Wer könnte Joe Biden ersetzen?
Die „Ersatzbank” der Demokraten, für den Fall, dass mit Joe Biden etwas Außergewöhnliches passiert, war seit Monaten nicht mehr im Scheinwerferlicht der Medien. Die brutale Bruchlandung des US-Präsidenten gegen Donald Trump im Fernsehen hat das schlagartig geändert. 130 Tage vor der Wahl wird offen gefordert, der 81-Jährige möge sich, weil zum Klotz am Bein der Partei geworden, aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen und auf dem Parteitag Mitte August in Chicago einer jüngeren Alternative den Weg ebnen.
Allein, es gilt wie schon im Vorwahl-Kampf: Niemand von Rang, Statur oder Potenzial in der Partei hat bisher den Mut aufgebracht, seinen/ihren Hut in den Ring zu werfen und sich am 5. November gegen Trump womöglich eine blutige Nase zu holen.
Das liegt daran, dass jüngere Talente, die fast allesamt Gouverneure in den Bundesstaaten sind, wie Gretchen Whitmer (Michigan), Josh Shapiro (Pennsylvania), Jared Polis (Colorado) oder J. B. Pritzker (Illinois) noch nicht lange im Geschäft geschweige denn landesweit bekannt sind. Whitmer hat sich rund um die Auto-Metropole Detroit und unter Frauen als Galionsfigur des Rechts auf Abtreibung einen Namen gemacht.
Internationale Strahlkraft
Als einigermaßen sturmerprobt auf nationaler Bühne gilt allenfalls Gavin Newsom. Der Gouverneur von Kalifornien (56) hat bei Umfragen unter den Demokraten meist die höchsten Zustimmungswerte. Er verkörpert die Vision eines modernen Amerikas, war Baseball-Spieler und verkauft sich als smarter Repräsentant einer liberalen politischen Grundhaltung. Bei Auslandsreisen geriert er sich als Staatsmann.
Kürzlich traf er sich mit Chinas Staatschef Xi Jinping. Newsom steht politisch deutlich weiter links als Biden. Aber Wahlen werden in Amerika in der Mitte gewonnen. Sein größtes Handicap: Newsom hat Dyslexie, eine massive Leseschwäche. Obwohl er bis zuletzt Biden den Rücken stärkte, in dem er eine Vaterfigur sieht, glauben Partei-Insider, dass er schon für 2028 die Furche zieht. Newsom setzte sich im Falle eines Last-Minute-Einspringens für Biden dem erheblichen Risiko aus, nachhaltige Schrammen davon zu tragen.
Namen, die automatisch im theoretischen Biden-geht-vorzeitig-aufs-Altenteil-Kontext genannt werden, sind die einiger seiner Kabinett-Mitglieder. Etwa Verkehrsminister Pete Buttigieg. Der 42-Jährige ist smart, souverän, vielsprachig, rhetorisch beschlagen und, obwohl ein kriegserfahrener Veteran der US-Marine, eine Ikone für Homosexuelle. Er zieht mit seinem Mann zwei Kinder groß. Buttigieg war 2020 Rivale Bidens im Rennen um die damalige Präsidentschafts-Kandidatur. Auch Gina Raimondo, der Wirtschaftsministerin, die vor allem in der China-Politik Akzente setzt, wird das Zeug für den Top-Job attestiert.
Unbeliebte Vizepräsidentin
Bliebe noch die naheliegendste Lösung: Vize-Präsidentin Kamala Harris. Die 59-Jährige müsste unter normalen Umständen die natürliche Nachfolgerin Bidens sein. Aber ihre Umfragewerte liegen seit Amtsantritt 2021 noch unter den (prekären) von Biden. In der demokratischen Partei wie in der Washingtoner Politikblase hat sich das Vorurteil festgesetzt, sie habe kein Profil, keine Vision von Amerika.
Harris, die erste Schwarze und die erste US-Amerikanerin mit indischen Wurzeln im Amt, hat nach langer Durststrecke in den vergangenen Monaten bei außenpolitische Themen (Ukraine/Israel) und Abtreibung deutlich mehr Verantwortung zugewiesen bekommen. Als ehemalige kalifornische Generalstaatsanwältin wäre sie ein Politik-Angebot an junge, ethnisch vielfältige Wählergruppen. Aber sie hat die Partei nicht hinter sich. Das wäre bei Ex-Präsidenten-Gattin Michelle Obama ganz anders. Aber die erfolgreiche Mutter, Buch-Autorin und Unternehmerin verabscheut die Washingtoner Politik. Sie will einfach nicht.
Kommentare