Demokraten denken laut über Last-Minute-Austausch für Biden nach
„Es ist schwer, mit einem Lügner zu debattieren.” Der Satz, den Joe Biden am Donnerstagabend nach dem Fernseh-Kleinkrieg mit Donald Trump bei einem Zwischenstopp an einer Waffel-Bude in Atlanta sprach, sollte wie eine Entschuldigung klingen.
Aber schon in den eigenen Reihen verfängt der Versuch des US-Präsidenten, seine weithin als „miserabel” und „hilflos” bezeichnete Vorstellung in dem 90-minütigen Schlagabtausch mit der auf ein Lügen-Feuerwerk setzende Taktik seines Kontrahenten zu erklären, nicht.
"Wirklich enttäuschend"
Kate Bedingfield, seine frühere Kommunikationschefin, sprach ungefiltert von einer „wirklich enttäuschenden Vorstellung von Joe Biden.” Andere gingen noch weiter. „Nun wäre ein guter Zeitpunkt für Biden, aus dem Rennen aus gesundheitlichen Gründen auszusteigen”, erklärte die demokratische Florida-Funktionärin Nadia Ahmad.
Der bekannte Spendengeld-Geber Mark Buell, stellte die Frage: „Haben wir noch Zeit, um einen anderen Kandidaten aufzubieten?”. Der frühere Chef-Berater des demokratischen Präsidenten Barack Obama, David Axelrod, prophezeit, dass es parteiintern genau darüber nun „Diskussionen geben wird”.
"Biden ist gescheitert"
Denn, so Maria Shriver, die frühere Gattin von Kalifornien-Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger und Mitglied des berühmten Kennedy-Clans: „Joe Biden ist gescheitert, sich der Situation gewachsen zu zeigen.” Claire McCaskill, die frühere demokratische Senatorin aus Missouri, sagte, es breche ihr das Herz zu sehen, dass Biden es nicht vermocht hat, dem amerikanischen Volk zu demonstrieren, dass er das Präsidentenamt weiter packen kann.
Was damit gemeint ist, fasste der frühere demokratische Bürgermeiste von San Antonio, Julián Castro, in diese vernichtenden Worte. „Er schien unvorbereitet, verloren und nicht stark genug, die ständigen Lügen von Trump zu parieren.”
Noch sieben Wochen
Bis zum Nominierungs-Parteitag der Demokraten in Chicago sind es noch knapp sieben Wochen. Ob die Partei wirklich das Risiko eingeht, so kurz vor dem Ziel die Spitzenperson auszutauschen - zumal nicht erkennbar ist, auf wen man sich auf Anhieb als Alternative einigen könnte -, halten in- wie außerhalb der Partei viele Experten für fraglich.
Formal müsste Biden, dessen Gattin und First Lady Jill Biden seinen wichtigste Beraterin ist und konsequent zu ihm hält, zunächst freiwillig nach vorn gehen. Als Sieger der internen Vorwahlen müsste er die ihm knapp 4000 verpflichteten Delegierten de facto entbinden und die Wahl eines anderen Präsidentschaftskandidaten für den November freigeben.
Dass Biden, der 50 Jahre auf das Präsidentenamt hingearbeitet hat und als stur und von sich überzeugt gilt, diesen Schritt geht, glaubt am Morgen nach dem „politischen Fight-Club” von Atlanta niemand von Rang bei den Demokraten. Es sei denn, Führungsfiguren wie Chuck Schumer (Senat), Nancy Pelosi (frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses) und James Clyburn (der einflussreichste schwarze Kongress-Abgeordnete von South Carolina) würden den Amtsinhaber in einer konzertierten Aktion dazu drängen.
Kein „Game Changer”
Argumente: Zum einen sei eine vergeigte TV-Debatte kein „Game Changer”, am 10. September habe Biden die Chance die Scharte auszuwetzen. Zum anderen habe Biden gerade im wirtschaftlichen Bereich eine eindrucksvolle Erfolgsbilanz vorzuweisen, die man in den kommenden vier Monaten besser und demonstrativer erklären müsse.
Dem stimmt der Bürgermeister von Atlanta, Andre Dickens, zu. „Wir Demokraten wechseln nicht mitten im Rennen die Pferde.”
Unter Bidens Vertrauten herrscht die Hoffnung, dass sich die schwache Performance des 81-Jährigen schon bald versendet und von der politischen Tagesaktualität überlagert wird. Dazu gehört am 11. Juli auch die Strafmaß-Verkündung für Trump im Schweigegeld-Prozess um den Porno-Star Stormy Daniels. „Hätte Trump Gefängnis zu gewärtigen, würde die Haltung von parteiunabhängigen Wählern in den Mittelpunkt rücken", sagen Analysten der Denkfabrik Brookings. In dieser Gruppe hatten zuletzt über 20 Prozent in Umfragen bekundet, dass der Schuldspruch gegen Trump, der als erster Ex-Präsident formal ein verurteilter Straftäter ist, ihre Wahlentscheidung im November zu Ungunsten Trumps beeinflussen wird.
Wer könnte einspringen?
Prominente Zeitgenossen wie der preisgekrönte New York Times-Kolumnist Nicolas Kristof, der zuletzt Gouverneur von Oregon werden wollte, halten das für Augenwischerei. Noch sei genug Zeit für Senator Sherrod Brown (Ohio), Gretchen Whitmer (Michigan) oder Gina Raimondo (Wirtschaftsministerin im Kabinett Biden) auf dem Parteitag in die Bresche zu springen. Kristof: „Ich wünschte, Biden würde über seinen Auftritt nachdenken und sich dann aus dem Präsidentschaftsrennen zurückziehen.”
Denkt das auch Bidens Nummer zwei, Vize-Präsidentin Kamala Harris, die zwar unbeliebt ist in den Umfragen aber automatisch zum Kreis möglicher Nachfolger gehören würde? „Ja, es gab einen langsamen Start”, sagte sie im US-Fernsehen über die Debatte ihres Chefs, „aber es war ein starkes Ende.” Joe Biden habe einen „sehr klaren Kontrast zu Donald Trump gezeigt bei allen Themen, die dem amerikanischen Volk wichtig sind.” Ähnliche Solidaritäts-Adressen kamen von Gavin Newsom, dem Gouverneur Kaliforniens, der seit Jahren als potenzieller Präsidentschaftskandidat gilt. „Ich werde niemals Joe Biden den Rücken zukehren.”
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