsmetropole Guangzhou in diesen Tagen um ihre persönlichen Freiheiten fürchten. Denn die Gesundheitsbehörde registrierte dort am Freitag mehr als 2.500 Covid-Neuinfektionen. Zum Vergleich: In Österreich gab es bundesweit zuletzt am 25. Mai derart wenige Fälle.
Spätestens seit im Sommer über Chinas größte und wirtschaftlich wichtigste Stadt Schanghai ein zweimonatiger Lockdown verhängt wurde, ist klar, dass die Regierung in Peking bei der Umsetzung ihrer Null-Covid-Strategie keine Ausnahmen duldet. Die Häfen lagen damals still, die Geschäftsviertel waren leer gefegt, ausländische Geschäftsleute flohen – und kehrten bis heute nicht zurück. Ein Lockdown in Guangzhou, dem Zentrum der wohlhabenden Industrieregion Guangdong, könnte ähnliche Folgen haben.
Geringeres Wirtschaftswachstum als Österreich
Schon jetzt nagen die abgeriegelten Großstädte an der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt: Die Weltbank prognostiziert für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von unter drei Prozent, so wenig wie zuletzt 1990. Erstmals seit Jahrzehnten dürfte Chinas Wirtschaft damit prozentuell langsamer wachsen als jene Österreichs (IWF-Prognose: 4,7 %).
Das Unverständnis über das Festhalten der Regierung an der Null-Covid-Strategie sind in der Bevölkerung groß – online wie offline. „Es gibt aktuell kaum ein Thema, bei dem die Menschen so offen Kritik an der Regierung üben“, sagt Sinologe Thomas Eder vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) im Gespräch mit dem KURIER. „Die Frustration darüber ist tief in der Mittelschicht angekommen. Das ist etwas, das der Parteiführung Sorgen bereiten muss.“
Xi durfte vor Wiederwahl keine Fehler eingestehen
Deutlich größere Sorgen dürfte der Parteiführung zuletzt der 20. kommunistische Parteitag bereitet haben. Staatspräsident Xi Jinping, der den Kampf gegen das Virus stets als seinen persönlichen inszeniert hatte, sicherte sich dort eine historische dritte Amtszeit als Parteichef. Hätte er „seine“ Covid-Maßnahmen im Vorlauf des Kongresses aufgeweicht, hätte er damit Fehler eingestanden – ein in China undenkbarer Gesichtsverlust für jemanden, der bis an sein Lebensende regieren will.
Knapp drei Wochen später werden die Zügel erstmals minimal gelockert: Seit Freitag müssen Einreisende in China nur noch einen negativen Test vorweisen (bisher zwei), zudem wurde die verpflichtende Hotel-Quarantäne von sieben auf fünf Tage reduziert. Eder geht davon aus, „dass auch künftig nur langsam an den Stellschrauben gedreht wird“.
Zumindest bis März, dann wird der Parteivorsitzende Xi offiziell als Präsident bestätigt. Für 2023 rechnet Eder mit einer „graduellen Öffnung“, es sei aber „davon auszugehen, dass China in den nächsten ein, zwei Jahren wirtschaftlich gebremst sein wird.“
Während in Guangzhou in diesen Tagen Sensoren an Wohnungstüren angebracht werden, um die Einhaltung der Quarantäne zu kontrollieren, spekulieren Beobachter weltweit, ob Xi nicht an einigen der Kontrollmaßnahmen langfristig festhalten wolle. Auch Eder kann sich das vorstellen, „aber nur, wenn das mit einer wirtschaftlichen Erholung vereinbar ist“.
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