Wer kommt nach Merkel an die Macht?
Kein Geraune, Gemurmel, Geklatsche – wenn die Christdemokraten am Samstag ihren neuen Vorsitzenden wählen, ist vieles anders: Die Delegierten stimmen digital zu Hause vor ihren Bildschirmen ab, vielleicht umgeben von Familie und Freunden, die mitfiebern oder stänkern. Nachdem die Bewerber Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen ihre Reden in eine Studio-Kamera gesprochen haben. Und wer auch immer als Sieger hervorgeht, ist nicht automatisch Kanzlerkandidat.
Deutschlands Volkspartei steht in Umfragen zwar gut da (derzeit bei 36 Prozent), genießt wie andere Regierungsparteien in der Krise das Vertrauen der Menschen, aber keiner weiß, wie sich die Pandemie weiterentwickelt. Überhaupt, wie die Stimmung in mehr als acht Monaten ist, wenn der Bundestag neu gewählt wird. Eines ist jedenfalls gewiss: Angela Merkel will für ihre Partei nicht mehr als Spitzenkandidatin antreten. 16 Jahre regierte die Kanzlerin, die der CDU bei aller Kritik und Stimmverlusten bisher den ersten Platz sicherte.
Keiner kanzlertauglich
Also sucht die CDU nicht nur einen neuen Vorsitzenden, sondern jemanden, der weiter die Macht sichert. Ob das einem der drei Bewerber gelingt, bezweifeln viele. Im aktuellen ZDF-Politbarometer sprechen ihnen Unionsanhänger mehrheitlich das Zeug zur Kanzlerschaft ab.
Wenn 1.001 Delegierte – alles Funktionäre und Abgeordnete – heute abstimmen, werden sie dies berücksichtigen, glaubt Politikwissenschaftler Herfried Münkler von der Humboldt Universität. „Wenn man Mitglieder entscheiden lässt, spielt die Frage des Profils, der Identität, der Heimeligkeit eine stärkere Rolle, als die Frage im Hinblick zur funktionalen Aufstellung und strategischen Position.“ Bei den Delegierten geht es auch um ihre Karriere, und da werden sie schauen, welcher Bewerber demoskopisch die beste Chance bei der Bundestagswahl im Herbst hat. Auch wenn ihr Herz vielleicht für einen anderen schlägt.
In Umfragen zur Kanzlerschaft liegen derzeit Männer vor Merz, Laschet und Röttgen, die (noch) nicht zur Wahl stehen. Wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat höhere Zustimmungswerte, die aber von der chaotisch angelaufenen Impfstrategie getrübt werden könnten.
Option Machtteilung
Es ist also gut möglich, dass nun derjenige den Parteivorsitz gewinnt, der bereit ist, die Macht an einen anderen abzugeben bzw. sie zu teilen.
Von Ex-Fraktionschef und Rechtsanwalt Friedrich Merz (65) ist bekannt, dass er Vorsitzender und Kanzler werden will („Ich spiele hier auf Sieg und nicht auf Platz“). Armin Laschet (59) sieht sich ebenfalls in beiden Ämtern, hat mit Jens Spahn einen Teampartner, den er vorlassen könnte. Allerdings braucht es dann eine gute Erzählung, damit der nordrheinwestfälische Ministerpräsident als Parteichef nicht geschwächt wirkt. Besonders selbstlos ist Norbert Röttgen (55). Dem Ex-Umweltminister haftete einst das Etikett „sehr ehrgeizig“ an. Nun lautet sein Angebot: Wer ihn wählt, könnte Söder als Kanzlerkandidat bekommen.
Ob es angenommen wird? Wer weiß, bei Parteitagen kommt es oft zu Überraschungen. Womit Politikwissenschaftler Herfried Münkler rechnet: Einer Stichwahl zwischen den zwei Bestplatzierten. Und da ist wohl Friedrich Merz dabei, der unter CDU-Anhängern viele Fans hat. 2018 verlor er das Rennen knapp gegen Annegret Kramp-Karrenbauer. Woher die Sehnsucht nach einem kommt, der mehr als zehn Jahre nicht aktiv in der Politik war?
Merz-Nostalgie
Für Münkler hat das mit „unionsinterner Nostalgie“ zu tun – und dem Wunsch, dass einer der Partei ein klares Profil gibt und mit der Ära Merkel bricht. „Dass sie die CDU in die Mitte gerückt, von Sozialdemokraten und Grünen Themen an sich gezogen hat, schmerzte einige in der CDU.“ Für sie wurde Merz zur Sehnsuchtsfigur: Einer, der Klartext redet, definiert, was eine Ehe ist und was nicht, in der Klimapolitik auf die Industrie schaut. „In ihrer Vorstellung könne man diese Themen mit Mehrheiten verbinden, wie in Zeiten von Helmut Kohl. Das glaube ich aber nicht“, sagt Münkler.
Merkel entschied sich, strategisch mehrheitsfähig zu sein: „Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Parteien mit klarer Programmatik nicht über 30 Prozent kommen.“ Mit Blick auf die schwindenden Volksparteien in Europa könne er das bestätigen.
Wie der künftige Parteichef mit dieser Schwierigkeit umgehen will, wird er vielleicht schon in seiner Abschlussrede skizzieren – auf echten Applaus aber verzichten müssen. Der soll nämlich eingespielt werden.
Überblick: Wer steht zur Wahl?
- Armin Laschet ist kein Stimmungsmacher, aber ein Brückenbauer, moderat und liberal. Er kann Wahlen gewinnen, ist als NRW-Landesvater regierungserfahren. Seit 2017 koaliert der als grünenfreundlich bekannte Katholik mit der FDP. Im Interview mit dem Handelsblatt distanzierte er sich kürzlich von einer schwarz-grünen Regierung im Bund ("Die FDP steht uns deutlich näher als die Grünen").
- Friedrich Merz bringt Fans wie Gegner zum Glühen. Er war von 2000 bis 2002 Fraktionschef der Union und zog sich 2007 zurück, um als Rechtsanwalt und Lobbyist zu arbeiten. Der Sauerländer ist vor allem bei Parteikonservativen beliebt und polarisiert. Zuletzt war er um moderate Töne bemüht.
- Norbert Röttgen war mal Umweltminister und galt als Kanzlerreserve, ehe er 2012 als Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen die Wahl vermasselte und von Angela Merkel als Minister entlassen wurde. Im Duell um den Vorsitz positionierte er sich als Modernisierer (Klimawandel bekämpfen, Digitalisierung fördern, die Partei jünger und weiblicher machen).
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