Scholz und Starmer, notgedrungen neue beste Freunde?
Die letzten beiden internationalen Besucher in Berlin, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und der argentinische Regierungschef Javier Milei, mussten sich mit weniger begnügen. Da wurden der rote Teppich und die militärische Ehre ausgelassen. Doch mit Keir Starmer, dem neuen Labour-Premierminister Großbritanniens, hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) endlich wieder einen ideologisch gleichgesinnten Amtskollegen.
Es ist Starmers erster bilateraler Besuch, seit er Premier ist; Scholz und er haben sich bereits Anfang Juli beim NATO-Gipfel in Washington und bei einem Europa-Gipfel in Südengland getroffen. Medienberichten zufolge sollen sich die beiden auch persönlich gut verstehen.
Zwar hatte Scholz auch mit Starmers konservativem Vorgänger Rishi Sunak, der erst nach 18 Monaten im Amt seinen Antrittsbesuch in Berlin absolvierte, einige Überschneidungspunkte – etwa beim Thema Sicherheit und militärische Aufrüstung. Die Politiker kannten sich aus ihrer gemeinsamen Zeit als Finanzminister. Uneinigkeit gab es hingegen bei der Nähe Großbritanniens zur EU: Nach dem Brexit sind deutsche Exporte nach und Importe aus Großbritannien gesunken, mittlerweile ist London wieder unter den zehn wichtigsten bilateralen Außenhandelspartnern Deutschlands. Ein Gesprächsangebot über ein Abkommen für vereinfachten Schüleraustausch oder Studieren in Großbritannien hatte Sunak aber abgelehnt – genauso wie Starmer bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz.
Kein "Exit des Brexit", aber eine Annäherung
Einen "Exit des Brexit", also ein Rückgängigmachen des EU-Austritts, wird es auch unter Starmer nicht geben. Allerdings will dieser die Zusammenarbeit verbessern. Starmer werde mit Scholz Verhandlungen über einen bilateralen Vertrag einleiten, um die Wirtschaft, die Verteidigung und die Zusammenarbeit gegen irreguläre Migration zu stärken, teilte die Downing Street im Voraus mit.
Doch das Thema Islamismus und illegale Migration dürfte nach der Messerattacke in Solingen auch beim Treffen mit Starmer eine Rolle spielen. Scholz steht unter Druck, nachdem ihm CDU-Chef Friedrich Merz angeboten hat, die Koalitionspartner Grüne und FDP bei einem härteren Durchgreifen gegen illegale Migration zu umgehen. Im vergangenen Herbst gab er das Versprechen, jene, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hätten, "endlich im großen Stil" abzuschieben. Nach der Messerattacke in Mannheim Ende Mai kündigte er an, Straftäter auch nach Syrien und Afghanistan zurückschicken zu wollen.
Großbritannien erlebte selbst erst einen – nicht islamistisch motivierten – Angriff, bei dem drei Mädchen starben, es folgten rechtsextreme Ausschreitungen in mehreren Städten. Politico zitiert einen Beamten der Downing Street, demzufolge Starmer vermeiden wolle, der extremen Rechten in die Hände zu spielen, wie es der Ampel-Regierung in Berlin oft vorgeworfen wird. In den Umfragen zu den Landtagswahlen am Sonntag in Sachsen und Thüringen führt die AfD mit rund 30 Prozent.
Starmer hat kurz nach Amtsantritt angekündigt, den umstrittenen Plan der Tory-Regierung für Abschiebungen nach Ruanda stoppen zu wollen, eine Alternative bisher aber nicht vorgestellt.
Scholz und Starmer kündigten bei der gemeinsamen Pressekonferenz einen verstärkten Datenaustausch an, um irreguläre Migration besser bekämpfen zu können.
Gemeinsamkeiten
Ein anderes Problem, das Starmer und Scholz gemein haben: Beide müssen sparen. In Berlin hat der letzte Haushalt – wieder einmal – die Koalition an ihre Grenzen gebracht, in London droht genauso ein Kampf: "Im Oktober wird es einen neuen Haushalt geben, und der wird schmerzhaft sein", sagte Starmer am Dienstag. Seine Regierung habe ein "wirtschaftliches schwarzes Loch" geerbt.
Möglich, dass der Besuch für Scholz trotzdem ein willkommener Wohlfühl-Termin ist – zwischen Wahlkampfterminen in den ostdeutschen Bundesländern und Sticheleien in der Ampel-Regierung. Zwischen Scholz und Starmer soll auch eine persönliche Sympathie herrschen. "Scholz und Starmer sind die personifizierte Rationalität, Charisma ist ihnen weitgehend fremd", beschrieben Spiegel-Redakteure beim Europa-Gipfel das Verhältnis der beiden Politiker. "Vielleicht mögen sie sich gerade deshalb so sehr." Dazu fast gleich alt (Scholz ist 66 Jahre alt, Starmer 61), in früheren Zeiten Sozialisten, studierte Juristen – und eine der wenigen Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung, die es in Europa noch gibt.
Starmer wird dann weiter nach Paris fahren, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Besuch abstatten. Das deutsche Verhältnis zu Frankreich ist angeknackst. Auch deswegen bekommt die Achse Berlin-London gerade wieder neue Relevanz.
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