"Biden besiegt sich selbst": Medienstimmen nach Bidens Debatten-Debakel
Zweifel an Joe Bidens Eignung für eine zweite Amtszeit als US-Präsident wegen seines hohen Alters gibt es seit Langem.
Sollte er die Wahl im November gewinnen, wäre er bei Vereidigung im neuen Jahr 82 Jahre alt. Sein Kontrahent Donald Trump geht auch nicht mehr als Jungspund durch, er ist nur dreieinhalb Jahre jünger.
Während die Demokraten gehofft hatten, dass Biden bei der Debatte zeigt, wie fit er noch sei, passierte genau das Gegenteil.
Biden verlor bei dem TV-Spektakel vor Millionenpublikum mehrmals den Faden, nuschelte, starrte mit offenem Mund ins Leere und konnte häufig seine Sätze nicht richtig beenden.
Die Demokratische Partei steht aktuell zwar öffentlich hinter ihm. Sollten sich Bidens Umfragewerte in den kommenden Tagen aber verschlechtern, könnte sich das schnell jedoch ändern.
Auch Bidens Familie soll den 81-Jährigen ermuntert haben, im Rennen ums Weiße Haus zu bleiben.
In der New York Times wurde Biden bereits sein Ausstieg aus dem Präsidentschaftswahlkampf nahegelegt: "Um seinem Land zu dienen, sollte Präsident Biden sich aus dem Rennen zurückziehen“ lautet der Titel eines Leitartikels von Freitagabend.
Was andere internationale Medien dazu meinen.
Tagesanzeiger: "Biden besiegt sich selbst"
"Was vor wenigen Tagen noch undenkbar war, erscheint nun fast eine zwingende Konsequenz zu sein: Bei den Demokraten ist eine Debatte darüber ausgebrochen, ob es einen Plan B zu Biden braucht. Und wenn ja, wie dieser aussehen könnte. Der Druck ist immens, die Optionen sind bescheiden, und für die republikanischen Kampagnenmacher ist das alles ein Schlachtfest, das sie sich nicht schöner hätten ausmalen können. (…)
Biden und seine Berater scheinen jedoch nicht daran zu denken, aufzugeben. In den zwei Tagen nach der Debatte ließen sie keine Gelegenheit aus, um zu signalisieren: Wir bleiben hier schön bei Plan A. (…)
Es gelte jetzt, die Reihen hinter Biden zu schließen, verbreiten seine Spindoktoren. Die Umfragen abzuwarten. Biden sei inhaltlich besser gewesen als Trump. Die Amerikaner würden erst beginnen, sich daran zu erinnern, warum sie Trump nicht mögen, den 78 Jahre alten Lügner, Fremdenfeind, Frauenverächter, Bilanzfälscher und mutmaßlichen Putschisten. Nur Biden könne Trump besiegen. Wobei sich der Eindruck hartnäckig hält, dass Biden in erster Linie sich selbst besiegt.“
Neue Zürcher Zeitung: Biden als Trumps Wegbereiter
"Bidens mentale Schwäche, die die Demokraten so lange verdrängt hatten, kehrte jetzt mit voller Wucht ins Bewusstsein zurück. Nachdem sie die Parteielite lange beschönigt oder verheimlicht hat, behauptet sie nun, es sei zu spät, man könne Biden nicht mehr ersetzen. Aber auch unter denen, die ihm wohlgesinnt sind, mischt sich inzwischen in das Mitgefühl eine gewisse Wut.
Biden selbst gegenüber, aber auch gegenüber seinen Nächsten wie der First Lady Jill Biden, die um seine Verfassung wussten und offenbar nicht versucht haben, ihn umzustimmen. Wie viel Anmaßung und Selbstüberschätzung - und nicht Aufopferung zum Wohle des Landes - lag in Joe Bidens starrsinniger Entscheidung, nochmals in den Ring zu steigen? Am Ende, wenn er nicht noch aussteigt, riskiert der amtierende Präsident, nicht als Trumps Verhinderer, sondern als sein Wegbereiter in die Geschichte einzugehen."
Guardian: "Biden ist zwar bekannt, jedoch unbeliebt"
"Biden durch jemand anderen zu ersetzen, wäre zu diesem späten Zeitpunkt riskant. Es gibt keinen offensichtlichen Kandidaten für eine Krönung, selbst wenn die potenziellen Anwärter dazu gebracht werden könnten, persönlichen Ehrgeiz und politische Differenzen beiseitezuschieben. Kamala Harris, die Vizepräsidentin, hat ähnlich miserable Umfragewerte wie Biden. Der Parteitag der US-Demokraten im August würde zwar eine Bühne für Bewerber bieten, aber die Partei würde dann mit einem relativ unbekannten und weitgehend unerprobten Kandidaten in die Wahl gehen.
Allerdings ist Biden zwar bekannt, jedoch unbeliebt. Er wurde am Donnerstag (beim Fernsehduell gegen Donald Trump) erneut getestet und hat versagt. Biden hat sein Land gerettet, indem er 2020 kandidierte. Aber die TV-Debatte hat viele zu dem Schluss gebracht, dass die beste Möglichkeit für ihn, sein Land 2024 erneut zu retten, darin besteht, sich zurückzuziehen. Diejenigen, die ihm am nächsten stehen, müssen nicht an seine persönlichen Interessen denken, sondern an die Interessen des Landes. Die Demokraten sind in zwei gleichermaßen unangenehmen Alternativen gefangen. Wie auch immer sie sich entscheiden, sie müssen das Ruder in die Hand nehmen, bevor es zu spät ist. Wenn das Schiff kentert, ist nicht nur die Partei in Gefahr, sondern auch die amerikanische Demokratie."
de Volkskrant: "Unterstützung für Biden ist zur Schwachstelle geworden"
"In den letzten Tagen haben prominente US-Demokraten ihre Unterstützung für Joe Biden zum Ausdruck gebracht. Sie spielten Bedenken gegen seine Kandidatur herunter. Je lauter die Amerikaner riefen, dass der 81-jährige Biden zu alt ist, desto lauter tönt es aus der Parteiführung, dass er die richtige Wahl sei. Die Unterstützung für Biden ist zur Schwachstelle für eine Partei geworden, die Angst vor Erneuerung hat. Die Frage ist, wie lange die Parteiführung das durchhalten wird.
Ob von links oder rechts, die US-Demokraten brauchen die Unterstützung der amerikanischen Wähler, um Trump im November zu besiegen. Doch die Wähler lassen immer wieder erkennen, dass sie die Kandidatur Bidens für eine schlechte Idee halten. Vor dem Fernsehduell zwischen Biden und Donald Trump hielten noch 27 Prozent der Wähler Biden für geistig fit genug, um erneut Präsident zu werden. Danach waren es nur noch 20 Prozent."
Gazeta Wyborcza: "Das schlimmste Duell in der Geschichte der US-Präsidentschaftsdebatten"
"Wir haben diesmal das schlimmste Duell in der Geschichte der US-Präsidentschaftsdebatten erlebt. Es warf die berechtigte Frage auf, ob der 81-jährige Joe Biden, der häufig den Faden verlor und sich bei den Zahlen irrte, in der Lage ist, weiter um seine Wiederwahl zu kämpfen, geschweige denn das mächtigste Land der Welt weitere vier Jahre zu regieren. Spitzenpolitiker der Demokraten versichern dem Präsidenten ihre Unterstützung, aber der Handel mit Namen potenzieller Kandidaten für die Rettungsaktion läuft auf Hochtouren.
Vizepräsidentin Kamala Harris schnitt in einem Interview nach der Debatte am besten ab. Sie hob hervor, dass das Duell anderthalb Stunden gedauert habe, Bidens Amtszeit dagegen bereits dreieinhalb Jahre. Und dass es das Regieren sei, für das die Präsidenten gemessen werden sollten. Vielleicht ist dieser gute Auftritt ein Fingerzeig für das demokratische Establishment. Nicht, dass Harris die ideale Kandidatin wäre. Sie ist nicht populär, und manche sind der Meinung, dass Amerika leider noch nicht reif für eine schwarze Präsidentin ist. Es ist einfach ein Beweis dafür, dass jemand Jüngeres als Biden - vielleicht der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom - in der Lage wäre, effizienter gegen Trump zu kämpfen."
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